15.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss31.01.2013

Keine polizeiliche Observation eines entlassenen Gewalt- und Sexual­straf­täters ohne aktuelles Gutachten zur RückfallgefahrVGH Baden-Württemberg ordnet Obser­va­ti­o­ns­verbot an

Ein bereits aus der Sicher­heits­ver­wahrung entlassener Gewalt- und Sexual­straftäter darf vorläufig nicht weiter observiert werden, wenn es an einer genügenden Gefah­ren­prognose auf Grundlage eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens fehlt. Auch verschiedene ermittelte Umstände nach Entlassung des Antragstellers rechtfertigen dessen weitere Observation nicht. Dies entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg.

In dem vorzuliegenden Fall wurde der Antragsteller wegen schwerer Gewalt- und Sexualdelikte zu Jugend- und Freiheits­s­trafen verurteilt. Bei seiner letzten Verurteilung ordnete das Gericht Sicherungsverwahrung an. In der Zeit der Siche­rungs­ver­wahrung wurden krimi­na­l­pro­gno­s­tische psychiatrische Gutachten über den Antragsteller erstellt. Während ein Gutachten vom 23.09.2010 eine Rückfallgefahr für Gewalt- oder Sexualdelikte noch bejahte, verneinte ein weiteres Gutachten vom 14.10.2011 eine solche Gefahr. Daraufhin erklärte das Oberlan­des­gericht die Siche­rungs­ver­wahrung im Dezember 2011 für erledigt. Der Antragsgegner stufte den Antragsteller nach der “Konzeption zum Umgang mit rückfa­ll­ge­fährdeten Sexual­straf­tätern“ (KURS) gleichwohl in die höchste Gefähr­dungsstufe ein und ließ ihn nach seiner Entlassung fortlaufend durch Polizeibeamte observieren. Mit seinem Eilantrag begehrte der Antragsteller, dem Antragsgegner eine weitere Observation zu verbieten. Das Verwal­tungs­gericht Freiburg lehnte den Antrag ab. Auf die Beschwerde des Antragstellers gab der VGH dem Eilantrag statt.

Keine Versagung bei zwei Jahre zurückliegendem psychiatrischen Gutachten

Die polizeiliche Observation eines ehemals siche­rungs­ver­wahrten entlassenen Straftäters erfordere eine konkrete Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person bzw. zur Vorbeugung der Bekämpfung von Verbrechen. Eine solche vom Antragsteller ausgehende Gefahr sei mangels eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr derzeit nicht mit der Sicherheit festzustellen, die eine Ablehnung seines Eilantrags rechtfertigen könnte. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht habe in seinem - einen ähnlichen Fall betreffenden - Kammerbeschluss vom 8. November 2012 (1 BvR 22/12) entschieden, einem entlassenen Straftäter dürfe der Eilrechtsschutz gegen eine polizeiliche Observation nicht auf der Grundlage eines mehr als zwei Jahre zurückliegenden psychiatrischen Gutachtens aus der Zeit der Siche­rungs­ver­wahrung versagt werden. An diesen Maßstab sei der Senat gebunden. Gemessen daran könne dem Antragsteller der begehrte Eilrechtsschutz nicht versagt werden.

Verhalten des Antragstellers nach Entlassung spricht gegen Rückfallgefahr

Das letzte psychiatrische Gutachten vom 14.10.2011 aus der Zeit der Siche­rungs­ver­wahrung verneine eine Rückfallgefahr. Auf das eine solche Gefahr noch bejahende Gutachten vom 23.09.2010 könne die Observation nicht mehr gestützt werden, weil es aus der Zeit der Siche­rungs­ver­wahrung stamme und älter als zwei Jahre sei. Eine Risikobewertung nach dem Sicher­heits­programm KURS sei schon deshalb kein hinreichendes krimi­na­l­pro­gno­s­tisches psychiatrisches Gutachten, weil sie ohne Exploration des Antragstellers erstellt werde. Schließlich ergäben sich auch aus dem Verhalten des Antragstellers nach seiner Entlassung keine Tatsachen für eine hinreichende Gefahr. Die vom Antragsgegner angeführten persönlichen Kontakte des Antragstellers zu einer unter Alias-Namen auftretenden Person, die in der Vergangenheit wegen Sexualdelikten in Erscheinung getreten sei, seien insoweit unergiebig. Gleiches gelte für ein einmaliges kurzes Gespräch des Antragstellers mit einem zehnjährigen Jungen über dessen Hund. Auch die vom Antragsgegner dargelegten aufbrausend aggressiven bis depressiven Unmut­s­äu­ße­rungen des Antragstellers gegenüber den ihn observierenden Polizeibeamten seien keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine die Observation rechtfertigende Gefahr. Stimmungs­schwan­kungen dieser Art könnten Folgen der dauernden Observation sein. Bei dieser Sachlage komme die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr im vorliegenden Eilverfahren nicht in Betracht.

Psychiatrische Begutachtung bedarf einer speziellen Ermäch­ti­gungs­grundlage

Der Senat bemerkt abschließend, es spreche einiges dafür, dass die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung ehemals Siche­rungs­ver­wahrter durch die Polizei auf der Grundlage des Polizeigesetzes Baden-Württemberg gegebenenfalls nach einer Übergangszeit voraussichtlich einer speziellen Ermäch­ti­gungs­grundlage bedürfte.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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