21.11.2024
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Sie sehen einen Vertrag, der gerade unterzeichnet wird und davor die ilhouetten von zwei Personen.
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Amtsgericht Dieburg Urteil09.02.2011

Fitnessstudio muss Intimsphäre wahren - Mitglieder brauchen keine Details über Krankheiten offenbaren, um kündigen zu könnenSchutz der Intimsphäre der Mitglieder hat Vorrang vor dem wirtschaft­lichen Gewinnstreben des Fitnessstudios

Der Mitglieds­vertrag mit einem Fitnessstudio kann aus wichtigem Grund - etwa wegen schwerer Erkrankung - gekündigt werden. Das Fitnessstudio darf dieses Kündigungsrecht nicht von der Vorlage "geeigneter Belege" abhängig machen. Eine entsprechende Klausel in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen des Fitnessvertrags ist unwirksam. Dies entschied das Amtsgericht Dieburg.

Das Gericht wies die Klage eines Fitness­stu­dio­be­treibers ab, der einen Kunden zur Zahlung rückständiger Mitglieds­beiträge verklagt hatte. Das Gericht bescheinigte dem Mitglied die Wirksamkeit seiner Kündigung. Der Sportler hatte seine Mitgliedschaft wegen einer plötzlichen Rheumae­r­krankung gekündigt und darauf verwiesen, dass sein ihm von jeglicher sportlicher Betätigung abrate. Dem Sport­s­tu­dio­be­treiber reichte der vorgelegte ärztliche Attest jedoch nicht aus. Er verlangte weitere Belege zur Glaub­haft­machung der Sport­un­fä­higkeit.

AGB-Klausel verstößt gegen gesetzliches Trans­pa­renzgebot

Hierzu sah sich der Studiobetreiber aufgrund einer Klausel in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen des Fitnessvertrags berechtigt. Dort hieß es, dass der Kündigungsgrund durch "geeignete Belege" glaubhaft zu machen sei. Das Amtsgericht verwarf diese Argumentation des Studio­be­treibers und erklärte die Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 BGB für unwirksam.

Fitness­tu­dio­be­treiber kann Beweiskraft von Erklärungen der Mitglieder nicht beurteilen

Die Klausel lasse nicht erkennen, was unter "geeigneten Belegen" zu verstehen sei. Der Begriff sei unbestimmt und dehnbar. Die Auslegung dieses Begriffs erstrecke sich von der einfachen ärztlichen Erklärung, das der Kündigende keinen Fitnesssport betreiben solle bis zur Vorlage der gesamten ärztlichen Behand­lungs­un­terlagen. Außerdem suggeriere die Klausel, der Verwender habe die Oberhand über die Auslegung und könne selbst entscheiden, was er für geeignet halte und was nicht.

Ärztliches Attest ist in jedem Fall geeigneter Nachweis des Kündi­gungs­grunds

Selbst wenn die Klausel wirksam sei, so hätte der beklagte Sportler spätestens mit der ärztlichen Bescheinigung einen geeigneten Beleg vorgelegt. Die Bescheinigung enthalte neben der Diagnose der rheumatischen Erkrankung den Hinweis, dass eine sportliche Betätigung auch leichterer Art für mindestens ein Jahr kontraindiziert sei.

Anforderung an Nachweis der Krankheit ist niedrig anzusetzen

Die Anforderungen, die an "geeignete Belege" zu stellen seien, könnten nicht hoch sein. Bei der Inter­es­se­n­ab­wägung gehe es einerseits um den Schutz der Intimsphäre des Beklagten und andererseits um die Planungs­si­cherheit des Klägers, um erfolgreich am wirtschaft­lichen Marktgeschehen teilnehmen zu können.

Schutz der Intimsphäre hat grundsätzlich Vorrang vor wirtschaft­lichem Gewinnstreben

Menschen genießen bei Krankheiten Anspruch auf Geheimhaltung. Krankheiten seien deshalb schon ihrer Natur nach der Intimsphäre zuzuordnen. Die Rechtsordnung verdeutliche dies an der Verschwie­gen­heits­pflicht von Ärzten, so dass der Anspruch strengsten Schutz genieße. Der Schutz der Intimsphäre habe grundsätzlich Vorrang vor dem wirtschaft­lichen Gewinnstreben. Der Fitness­stu­dio­be­treiber habe deshalb keinen Anspruch auf vollständige und umfangreiche Aufklärung hinsichtlich der Krankheit seines Vertrags­partners, um die Wirksamkeit einer Kündigung oder die Erfolgs­aus­sichten einer Klage überprüfen zu können.

Zweifel sind durch das Gericht zu klären

Zweifel seien nur über das Gerichts­ver­fahren zu klären, wobei erneut die verfas­sungs­recht­lichen Garantien des Fitness­stu­di­o­teil­nehmers zu beachten seien. In hiesigem Fall sei die Kündigung des Beklagten rechtmäßig, da seinen Interessen der Vorrang einzuräumen sei (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1996 - XII ZR 55/95 -). Denn er könne aus Gründen, auf die er keinen Einfluss habe, auf Dauer die Einrichtungen des Fitnessstudios nicht nutzen. Ihm sei wegen seiner Krankheit jede sportliche Betätigung auf Dauer verwehrt.

Trainings­mög­lich­keiten sind Geschäfts­grundlage des Fitnessvertrags

Diese Veränderung seines Gesund­heits­zu­stands liege zwar grundsätzlich im Risikobereich des Beklagten, schließe jedoch das Kündigungsrecht nicht aus. Zu berücksichtigen sei dabei, dass er die Erkrankung nicht beeinflussen konnte, diese erst nach Vertragsschluss auftrat und für den Beklagten wegen seines noch jungen Alters selbst überraschend und ungewöhnlich war. Der Beklagte müsse auch nicht die Mitgliedschaft fortsetzen, weil ihm noch die Teilnahme an alternativen Leistungs­an­geboten wie etwa Sauna, Solarium oder Entspan­nungskurse möglich sei. Denn er habe den Fitnessvertrag wegen der sportlichen Trainings­mög­lich­keiten in dem Studio abgeschlossen. Die Teilnahme sei ihm nun verwehrt.

Quelle: ra-online, Amtsgericht Dieburg (vt/we)

der Leitsatz

Zu den formellen und materiellen Anforderungen an die fristlose Kündigung eines sog. Fitness­ver­trages wegen Krankheit.

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