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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil19.08.2010
Untersagung von Bildaufnahmen eines SEK-Einsatzes rechtswidrigAnfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter kann nicht generell von vornherein verboten werden
Die Polizei darf einem Pressefotografen grundsätzlich nicht die Anfertigung von Bildaufnahmen eines Polizeieinsatzes mit der Begründung untersagen, dass bei einer Veröffentlichung der Bilder eine Enttarnung der Beamten des Spezialeinsatzkommandos der Polizei des Landes Baden-Württemberg (SEK) drohe. Das hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden.
Der VGH Baden-Württemberg gab mit der vorliegenden Entscheidung der Berufung eines Zeitungsverlags gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG Stuttgart, Urteil v. 18.12.2008 - 1 K 5415/07 -), das die Untersagung von Bildaufnahmen für rechtmäßig erklärt hatte, statt.
Sachverhalt
Am Vormittag des 16.03.2007 wurde der in einem Strafverfahren wegen gewerbsmäßiger Geldwäsche beschuldigte mutmaßliche Sicherheitschef einer russischen Gruppierung organisierter Kriminalität („Russische Mafia“) mit einem zivilen Sicherheitsfahrzeug eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei des Landes Baden-Württemberg (SEK) in Begleitung von zwei weiteren sondergeschützten Fahrzeugen aus der Justizvollzugsanstalt, in der er seit August 2006 in Untersuchungshaft saß, zu einer Augenarztpraxis in der Fußgängerzone von Schwäbisch Hall verbracht. Der Untersuchungsgefangene wurde von zwei Beamten des SEK in die Arztpraxis begleitet, der Einsatzleiter und die übrigen zivil gekleideten und ihre Mannwaffen verdeckt bei sich führenden Beamten verblieben im Eingangsbereich zum Gebäude bzw. in dessen Nähe. Wenig später näherten sich ein Pressefotograf und ein Volontär des klagenden Zeitungsverlags dem Einsatzleiter und fragten nach dem Grund des Einsatzes. Als der Fotoreporter ansetzte, Bilder vom Einsatz zu machen, forderte ihn der Einsatzleiter auf, das Fotografieren zu unterlassen, nach Angaben der Klägerin mit den Worten: „Wenn Sie fotografieren, beschlagnahme ich Ihre Kamera“, „Wenn Sie fotografieren, ist die Kamera weg“. Die Journalisten nahmen daraufhin von ihrem Vorhaben Abstand, entfernten sich auf Aufforderung in Richtung Marktplatz und beobachteten das weitere Geschehen aus etwa 20 Metern Entfernung.
Die Klage des Zeitungsverlags (Klägerin) auf Feststellung, dass die Untersagung der Bildaufnahmen unter Androhung der Beschlagnahme von Kamera und Film im Fall des Zuwiderhandelns rechtswidrig war, hat das Verwaltungsgericht Stuttgart im Dezember 2008 abgewiesen. Der VGH hat im Oktober 2009 die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zugelassen.
Der VGH Baden-Württemberg hat der Berufung des Zeitungsverlags gegen das erstinstanzliche Urteil stattgegeben.
Anfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter kann nicht generell von vornherein verboten werden
Da die Presse regelmäßig erst nach Sichtung des Fotomaterials über die Art und Weise der Veröffentlichung und über eine gegebenenfalls erforderliche Unkenntlichmachung von Personen entscheidet und in dieser Entscheidung durch die in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Pressefreiheit grundsätzlich geschützt ist, kann nicht bereits die Anfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter generell von vornherein verboten werden. Im Hinblick auf die zivil- und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung muss grundsätzlich von der Rechtstreue eines Pressefotografen ausgegangen werden. Dies gilt auch, soweit es um Einsätze besonders gefährdeter SEK-Beamter geht. Die Untersagung von Bildaufnahmen kann daher, wenn nicht im Einzelfall gegenteilige Erkenntnisse vorliegen, nicht darauf gestützt werden, dass eine rechtswidrige Veröffentlichung der Bilder durch die Presse und dadurch eine Enttarnung der SEK-Beamten drohe.
Gemeinsame Sichtung der gefertigten Aufnahmen durch Presseunternehmen und Polizei möglich, um Identität der SEK-Beamten zu schützen
Der Gefahr, dass die Identität der SEK-Beamten durch einen kriminellen Zugriff - etwa durch Angehörige der sog. russischen Mafia - auf die gefertigten Bildaufnahmen aufgedeckt wird und dadurch Leben und Gesundheit der SEK-Beamten und ihrer Familienangehörigen sowie die Einsatzfähigkeit des SEK bedroht sein können, kann im Regelfall - ohne dass es eines Fotografierverbots bedarf - dadurch wirksam begegnet werden, dass der Pressevertreter um die vorübergehende Herausgabe des Speichermediums bis zu einer gemeinsamen Sichtung der gefertigten Aufnahmen durch Presseunternehmen und Polizei aufgefordert wird. Eine solche Vorgehensweise wäre auch hier möglich gewesen. Zeigt sich der Pressevertreter insoweit nicht kooperationsbereit und verweigert die Herausgabe, kommt eine vorübergehende Beschlagnahme des Speichermediums in Betracht. Die Beschlagnahme ist in diesem Fall gegenüber einem Fotografierverbot mit Blick auf die Pressefreiheit das mildere Mittel, weil sie eine Recherche und im Ergebnis eine Bildberichterstattung ermöglicht. Die Polizei wäre im Falle einer Beschlagnahme verpflichtet, zeitnah in Kooperation mit dem Presseunternehmen über die Speicherung, Bearbeitung, Veröffentlichung und ggf. Löschung der gefertigten Aufnahmen zu entscheiden.
Im Einzelfall kann die Untersagung von Bildaufnahmen gerechtfertigt sein
Der Senat verkennt im Übrigen nicht, dass im Einzelfall die Untersagung von Bildaufnahmen auch gerechtfertigt sein kann, wenn - wie vom beklagten Land vorgetragen - bereits das Hantieren eines Fotoreporters mit der Kamera bei Passanten zusätzliches Aufsehen erregen und zu einer unübersichtlichen Situation führen kann, bei der im Fall einer etwaigen Gefangenenbefreiung konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit der Anwesenden bestehen können. Hier hat sich indes weder der Begründung des mündlich ausgesprochenen Fotografierverbots noch den vom Einsatzleiter im Laufe des Verfahrens abgegebenen Stellungnahmen entnehmen lassen, dass dieser in der konkreten Situation eine solche Gefahr im Blick gehabt hätte. Eine solche Gefahr hat auch objektiv nicht bestanden. Der Einsatz war ohne besondere Vorkommnisse nahezu beendet und es herrschte zum fraglichen Zeitpunkt nur geringer bis mäßiger Fußgängerverkehr.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.08.2010
Quelle: ra-online, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
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