21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil10.11.2010

Beamte verlieren nicht ihren Beihil­fean­spruch, wenn sie die vorgeschriebene (ergänzende) Kranken­ver­si­cherung nicht abschließenDer Zwang zum Abschluss einer ergänzenden Kranken­ver­si­cherung für Beihil­fe­be­rechtigte ist rechtswidrig

Der Ausschluss der Beihilfe für Beamte und Versor­gungs­emp­fänger, die ihrer Verpflichtung, eine ergänzende (private) Kranken­ver­si­cherung abzuschließen, nicht nachkommen, ist rechtswidrig. Dies hat der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg (VGH) in einem Musterverfahren entschieden und mit dem Urteil ein gleichlautendes Urteil des Verwal­tungs­ge­richts Stuttgart bestätigt.

Im hiesigen Verfahren erhält die 1951 geborene Klägerin vom Land Baden-Württemberg, ihrem früheren Arbeitgeber, grundsätzlich Beihilfe in Höhe von 70 % ihrer medizinischen Aufwendungen. Bezüglich der restlichen 30 % ist sie seit dem 01.01.2009 verpflichtet, eine ergänzende (private) Krankenversicherung abzuschließen. Dies beruht darauf, dass der Bundes­ge­setzgeber zum 01.01.2009 eine allgemeine Kranken­ver­si­che­rungs­pflicht für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt hat. Da die Klägerin, die sich bereits seit 1999 wegen Dienstunfähigkeit im Ruhestand befindet, dieser Verpflichtung nicht nachgekommen war, lehnte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg die Bewilligung von Beihilfe zu Aufwendungen für ärztlich verordnete Medikamente ab. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Sie ist der Auffassung, ihr sei der Abschluss einer Kranken­ver­si­cherung nicht zumutbar.

Klägerin kann sich private Kranken­ver­si­cherung nicht leisten

Da sie mit ihren Versor­gungs­ansprüchen in Höhe von ca. 1.550,-- EUR auch ihren Ehemann und ihre Tochter ernähre, könne sie einen Betrag von 455,71 EUR, der für eine private Kranken­ver­si­cherung für ihre Familie monatlich zu zahlen wäre, nicht aufbringen. Das Landesamt vertritt dagegen die Ansicht, der Dienstherr müsse darauf hinwirken, dass Bedienstete und Versor­gungs­emp­fänger sich und ihre Familien nicht finanziellen Risiken in Krank­heits­fällen aussetzten, die sie nicht überschauen könnten. Die Beihil­fe­vor­schriften dürften kein gesetzwidriges Verhalten von Beihil­fe­be­rech­tigten tolerieren oder unterstützen. Dem ist das Verwal­tungs­gericht Stuttgart nicht gefolgt. Auch der VGH gab der Klägerin Recht.

Ausschluss der Beihil­feansprüche verstößt gegen parla­men­ta­rischen Geset­zes­vor­behalt

Der in der Beihil­fe­ver­ordnung geregelte Ausschluss von Beihil­feansprüchen für den Fall, dass der Beihil­fe­be­rechtigte nicht die vorgeschriebene (ergänzende) Kranken­ver­si­cherung abgeschlossen habe, verstoße - so der VGH - gegen den parla­men­ta­rischen Geset­zes­vor­behalt. Für das Beihilfeniveau wesentliche Weichen­stel­lungen - insbesondere durch das Besoldungsrecht nicht kompensierte gravierende Einschnitte, wie etwa hier der vollständige Ausschluss von Beihil­feansprüchen - müssten vom parla­men­ta­rischen Gesetzgeber selbst verantwortet werden. Eine solche ausdrückliche gesetz­ge­be­rische Entscheidung durch den Landes­ge­setzgeber fehle hier.

VGH: Es fehle die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz um Sanktionen auszusprechen

Unabhängig davon fehle dem Landes­ge­setzgeber auch die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz, um im Falle der Nichterfüllung der Versi­che­rungs­pflicht Sanktionen auszusprechen und die Beihilfe zu versagen, so der VGH weiter. Die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz für die Normierung einer allgemeinen Kranken­ver­si­che­rungs­pflicht liege beim Bund, der auch Regelungen für den Fall vorgesehen habe, dass der Bürger seiner Verpflichtung nicht nachkomme. Habe der Bund von seiner Kompetenz in dieser Weise Gebrauch gemacht, bleibe kein Raum für abweichende oder ergänzende landes­rechtliche Vorschriften, um die Erfüllung der Versi­che­rungs­pflicht zu erzwingen. Insbesondere die Fürsorgepflicht des Dienstherrn berechtige das Land hierzu nicht.

Verletzung des Gleich­heits­satzes durch einseitige Zusatzbelastung

Nach Auffassung des VGH begegnet der Beihilfeausschluss ferner - auch wenn man eine landes­rechtliche Regelungs­kom­petenz unterstellt - verfas­sungs­recht­lichen Bedenken unter dem Blickwinkel des Gleich­heits­satzes. Die Beihil­fe­ver­ordnung treffe nur für die Beihil­fe­be­rech­tigten eine zusätzliche belastende Regelung, um die Befolgung der Versi­che­rungs­pflicht zu gewährleisten. Die anderen der Landes­ge­setz­gebung in Baden-Württemberg unterliegenden Bürger würden sich dagegen ausschließlich den bundesrechtlich vorgesehenen Sanktionen gegenübersehen. Für eine solche einseitige Zusatzbelastung der Beihil­fe­be­rech­tigten sei ein sachlicher Diffe­ren­zie­rungsgrund nicht ersichtlich. Es bedeute auch keine Unterstützung gesetzwidrigen Verhaltens, wenn die normale Beihilfe trotz Nichterfüllung der (ergänzenden) Versi­che­rungs­pflicht weiter gewährt werde.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ ra-online

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