21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil28.06.2016

Berufsschüler haben bei notwendigem Besuch einer auswärtigen Berufsschule Anspruch auf Koste­n­er­stattung für erforderliche MehrkostenLedigliche Gewährung eines Zuschusses für auswärtige Unter­kunfts­kosten nicht mit Gleichheitssatz des Grundgesetzes vereinbar

Der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg hat entschieden, dass das Land Baden-Württemberg verpflichtet ist, den zum Besuch einer auswärtigen Berufsschule verpflichteten Berufsschülern die dadurch verursachten Mehrkosten einer notwendigen Unterbringung und Betreuung hinreichend auszugleichen. Die Praxis des Landes, solchen Berufsschülern auf der Grundlage einer Verwaltungs­vorschrift lediglich einen Zuschuss zu den Kosten für die auswärtige Unterkunft zu gewähren, ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes nicht vereinbar.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens absolvierte vom 1. September 2009 bis 31. August 2012 eine Berufs­aus­bildung im Ausbil­dungs­bereich Gärtner/Garten- und Landschaftsbau bei einem Ausbil­dungs­betrieb im Landkreis Reutlingen, wo er auch wohnte. Da eine Fachschulklasse für den Ausbil­dungsberuf Gärtner/Garten- und Landschaftsbau im Landkreis Reutlingen (Regie­rungs­bezirk Tübingen) nicht besteht, besuchte der Kläger seit dem Berufsschuljahr 2009/2010 eine landwirt­schaftliche Berufsschule in Göppingen (Regie­rungs­bezirk Stuttgart) und erfüllte dadurch seine Berufs­schul­pflicht. Zur Wahrnehmung der ca. 63 Blockschultage im Jahr musste der Kläger vor Ort untergebracht werden, da die Berufsschule in Göppingen von seinem Wohnort nicht schultäglich erreicht werden konnte. Die Unterbringung erfolgte in einem der Berufsschule zugeordneten, von einem freien Träger betriebenen Jugendwohnheim. Bis 31. März 2010 betrug der Tagessatz 26 Euro bei voller Verpflegung und Betreuung, danach 29 Euro. Zu diesen Kosten erhielt der Kläger vom Land auf der Grundlage einer Verwal­tungs­vor­schrift einen Zuschuss in Höhe von 6 Euro pro Blockschultag. Den auf Übernahme der nicht gedeckten Kosten gerichteten Antrag des Klägers lehnte das Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart ab. Auf die hiergegen gerichtete Klage hob das Verwal­tungs­gericht Stuttgart den ablehnenden Bescheid auf und stellte fest, dass das beklagte Land dem Grunde nach verpflichtet ist, unter Beachtung der Rechts­auf­fassung des Gerichts dem Kläger eine Erstattung der durch den Besuch des Block­un­ter­richts in der Berufsschule in Göppingen entstandenen Unterbringungs- und Betreu­ungs­kosten zu gewähren. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit der Berufung.

Berufsschüler können sich wegen staat­li­cherseits auferlegter Pflicht zum Schulbesuch nicht den Kosten der auswärtigen Unterbringung entziehen

Die Berufung hatte beim Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg keinen Erfolg. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hielt es für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass der Beklagte auf der Grundlage des § 79 Abs. 3 SchG die Pflicht des Klägers zum Besuch einer auswärtigen Berufsschule begründet, die dadurch verursachten Mehrkosten einer notwendigen Unterbringung und Betreuung aber nicht hinreichend ausgeglichen hat. Würden Berufsschüler in Berufen mit geringer Zahl von Auszubildenden bzw. in sogenannten Splitterberufen, wie der Kläger, zum Besuch einer auswärtigen Berufsschule verpflichtet, würden diese gegenüber Berufsschülern, die ihre Berufs­schul­pflicht ausbildungsort- bzw. beschäf­ti­gungs­ortnah erfüllen, ungleich behandelt. Zwar habe die unter­schiedliche Behandlung der beiden Gruppen im Hinblick auf die Schul­be­zirks­bildung und die örtliche Erfüllung der Schulpflicht für sich genommen einen sachlichen Grund, nämlich die geringe Zahl von Auszubildenden in Splitterberufen. Daher sei die schul­auf­sichts­rechtliche Praxis, eine Berufs­schul­fach­klasse im Interesse eines pädagogisch sinnvollen und ökonomisch vertretbaren Lehrereinsatzes erst ab mindestens 16 Berufsschülern pro Ausbildungsjahr einzurichten, nachvollziehbar. Auch trage das beklagte Land mit der Einrichtung solcher Fachklassen dem Interesse an einer qualitativ guten Ausbildung Rechnung. Indes komme diesen Gründen kein solches Gewicht zu, dass sie auch die unter­schiedliche finanzielle Belastung der Berufsschüler rechtfertigten, die während der Zeit des Block­un­ter­richts auswärts wohnen müssen. Die Entscheidung des Auszubildenden für einen sogenannten Splitterberuf entspreche regelmäßig seiner Begabung oder Neigung. Die unter­schiedliche Behandlung knüpfe damit an ein Persön­lich­keits­merkmal an, das vom Einzelnen tendenziell nicht oder jedenfalls nur eingeschränkt beeinflussbar sei. Der Betroffene habe wegen der staat­li­cherseits auferlegten Pflicht nicht die Möglichkeit, sich den Kosten der auswärtigen Unterbringung zu entziehen. Die Höhe der finanziellen Mehrbelastung mit Kosten in der Größenordnung von 3.000 Euro bis 4.000 Euro pro Ausbildung habe nicht unerhebliche Auswirkungen auf die grundrechtlich geschützte Freiheit der Wahl eines bestimmten Ausbil­dungs­berufs. Die Belastung mit den Kosten der auswärtigen Unterbringung könne zudem eine abschreckende Wirkung insbesondere für Berufsschüler aus einkom­mens­schwachen Bevöl­ke­rungs­schichten haben.

Mehrkosten

Mehrkosten erstatten'> Das Gericht verkenne nicht, dass die Bildung überregionaler Fachklassen insbesondere auf die Initiative der Dachor­ga­ni­sa­tionen der Ausbil­dungs­be­triebe bzw. der nach dem Berufs­bil­dungs­gesetz für die Berufsbildung der Auszubildenden zuständigen Stellen (z.B. Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern) zurückgehe und vor allem deren Bedürfnissen und Interessen entspreche. Der gleich­heits­widrige Zustand beruhe jedoch maßgeblich auf einem Verhalten des Beklagten. Denn die - die Kosten­mehr­be­lastung auslösende - Pflicht des Klägers zum Besuch der auswärtigen Berufsschule sei ausschließlich durch die auf § 79 Abs. 3 SchG gestützte Entscheidung der zuständigen Schul­auf­sichts­behörde über die Einrichtung von überörtlichen Fachklassen und die Zuweisung des Klägers begründet worden, bei der ihr ein erheblicher Entschei­dungs­spielraum zustehe. Das beklagte Land sei daher dem Grunde nach verpflichtet, die dem Kläger entstandenen Mehrkosten zu erstatten. Es könne dabei die wegen der auswärtigen Unterbringung ersparten Verpfle­gungs­auf­wen­dungen abziehen. Dem Land stünden verschiedene Berech­nungs­mög­lich­keiten zur Verfügung, wie es diese Ersparnis für Frühstück-, Mittag- und Abendessen bestimme. Die konkrete Berechnung bleibe dem Beklagten überlassen.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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