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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss28.01.2013

"Internet-Pranger" für Hygieneverstöße: Gastwirt wehrt sich erfolgreich gegen Veröf­fent­lichungBedenken gegen Vereinbarkeit mit EU-Recht und Verfas­sungsrecht bedürfen der Klärung in Haupt­sa­che­ver­fahren

Es bestehen Bedenken, ob die Veröf­fent­lichung von Verstößen gegen Verbrau­cher­schutz-Vorschriften des Lebensmittel- und Futtermittel­gesetz­buches (LFGB) im Internet ("Internet-Pranger") mit EU-Recht und deutschem Verfas­sungsrecht vereinbar ist. Deshalb kann ein betroffener Gastwirt wegen der mit einer solchen Veröf­fent­lichung einhergehenden Eingriffe in seine Grundrechte verlangen, dass die Veröf­fent­lichung so lange unterbleibt, bis über deren Rechtmäßigkeit in einem Haupt­sa­che­ver­fahren entschieden ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Verwaltungs­gerichts­hofs Baden-Württemberg hervor.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsteller betreibt eine Speise­gast­stätte. Das Landratsamt stellte dort am 13. September 2012 lebens­mit­tel­rechtliche Verstöße fest. Eine weitere Kontrolle nach einer Woche ergab keine Beanstandungen mehr. Am 22. Oktober 2012 veröffentlichte das Landratsamt auf der Homepage des Rhein-Neckar-Kreises unter Nennung von Name, Anschrift und Betreiber der Gaststätte als Grund der Beanstandung: "Mängel bei der Betriebshygiene, ekelerregende Herstellungs- oder Behand­lungs­ver­fahren." Später fügte es den Hinweis hinzu: "Nachkontrolle am 20. September 2012: Mängel beseitigt". Das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe hat auf einen Eilantrag des Antragstellers die Veröffentlichung einstweilen untersagt. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat die Beschwerde der Behörde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Untersagung unwirksam wird, wenn der Antragsteller nicht bis zum 1. März 2013 ein gerichtliches Haupt­sa­che­ver­fahren eingeleitet hat oder sich ein anhängig gemachtes Haupt­sa­che­ver­fahren ohne Sachent­scheidung erledigt.

Eingriff in Sicherung der Grundrechte

Die einstweilige Anordnung sei zur Sicherung der Grundrechte des Antragstellers auf informationelle Selbst­be­stimmung und Ausübung seines Berufs geboten. Eine Verbrau­che­r­in­for­mation im Internet zu lebens­mit­tel­recht­lichen Verstößen eines Unternehmens greife mit ihrer Prangerwirkung schwerwiegend in diese Rechte ein.

Veröf­fent­lichung soll dem vorsorgenden Gesund­heits­schutz dienen

Ob die Grund­recht­s­ein­griffe rechtmäßig seien, müsse in einem vom Antragsteller anzustrengenden Haupt­sa­che­ver­fahren geklärt werden. In Rechtsprechung und Literatur würden erhebliche Bedenken geäußert, ob die von der Behörde zur Rechtfertigung ihrer Veröf­fent­lichung angeführte Vorschrift in § 40 Absatz 1a Nr. 2 LFGB mit EU-Recht und Verfas­sungsrecht vereinbar sei. Danach diene die Veröf­fent­lichung nicht der Abwehr einer konkreten Gesund­heits­gefahr, sondern nur dem vorsorgenden Gesund­heits­schutz. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 schließe solche Informationen der Öffentlichkeit aber möglicherweise aus. Eine Klärung dieser Frage sei in einem beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Verfahren zu erwarten (Rechtssache C-636/11 Berger). Bezweifelt werde zudem, ob die gesetzliche Voraussetzung für die Veröf­fent­lichung, dass "die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist", den rechts­s­taat­lichen Geboten der Normenklarheit und Bestimmtheit gerecht werde. Denn insoweit fehle es an einem objektiven und transparenten Maßstab für die von der Behörde anzustellende Prognose über die Höhe eines Bußgeldes, etwa in Gestalt eines Bußgeldkatalogs. Schließlich bestünden Bedenken, ob die Vorschrift mit dem verfas­sungs­recht­lichen Gebot der Verhält­nis­mä­ßigkeit vereinbar sei. Dagegen spreche insbesondere, dass die Dauer der Veröf­fent­lichung nicht gesetzlich geregelt sei, dass ein Bußgeld von 350 Euro im Verhältnis zur Schwere der Grund­recht­s­ein­griffe eher als "Bagatelle" erscheine und dass das Gesetz die Behörde zur Veröf­fent­lichung zwinge, ohne im Einzelfall abwägen zu können. Die Klärung dieser komplexen Rechtsfragen müsse einem Haupt­sa­che­ver­fahren vorbehalten bleiben.

Veröf­fent­lichung aufgrund Beseitigung des Mangels nicht mehr notwendig

Die deshalb im Eilverfahren gebotene Abwägung der Folgen einer Gewährung oder Versagung vorläufigen Rechtsschutzes falle zugunsten des Antragstellers aus. Insoweit sei entscheidend, dass eine weitere Veröf­fent­lichung seine Grundrechte erheblich gefährde oder gar irreparabel verletze. Das gelte nicht nur für den Schutz seiner personen- und betrie­bs­be­zogenen Daten, sondern maßgeblich auch für seine wirtschaftliche Existenz. Zwar bestünden nach Aktenlage und insbesondere den vorgelegten Lichtbildern keine Zweifel an den vom Landratsamt festgestellten gravierenden Rechtsverstößen. Da die Behörde in ihrer Veröf­fent­lichung jedoch selbst davon ausgehe, dass die Mängel beseitigt seien, und sie auch nicht substantiiert in Frage stelle, dass der Antragsteller die Hygienevorschriften mittlerweile einhalte, sei eine Veröf­fent­lichung zum Schutz der Verbraucher vor Gesund­heits­ge­fahren nicht erforderlich. Die mit der Veröf­fent­lichung ansonsten verfolgten Zwecke des Verbrau­cher­schutzes hätten ein geringeres Gewicht als die Interessen des Antragstellers.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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