18.10.2024
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Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss21.03.2017

Keine Fahr­erlaubnis­entziehung nach drei Geschwin­digkeits­über­tretungenVG erklärt Anordnung eines medizinisch-psychologische Gutachtens für rechtswidrig

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt hat entschieden, dass die Stadt Ludwigshafen am Rhein einem Bewohner zu Unrecht die Fahrerlaubnis entzogen hat, nachdem dieser nach drei Geschwin­digkeits­über­tretungen das von der Stadt geforderte medizinisch-psychologische Gutachten (MPG) nicht vorgelegt hat.

Der Antragsteller des zugrunde liegenden Falls ist seit 2008 im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B. Er wurde im Zeitraum Februar 2015 bis Mai 2016 wegen der folgenden Geschwin­dig­keits­über­schrei­tungen belangt:

- am 6. Februar 2015 Überschreitung der zulässigen Höchst­ge­schwin­digkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 70 km/h um 34 km/h nach Toleranzabzug,

- am 14. Dezember 2015 Überschreitung der zulässigen Höchst­ge­schwin­digkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 23 km/h nach Toleranzabzug auf einer BAB,

- am 13. Mai 2016 Überschreitung der zulässigen Höchst­ge­schwin­digkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 120 km/h um 56 km/h nach Toleranzabzug auf einer BAB.

Stadt verlangt Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens

Nach Bekanntwerden dieser Tatsachen verlangte die Stadt Ludwigshafen am Rhein (Antragsgegnerin) am 7. Oktober 2016 von dem Antragsteller die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Unter­su­chungs­stelle, um bestehende Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers auszuräumen. Hiermit war der Antragsteller zunächst einverstanden und unterzog sich einer entsprechenden Untersuchung. Das Gutachten legte er dann aber mit der Begründung nicht vor, dieses leide an elementaren Mängeln.

Antragsteller hält Fahrer­laub­nis­ent­ziehung für rechtswidrig

Daraufhin entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 3. Januar 2017 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und suchte um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führte er aus, dass die Fahrer­laub­nis­ent­ziehung rechtswidrig sei, weil schon die Anordnung der Antragsgegnerin zur Beibringung eines MPG unver­hält­nismäßig gewesen sei. Er habe drei Ordnungs­wid­rig­keiten wegen Geschwin­dig­keits­über­schrei­tungen begangen. Davon hätten sich zwei Übertretungen im unteren Bereich bewegt. Es liege kein Fall eines wiederholten und erheblichen, gegen verkehrs­rechtliche Vorschriften eingetretenen Verstoßes vor, der seine Kraft­fah­r­eignung in Frage stelle.

Antragsgegnerin stützt sich zu Unrecht auf nicht beigebrachte MPU

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt gab dem Eilantrag statt und führte zur Begründung aus, dass die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegne. Die Antragsgegnerin habe ihre Entscheidung vom 3. Januar 2017 zu Unrecht darauf gestützt, dass der Antragsteller das angeordnete MPG zum Nachweis seiner Fahreignung nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist beigebracht habe. Denn die auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 der Fahrer­laub­nis­ver­ordnung (FeV) gestützte Gutach­tensan­for­derung sei nicht rechtmäßig gewesen.

Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV steht in Spannungs­ver­hältnis zu § 4 Straßen­ver­kehrs­gesetz

Nach dieser Vorschrift könne bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrs­rechtliche Vorschriften die Beibringung eines MPG zur Klärung von Eignungs­zweifeln angeordnet werden. Der Antragsteller habe unstreitig wiederholt gegen verkehrs­rechtliche Vorschriften verstoßen. Die Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV stehe aber in einem Spannungs­ver­hältnis zu § 4 Straßen­ver­kehrs­gesetz (StVG), wonach die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor den Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrs­vor­schriften verstoßenden Fahrzeugführern ausgingen, die in § 4 Abs. 5 StVG genannten Maßnahmen (Speicherung von Punkten, Ermahnung, Verwarnung, Entziehung der Fahrerlaubnis) zu ergreifen habe. Das Fahreignungs-Bewer­tungs­system beinhalte die Bewertung von Verkehrs­zu­wi­der­hand­lungen mit einer nach Art und Schwere der Verstöße festgelegten Punktzahl und das Ergreifen abgestufter Maßnahmen der Fahrer­laub­nis­behörde bei Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punkteschwellen. Es bezwecke eine Verein­heit­lichung der Behandlung von Mehrfachtätern und solle dem Betroffenen Gelegenheit geben, aufgetretene Mängel durch Teilnahme an Fahreig­nungs­se­minaren möglichst frühzeitig zu beseitigen. Das abgestufte System rechtfertige die Annahme, dass Personen, die acht oder mehr Punkte erreicht hätten, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen seien. Aus dem Fahreignungs-Bewer­tungs­system ergebe sich damit, dass der Gesetzgeber bewusst die weitere Straßen­ver­kehrs­teilnahme von Kraftfahrern mit einem nicht unerheblichen "Sündenregister", weil mehrfach gegen Verkehrs­vor­schriften verstoßen worden sei, in Kauf genommen habe.

Anordnung einer sofortigen medizinisch-psychologischen Untersuchung bedarf konkreter Begründung

Das Ergreifen anderer Maßnahmen gegen den Fahrer­laub­nis­inhaber wegen Eignungs­zweifeln, die sich aus den im Fahreignungs-Bewer­tungs­system erfassten Verkehrs­ver­stößen ergäben, sei zwar nicht ausgeschlossen. Dadurch werde im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von acht Punkten im Fahreig­nungs­re­gister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wirksam ausgeschlossen oder besondere Eignungszweifel durch weitergehende Maßnahmen, wie z. B. eine medizinisch-psychologische Untersuchung, sofort geklärt werden könnten. Allerdings müsse dies auf eng begrenzte, besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt sein. Die Fahrer­laub­nis­behörde müsse präzise begründen, warum sie es aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall anderer "Punktesünder" abheben müsse, aufgrund einer Würdigung der Gesamt­per­sön­lichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrs­ord­nungs­wid­rig­keiten für unerlässlich halte, die Fahreig­nungs­be­denken sofort durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu klären, ohne dem Betroffenen die Chance zu belassen, zuvor das unter der Geltung des Fahreignungs-Bewer­tungs­systems stark reduzierte Hilfsangebot des § 4 StVG wahrzunehmen.

Antragsteller hätte schriftlich ermahnt und auf Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme an Fahreig­nungs­seminar hingewiesen werden müssen

Besondere und einzel­fa­ll­be­zogene andere Erkenntnisse, die ein Abweichen von dem Fahreignungs-Bewer­tungs­system im vorliegenden Fall rechtfertigen würden, habe die Antragsgegnerin in ihrer Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers nicht aufgezeigt. Da die Voraussetzungen für ein Abweichen von dem Bewer­tungs­system des § 4 StVG nicht vorlägen, greife hier das Regime des Fahreignungs-Bewer­tungs­systems. Danach sei der Antragsteller, zu dessen Lasten im Fahreig­nungs­re­gister vier Punkte eingetragen seien, schriftlich zu ermahnen und darauf hinzuweisen, dass ein Fahreig­nungs­seminar freiwillig besucht werden könne, um das Verkehrs­ver­halten zu verbessern.

Quelle: Verwaltungsgericht Neustadt/ra-online

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