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- Dauerobservation: Aus Sicherungsverwahrung Entlassener Sexualstraftäter durfte dauerhaft überwacht werdenVerwaltungsgericht Saarlouis, Urteil28.11.2012, 6 K 745/10
- Dauerobservation eines entlassenen Sicherungsverwahrten kann nur vorläufig auf polizeirechtliche Generalklausel gestützt werdenBundesverfassungsgericht, Beschluss08.11.2012, 1 BvR 22/12
- VGH Baden-Württemberg: Ehemalige Sicherungsverwahrte können kein Ende der Überwachung verlangenVerfassungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss07.03.2011, 1 S 184/11, 1 S 185/11 und 1 S 186/11
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss31.01.2013
Keine polizeiliche Observation eines entlassenen Gewalt- und Sexualstraftäters ohne aktuelles Gutachten zur RückfallgefahrVGH Baden-Württemberg ordnet Observationsverbot an
Ein bereits aus der Sicherheitsverwahrung entlassener Gewalt- und Sexualstraftäter darf vorläufig nicht weiter observiert werden, wenn es an einer genügenden Gefahrenprognose auf Grundlage eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens fehlt. Auch verschiedene ermittelte Umstände nach Entlassung des Antragstellers rechtfertigen dessen weitere Observation nicht. Dies entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.
In dem vorzuliegenden Fall wurde der Antragsteller wegen schwerer Gewalt- und Sexualdelikte zu Jugend- und Freiheitsstrafen verurteilt. Bei seiner letzten Verurteilung ordnete das Gericht Sicherungsverwahrung an. In der Zeit der Sicherungsverwahrung wurden kriminalprognostische psychiatrische Gutachten über den Antragsteller erstellt. Während ein Gutachten vom 23.09.2010 eine Rückfallgefahr für Gewalt- oder Sexualdelikte noch bejahte, verneinte ein weiteres Gutachten vom 14.10.2011 eine solche Gefahr. Daraufhin erklärte das Oberlandesgericht die Sicherungsverwahrung im Dezember 2011 für erledigt. Der Antragsgegner stufte den Antragsteller nach der “Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“ (KURS) gleichwohl in die höchste Gefährdungsstufe ein und ließ ihn nach seiner Entlassung fortlaufend durch Polizeibeamte observieren. Mit seinem Eilantrag begehrte der Antragsteller, dem Antragsgegner eine weitere Observation zu verbieten. Das Verwaltungsgericht Freiburg lehnte den Antrag ab. Auf die Beschwerde des Antragstellers gab der VGH dem Eilantrag statt.
Keine Versagung bei zwei Jahre zurückliegendem psychiatrischen Gutachten
Die polizeiliche Observation eines ehemals sicherungsverwahrten entlassenen Straftäters erfordere eine konkrete Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person bzw. zur Vorbeugung der Bekämpfung von Verbrechen. Eine solche vom Antragsteller ausgehende Gefahr sei mangels eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr derzeit nicht mit der Sicherheit festzustellen, die eine Ablehnung seines Eilantrags rechtfertigen könnte. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem - einen ähnlichen Fall betreffenden - Kammerbeschluss vom 8. November 2012 (1 BvR 22/12) entschieden, einem entlassenen Straftäter dürfe der Eilrechtsschutz gegen eine polizeiliche Observation nicht auf der Grundlage eines mehr als zwei Jahre zurückliegenden psychiatrischen Gutachtens aus der Zeit der Sicherungsverwahrung versagt werden. An diesen Maßstab sei der Senat gebunden. Gemessen daran könne dem Antragsteller der begehrte Eilrechtsschutz nicht versagt werden.
Verhalten des Antragstellers nach Entlassung spricht gegen Rückfallgefahr
Das letzte psychiatrische Gutachten vom 14.10.2011 aus der Zeit der Sicherungsverwahrung verneine eine Rückfallgefahr. Auf das eine solche Gefahr noch bejahende Gutachten vom 23.09.2010 könne die Observation nicht mehr gestützt werden, weil es aus der Zeit der Sicherungsverwahrung stamme und älter als zwei Jahre sei. Eine Risikobewertung nach dem Sicherheitsprogramm KURS sei schon deshalb kein hinreichendes kriminalprognostisches psychiatrisches Gutachten, weil sie ohne Exploration des Antragstellers erstellt werde. Schließlich ergäben sich auch aus dem Verhalten des Antragstellers nach seiner Entlassung keine Tatsachen für eine hinreichende Gefahr. Die vom Antragsgegner angeführten persönlichen Kontakte des Antragstellers zu einer unter Alias-Namen auftretenden Person, die in der Vergangenheit wegen Sexualdelikten in Erscheinung getreten sei, seien insoweit unergiebig. Gleiches gelte für ein einmaliges kurzes Gespräch des Antragstellers mit einem zehnjährigen Jungen über dessen Hund. Auch die vom Antragsgegner dargelegten aufbrausend aggressiven bis depressiven Unmutsäußerungen des Antragstellers gegenüber den ihn observierenden Polizeibeamten seien keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine die Observation rechtfertigende Gefahr. Stimmungsschwankungen dieser Art könnten Folgen der dauernden Observation sein. Bei dieser Sachlage komme die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr im vorliegenden Eilverfahren nicht in Betracht.
Psychiatrische Begutachtung bedarf einer speziellen Ermächtigungsgrundlage
Der Senat bemerkt abschließend, es spreche einiges dafür, dass die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung ehemals Sicherungsverwahrter durch die Polizei auf der Grundlage des Polizeigesetzes Baden-Württemberg gegebenenfalls nach einer Übergangszeit voraussichtlich einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedürfte.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.02.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online
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