24.11.2024
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Dokument-Nr. 19213

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil04.11.2014

Vogel­ab­wehr­anlagen im Weinberg: Nachbarn haben Anspruch auf Maßnahmen zur LärmminderungGänzliche Untersagung des Anlagenbetriebs mangels Gesund­heits­ge­fahren nicht möglich

Der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg hat entschieden, dass das Landratsamt Heilbronn ist verpflichtet, gegen den Lärm automatischer phono­akus­tischer und pyrotechnischer Vogel­ab­wehr­anlagen in einem Weinberg in Neckarwestheim einzuschreiten. Die Anwohner können mangels Gesund­heits­gefahr zwar nicht die Untersagung des Anlagenbetriebs verlangen. Das Landratsamt muss jedoch zum Schutz der Anwohner vor schädlichen Umwelt­ein­wir­kungen Maßnahmen zur Minderung des Lärms anordnen. Die Pflicht des Anlagen­be­treibers, schädliche Umwelt­ein­wir­kungen zu vermeiden und zu minimieren, tritt nicht allein deshalb zurück, weil andere Mittel zur Vergrämung von Vögeln höhere Kosten für Weinbauern verursachen.

Die Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls wohnen oberhalb eines Weinbergs am Rand von Neckarwestheim. Während der Weinberghut (Mitte/Ende August bis Oktober/November) werden zwischen Sonnenaufgang und -untergang im Umkreis von 800 Metern 7-8 automatische Vogel­ab­wehr­anlagen betrieben, davon 3 phonoakustische Geräte und 4-5 pyrotechnische Schussapparate, wobei der geringste Abstand zum Wohnhaus der Kläger 244 m beträgt. Die phono­akus­tischen Geräte erzeugen in unregelmäßigen Sekunden-/Minuten­in­ter­vallen an- und abschwellende Tonfolgen mit mindestens 105 dB(A) Schall­druckpegel, die Vogel­warn­schreie imitieren. Die Schussapparate erzeugen im Abstand einiger Minuten zufällige explo­si­ons­artige Knallgeräusche mit mindestens 140 dB(A) Schall­druckpegel. Ab dem Jahr 2003 beschwerten sich vermehrt Anwohner. Die Kläger beantragten im Jahr 2008, den Betrieb aller Vogel­ab­wehr­anlagen in weniger als 800 m Entfernung zu ihrem Wohnhaus zu untersagen, da der Lärm ihre Gesundheit schädige. Das Landratsamt lehnte das ab.

Klage auf vollständige Untersagung des Anlagenbetriebs abgewiesen

Das Verwal­tungs­gericht verpflichtete die Behörde, über den Antrag der Kläger unter Beachtung der Rechts­auf­fassung des Verwal­tungs­ge­richts neu zu entscheiden, und wies die - auf vollständige Untersagung des Anlagenbetriebs gerichtete - Klage im Übrigen ab. Dagegen legten Kläger und Beklagter Berufungen ein. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hat beide Rechtsmittel nach einer Ortsbe­sich­tigung und Einholung eines Schall­gut­achtens zurückgewiesen und das Urteil des Verwal­tungs­ge­richts mit der Maßgabe bestätigt, dass die Behörde die Rechts­auf­fassung des Verwal­tungs­ge­richtshofs zu beachten hat.

Anlagen überschreitet am derzeitigen Aufstellungsort noch nicht Schwelle zur Gesund­heits­gefahr

Die Kläger hätten nach dem Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­gesetz (BImSchG) keinen Anspruch darauf, dass das Landratsamt den Betrieb der Vogel­ab­wehr­anlagen wegen einer Gesund­heits­gefahr vollständig untersage. Phonoakustische und pyroakustische Vogel­ab­wehr­geräte herkömmlichen Typs könnten zwar im Nahbereich die Gesundheit gefährden, weil ihr Schall­druckpegel an der Schmerzgrenze liege und ein akutes Lärmtrauma hervorrufen könne. Beim derzeitigen Aufstellungsort der Anlagen überschreite der auf das Wohngrundstück der Kläger einwirkende Lärm nach den gesamten Umständen aber noch nicht die Schwelle zur Gesund­heits­gefahr.

Vogel­ab­wehr­anlagen sind als nicht geneh­mi­gungs­be­dürftige landwirt­schaftliche Anlagen vom Anwen­dungs­bereich der TA Lärm ausgenommen

Das Landratsamt sei gleichwohl zum Einschreiten verpflichtet, weil die durch den Betrieb der automatischen Vogel­ab­wehr­anlagen verursachten Lärmimmissionen schädliche Umwelt­ein­wir­kungen seien, die nach dem Stand der Technik vermeidbar bzw. nicht auf ein Mindestmaß beschränkt seien. Die Zumutbarkeit der Lärmimmissionen könne allerdings nicht anhand von Grenz- oder Richtwerten in technischen Regelwerken bestimmt werden. Die Technische Anleitung Lärm (TA Lärm) sei entgegen der Ansicht des Landratsamts nicht anwendbar. Denn die Vogel­ab­wehr­anlagen seien als nicht geneh­mi­gungs­be­dürftige landwirt­schaftliche Anlagen vom Anwen­dungs­bereich der TA Lärm ausgenommen. Die Immis­si­ons­richtwerte der TA Lärm seien wegen des spezifischen Störpotentials und des atypischen Geräusch­cha­rakters der Geräusche von automatischen Vogel­ab­wehr­geräten auch nicht entsprechend anwendbar. Die Zumutbarkeit der Geräu­sch­be­lastung sei folglich in wertender Gesamt­be­trachtung und situa­ti­o­ns­be­zogener Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Danach stellten die ständig wiederkehrenden Tonfolgen und Schüsse erhebliche Belästigungen im Sinne des Immis­si­ons­schutz­rechts dar, vor allem aufgrund der geringen Abstände zur Wohnbebauung, der Vielzahl der Geräte und des Umstands, dass im Durchschnitt alle 40 Sekunden ein Geräuschimpuls zu hören sei.

Betreiber der Anlagen ist zur Vermeidung oder Minimierung der Lärmbelästigung verpflichtet

Der Betreiber der Anlagen sei folglich verpflichtet, die Lärmbelästigung zu vermeiden oder zu minimieren. Dafür stünden geeignete und umweltschonende Alternativen - wie etwa Netze oder der Einsatz von Weinberghütern - zur Verfügung, die den Weinbauern zumindest in den Randlagen zur Wohnbebauung zumutbar seien. Die Pflicht zum Schutz der Bevölkerung vor schädlichen Umwelt­ein­wir­kungen durch Lärm müsse nicht allein deswegen zurücktreten, weil alternative Maßnahmen zur Vergrämung von Vögeln höhere Kosten verursachten. Die wirtschaft­lichen Belastungen der Weinbauern seien vielmehr unter Berück­sich­tigung des Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit mit den Belangen der Bevölkerung abzuwägen.

Kläger könnten keine bestimmten Maßnahmen zur Lärmminderung verlangen

Da die Betreiber ihrer Pflicht zur Vermeidung und Minimierung des Lärms bislang nicht nachgekommen seien, könnten die Kläger verlangen, dass die Immis­si­ons­schutz­behörde einschreite. Wegen des öffentlichen Interesses an einer geordneten Weinberghut seien sie nicht auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Die Kläger könnten aber nicht bestimmte Maßnahmen zur Lärmminderung verlangen. Deren Auswahl liege vielmehr im Ermessen der Behörde. Insoweit seien zumindest die im Schallgutachten des gerichtlichen Sachver­ständigen empfohlenen Maßnahmen erforderlich, wie eine Vergrößerung der Abstände und die Abschirmung besonders störender Geräte zur Wohnbebauung, die Reduzierung von Schussapparaten, Einzelschüssen und Tonfolgen sowie die Verlängerung der Schus­s­in­tervalle. Der Verwal­tungs­ge­richtshof empfiehlt außerdem, die Betroffenen an der Erarbeitung eines Gesamtkonzepts zu beteiligen.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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