23.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil19.08.2010

Untersagung von Bildaufnahmen eines SEK-Einsatzes rechtswidrigAnfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter kann nicht generell von vornherein verboten werden

Die Polizei darf einem Presse­fo­to­grafen grundsätzlich nicht die Anfertigung von Bildaufnahmen eines Polizei­ein­satzes mit der Begründung untersagen, dass bei einer Veröf­fent­lichung der Bilder eine Enttarnung der Beamten des Spezi­al­ein­satz­kom­mandos der Polizei des Landes Baden-Württemberg (SEK) drohe. Das hat der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg entschieden.

Der VGH Baden-Württemberg gab mit der vorliegenden Entscheidung der Berufung eines Zeitungsverlags gegen ein Urteil des Verwal­tungs­ge­richts Stuttgart (VG Stuttgart, Urteil v. 18.12.2008 - 1 K 5415/07 -), das die Untersagung von Bildaufnahmen für rechtmäßig erklärt hatte, statt.

Sachverhalt

Am Vormittag des 16.03.2007 wurde der in einem Strafverfahren wegen gewerbsmäßiger Geldwäsche beschuldigte mutmaßliche Sicherheitschef einer russischen Gruppierung organisierter Kriminalität („Russische Mafia“) mit einem zivilen Sicher­heits­fahrzeug eines Spezi­al­ein­satz­kom­mandos der Polizei des Landes Baden-Württemberg (SEK) in Begleitung von zwei weiteren sonder­ge­schützten Fahrzeugen aus der Justiz­voll­zugs­anstalt, in der er seit August 2006 in Unter­su­chungshaft saß, zu einer Augenarztpraxis in der Fußgängerzone von Schwäbisch Hall verbracht. Der Unter­su­chungs­ge­fangene wurde von zwei Beamten des SEK in die Arztpraxis begleitet, der Einsatzleiter und die übrigen zivil gekleideten und ihre Mannwaffen verdeckt bei sich führenden Beamten verblieben im Eingangsbereich zum Gebäude bzw. in dessen Nähe. Wenig später näherten sich ein Pressefotograf und ein Volontär des klagenden Zeitungsverlags dem Einsatzleiter und fragten nach dem Grund des Einsatzes. Als der Fotoreporter ansetzte, Bilder vom Einsatz zu machen, forderte ihn der Einsatzleiter auf, das Fotografieren zu unterlassen, nach Angaben der Klägerin mit den Worten: „Wenn Sie fotografieren, beschlagnahme ich Ihre Kamera“, „Wenn Sie fotografieren, ist die Kamera weg“. Die Journalisten nahmen daraufhin von ihrem Vorhaben Abstand, entfernten sich auf Aufforderung in Richtung Marktplatz und beobachteten das weitere Geschehen aus etwa 20 Metern Entfernung.

Die Klage des Zeitungsverlags (Klägerin) auf Feststellung, dass die Untersagung der Bildaufnahmen unter Androhung der Beschlagnahme von Kamera und Film im Fall des Zuwiderhandelns rechtswidrig war, hat das Verwal­tungs­gericht Stuttgart im Dezember 2008 abgewiesen. Der VGH hat im Oktober 2009 die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zugelassen.

Der VGH Baden-Württemberg hat der Berufung des Zeitungsverlags gegen das erstin­sta­nzliche Urteil stattgegeben.

Anfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter kann nicht generell von vornherein verboten werden

Da die Presse regelmäßig erst nach Sichtung des Fotomaterials über die Art und Weise der Veröf­fent­lichung und über eine gegebenenfalls erforderliche Unkennt­lich­machung von Personen entscheidet und in dieser Entscheidung durch die in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Pressefreiheit grundsätzlich geschützt ist, kann nicht bereits die Anfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter generell von vornherein verboten werden. Im Hinblick auf die zivil- und straf­recht­lichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröf­fent­lichung muss grundsätzlich von der Rechtstreue eines Presse­fo­to­grafen ausgegangen werden. Dies gilt auch, soweit es um Einsätze besonders gefährdeter SEK-Beamter geht. Die Untersagung von Bildaufnahmen kann daher, wenn nicht im Einzelfall gegenteilige Erkenntnisse vorliegen, nicht darauf gestützt werden, dass eine rechtswidrige Veröf­fent­lichung der Bilder durch die Presse und dadurch eine Enttarnung der SEK-Beamten drohe.

Gemeinsame Sichtung der gefertigten Aufnahmen durch Presse­un­ter­nehmen und Polizei möglich, um Identität der SEK-Beamten zu schützen

Der Gefahr, dass die Identität der SEK-Beamten durch einen kriminellen Zugriff - etwa durch Angehörige der sog. russischen Mafia - auf die gefertigten Bildaufnahmen aufgedeckt wird und dadurch Leben und Gesundheit der SEK-Beamten und ihrer Familien­an­ge­hörigen sowie die Einsatz­fä­higkeit des SEK bedroht sein können, kann im Regelfall - ohne dass es eines Fotogra­fier­verbots bedarf - dadurch wirksam begegnet werden, dass der Pressevertreter um die vorübergehende Herausgabe des Speichermediums bis zu einer gemeinsamen Sichtung der gefertigten Aufnahmen durch Presse­un­ter­nehmen und Polizei aufgefordert wird. Eine solche Vorgehensweise wäre auch hier möglich gewesen. Zeigt sich der Pressevertreter insoweit nicht koope­ra­ti­o­ns­bereit und verweigert die Herausgabe, kommt eine vorübergehende Beschlagnahme des Speichermediums in Betracht. Die Beschlagnahme ist in diesem Fall gegenüber einem Fotogra­fier­verbot mit Blick auf die Pressefreiheit das mildere Mittel, weil sie eine Recherche und im Ergebnis eine Bildbe­rich­t­er­stattung ermöglicht. Die Polizei wäre im Falle einer Beschlagnahme verpflichtet, zeitnah in Kooperation mit dem Presse­un­ter­nehmen über die Speicherung, Bearbeitung, Veröf­fent­lichung und ggf. Löschung der gefertigten Aufnahmen zu entscheiden.

Im Einzelfall kann die Untersagung von Bildaufnahmen gerechtfertigt sein

Der Senat verkennt im Übrigen nicht, dass im Einzelfall die Untersagung von Bildaufnahmen auch gerechtfertigt sein kann, wenn - wie vom beklagten Land vorgetragen - bereits das Hantieren eines Fotoreporters mit der Kamera bei Passanten zusätzliches Aufsehen erregen und zu einer unüber­sicht­lichen Situation führen kann, bei der im Fall einer etwaigen Gefan­ge­nen­be­freiung konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit der Anwesenden bestehen können. Hier hat sich indes weder der Begründung des mündlich ausgesprochenen Fotogra­fier­verbots noch den vom Einsatzleiter im Laufe des Verfahrens abgegebenen Stellungnahmen entnehmen lassen, dass dieser in der konkreten Situation eine solche Gefahr im Blick gehabt hätte. Eine solche Gefahr hat auch objektiv nicht bestanden. Der Einsatz war ohne besondere Vorkommnisse nahezu beendet und es herrschte zum fraglichen Zeitpunkt nur geringer bis mäßiger Fußgän­ger­verkehr.

Quelle: ra-online, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

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