24.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil13.12.2010

VGH Baden-Württemberg: Förster hat nach lebens­ge­fähr­lichem Duell mit Rothirsch Anspruch auf erhöhtes RuhegehaltErhöhtes Ruhegehalt als Ausgleich für Leistung besonders gefährlicher Dienst­ver­rich­tungen

Erleidet ein Forstbeamter bei der Suche nach einem ausgebrochenen und in ein Wohngebiet geflüchteten verletzten Hirsch durch diese besonderen Tatumstände lebens­ge­fährliche Verletzungen und muss in den Ruhestand treten, hat er Anspruch auf ein erhöhtes Ruhegehalt. Dies entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg.

Im zugrunde liegenden Fall gab es am 15 Oktober 1995, einem Sonntag, während der Brunftzeit in einem Wildgehege einen Kampf zwischen zwei Rothirschen, in dessen Verlauf der Zaun des Geheges niedergedrückt wurde. Einer der beiden Hirsche, der beim Kampf Verletzungen davongetragen hatte, flüchtete in Richtung St. Blasien. Der von Anwohnern benachrichtigte Kläger verfolgte den Hirsch am Rand der Wohnbebauung, konnte wegen der zahlreichen Zuschauer aber keinen Fangschuss abgeben. Dann verlor er das Tier aus den Augen. Er begegnete ihm schließlich - in nur geringem Abstand - auf einem Wohngrundstück wieder oberhalb der dort in den Hang eingelassenen Garagen. Dort griff ihn der Hirsch unvermittelt an und stürzte ihn die etwa 2,20 Meter hohe Brüstung hinunter. Der Kläger erlitt schwerwiegende Verletzungen, die 2007 zu seiner Versetzung in den Ruhestand führten.

Landesamt für Besoldung und Versorgung lehnt Gewährung eines erhöhten Unfall­ru­he­gehalts ab

Die Gewährung eines erhöhten Unfall­ru­he­gehalts im Hinblick auf die bei dem Dienstunfall bestehende Lebensgefahr lehnte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg ab. Zu der Gefährdung des Klägers sei es nur gekommen, hieß es, weil der Kläger sich unsachgemäß verhalten und die natürliche Fluchtdistanz des Hirsches unterschritten habe. Der Förster klagte vor dem Verwal­tungs­gericht Freiburg ohne Erfolg. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg gab ihm auf seine Berufung hin nach Einnahme eines Augenscheins und Anhörung eines Wildsach­ver­ständigen Recht.

Möglichkeit des erhöhten Unfall­ru­he­gehalt soll Einsatzwillen von Beamten bei gefährlichen Dienst­ver­rich­tungen anspornen

Der Kläger habe Anspruch auf ein erhöhtes Unfall­ru­he­gehalt, weil sich der Dienstunfall bei einer Diensthandlung - der Nachsuche nach dem Hirsch - ereignet habe, mit der für ihn eine besondere Lebensgefahr verbunden gewesen sei, entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof. Das erhöhte Unfall­ru­he­gehalt sei eingeführt worden, um den Einsatzwillen von Beamten anzuspornen, die besonders gefährliche Dienst­ver­rich­tungen zu leisten hätten und dabei erfahrungsgemäß häufiger als andere Beamte dienstunfähig würden. Dieses erhöhte Unfall­ru­he­gehalt werde nicht gewährt, wenn die gefah­rer­hö­henden Momente vor Eintritt des Unfal­le­r­eig­nisses selbst noch nicht vorhanden gewesen und allein auf ein unangemessenes Verhalten des Beamten bei einer typischerweise - auch unter Berück­sich­tigung der Besonderheiten der konkreten Situation - ungefährlichen Diensthandlung zurückzuführen seien. Der Augenschein und die Ausführungen des Sachver­ständigen hätten ergeben, dass dies bei der Nachsuche am 15. Oktober 1995 nicht der Fall gewesen sei.

Ungeplante Stresssituation des Tiers machte eigentlich ungefährliche Diensthandlung zu lebens­ge­fähr­licher Situation

Die Nachsuche nach einem Hirsch sei im Normalfall zwar mit keiner besonderen, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefährdung verbunden. Hier hätten aber besondere Umstände vorgelegen. Der Kläger habe den Hirsch aus den Augen verloren, als dieser einen Jägerzaun zur tiefer gelegenen Wohnbebauung hin durchbrochen habe. Erst auf dem Wohngrundstück oberhalb der Garagen habe er ihn unerwartet wieder getroffen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sei die Nachsuche nach den Ausführungen des Wildsach­ver­ständigen mit einer besonderen Lebensgefahr verbunden gewesen. Der Hirsch sei - verletzt und wegen der Brunftzeit ohnehin von erhöhter Aggressivität - aufgrund der Eingrenzung durch die Wohnbebauung und den ihm gegen­über­ste­henden Kläger seiner Flucht­mög­lich­keiten beraubt gewesen. Diese für das Tier besondere Stresssituation habe zu der Gefährdungslage geführt. Dagegen habe das in den Einzelheiten nicht mehr aufklärbare Verhalten des Klägers unmittelbar vor dem Angriff des Hirschs - insbesondere hinsichtlich seines Bemühens, das Tier zu einer Rückkehr in den Wald hangaufwärts zu bewegen, um einen sicheren Fangschuss anbringen zu können - nach Ausführungen des Sachver­ständigen allein nicht dazu geführt, dass die an sich ungefährliche Diensthandlung zu einer lebens­ge­fähr­lichen Situation geworden sei.

Verhalten des Försters aufgrund seines Verant­wor­tungs­ge­fühlts für Wohnbevölkerung hinsichtlich der vom Hirsch ausgehenden Gefahren korrekt

Auf ein Mitverschulden des Klägers komme es im Rahmen der Unfallfürsorge nicht an, so der Verwal­tungs­ge­richtshof weiter. Ob ein grob dienst­pflicht­widriges Verhalten den Anspruch auf ein erhöhtes Unfall­ru­he­gehalt ausschließe, könne offen bleiben. Denn ein solches sei dem Kläger nicht vorzuwerfen. Zwar hätte er die Nachsuche aufgeben oder unterbrechen, sich über die Treppe an der Westseite des Hauses hangaufwärts von dem Hirsch entfernen und den Polizei­voll­zugs­dienst benachrichtigen können. Dies sei ihm jedoch zum einen aufgrund seiner Verantwortung gegenüber dem leidenden Tier, das er nicht sich selbst habe überlassen wollen, nicht zumutbar gewesen. Zum anderen habe er sich als Forst- und Jagdexperte zu Recht auch für die Abwehr der von dem Hirsch ausgehenden Gefahren für die Wohnbevölkerung verantwortlich gefühlt. Die „richtige“ Verhaltensweise sei nach Auffassung des Sachver­ständigen in dieser einzigartigen, absolut jagdfremden Situation, die andere Maßnahmen erfordert habe, als sie sonst in freier Natur üblich und richtig gewesen wären, nicht auszumachen gewesen.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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