21.11.2024
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Arbeitsgericht Berlin Urteil12.12.2012

Vergleich mit Josef Mengele kann fristlose Kündigung rechtfertigenKündigung muss jedoch verhältnismäßig sein

Vergleicht ein Arzt eine Operation mit der Vorgehensweise von Josef Mengele, so kann dies die fristlose Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses nach sich ziehen. Die Kündigung muss aber im Einzelfall verhältnismäßig sein. Dabei sind insbesondere die Dauer der Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit und dessen störungsfreier Verlauf, das Gewicht und die Auswirkung der Pflicht­ver­letzung sowie eine mögliche Wieder­ho­lungs­gefahr zu berücksichtigen. Dies geht aus einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall machte ein Anästhesiearzt während einer 10-stündigen Operation nach Angaben der Klinik folgende Äußerung: "Das ist hier ja wie bei Josef". Nach eigenen Angaben äußerte er sich wie folgt: "Eine so ausgedehnte Operation mit gravierenden möglichen Folgen ohne ausreichende Aufklärung ist Körper­ver­letzung und grenzt ja schon an Verstümmelungen wie bei Josef Mengele". Die Klinik kündigte dem Arzt daraufhin fristlos. Nach ihrer Meinung, habe der Arzt den Leiter der Operation in gröbster Weise beleidigt. Dadurch habe er den Betriebsfrieden erheblich gestört. Der Arzt sah das anders und erhob Klage. Er machte geltend, dass er die Äußerung aufrichtig bedauere und er sich auch entschuldigt habe. Die Kündigung sei unverhältnismäßig gewesen.

Diffamierende und herabwürdigende Äußerungen rechtfertigen grundsätzlich fristlose Kündigung

Aus Sicht des Arbeitsgerichts Berlin könne die Gleichsetzung betrieblicher Vorgänge mit dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Terrorsystem und der Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn tätigen Mitarbeiter mit dem vom Natio­nal­so­zi­a­lismus geförderten Verbrechen und den Menschen, die diese Verbrechen begangen, eine grobe Beleidigung der angesprochenen Person darstellen (vgl. BAG, Urt. v. 07.07.2011 - 2 AZR 355/10 = NZA 2011, 1412). Grobe Beleidigungen des Arbeitsgebers, seiner Vertreter oder von Kollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und damit ein wichtigen Grund zur Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB dar. Die Äußerungen des Anästhe­sie­arztes während der Operation seien daher grundsätzlich geeignet gewesen, eine außer­or­dentliche Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses auszusprechen. Dabei habe es keine Rolle gespielt, welche Äußerungen er tatsächlich machte. Denn beide Erklärungen seien nicht nur als überzogene Kritik anzusehen gewesen. Vielmehr habe die Gleichsetzung mit dem Arzt des Konzen­tra­ti­o­ns­lagers Auschwitz Joses Mengele und dessen Vorgehensweise eine Diffamierung und Herabwürdigung des Opera­ti­o­ns­leiters und der von ihm durchgeführten Operation dargestellt.

Kündigung war im Einzelfall unver­hält­nismäßig

Ob das Verhalten eines Arbeitnehmers geeignet ist, ein Interesse des Arbeitsgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses zu begründen, so das Arbeitsgericht weiter, bestimme sich immer nach dem Einzelfall. Zu berücksichtigen sei die Schwere und die Auswirkung der Vertrags­pflicht­ver­letzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wieder­ho­lungs­gefahr und die Dauer der Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit und dessen störungsfreier Ablauf. Bei Beachtung dieser Grundsätze und nach Abwägung der beiderseitigen Interessen sei die Kündigung des Anästhe­sie­arztes unver­hält­nismäßig und daher unwirksam gewesen.

Inter­es­se­n­ab­wägung erfolgte zu Gunsten des Arztes

Trotz der hier vorliegenden erheblichen Pflichtverletzung sei nach Auffassung des Arbeitsgerichts das Interesse des Arztes an der Weiter­be­schäf­tigung Vorrang zu gewähren gewesen. Zu seinen Gunsten habe seine lange beanstan­dungsfreie Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit von 17 Jahren gesprochen. Weiterhin habe es sich nur um eine einmalige Äußerung gehandelt, die situa­ti­o­ns­bedingt erfolgte. Es handelte sich um eine umfangreiche und tief greifende zehnstündige Operation. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass eine solche Operation zu dem Zeitpunkt erst zum zweiten Mal durchgeführt wurde und das gesamte Operationsteam, bis auf den Opera­ti­o­ns­leiter, damit keine Erfahrungen hatte. Weiterhin kam es bei einer zuvor unter Anwendung des gleichen Opera­ti­o­ns­ver­fahrens durchgeführten Operation zu erheblichen Komplikationen. Nicht unberück­sichtigt habe zudem bleiben müssen, dass der Patient unzureichend über die Operation aufgeklärt wurde. Es habe daher für den Anästhesiearzt eine Ausnah­me­si­tuation bestanden. Im Übrigen habe keine Wieder­ho­lungs­gefahr bestanden. Denn der Arzt entschuldigte sich für seine Äußerung. Er habe daher erkennen lassen, dass er sich über die Tragweite seines Verhaltens bewusst war.

Inter­es­se­n­ab­wägung durch Klinik war nicht ersichtlich

Darüber hinaus sei nach Ansicht des Arbeitsgerichts nicht ersichtlich, dass die Klinik überhaupt eine Inter­es­se­n­ab­wägung durchführte. Bereits dies habe für eine Unwirksamkeit der Kündigung gesprochen.

Quelle: Arbeitsgericht Berlin, ra-online (vt/rb)

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