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Verwaltungsgericht Göttingen Urteil02.07.2008

Pflicht­mit­glied­schaft in der Ärztekammer ist verfas­sungsgemäßZwangs­mit­glied­schaft verstößt nicht gegen Europäische Menschen­rechts­kon­vention

Das Verwal­tungs­gericht Göttingen hat entschieden, dass die Regelung zur Pflicht­mit­glied­schaft von Ärzten in der Ärztekammer Niedersachsen weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Europäische Menschen­rechts­kon­vention verstößt.

Der Kläger ist ein nieder­ge­lassener Arzt für Allge­mein­medizin und bat die beklagte Ärztekammer Niedersachsen um Entlassung aus der Zwangsmitgliedschaft bei ihr. Zur Begründung führte er unter Hinweis auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus, eine solche Zwangs­mit­glied­schaft zum Zwecke der Berufsausübung sei mit Art. 11 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht zu vereinbaren. Dieses Ansinnen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.05.2006 ab.

Dagegen erhob der Kläger Klage, wiederholte seinen bisherigen Vortrag und führte ergänzend aus, zur Erledigung der Aufgaben der Beklagten bedürfe es einer Zwangs­mit­glied­schaft nicht. Das Gericht folgte der Argumentation des Klägers nicht.

Grundsatz der negativen Vereinsfreiheit nicht verletzt

Es führte unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts aus, die Zwangs­mit­glied­schaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband wie der Beklagten berühre nicht den Grundsatz der sog. negativen Vereinigungsfreiheit. Der Schutz der Verei­ni­gungs­freiheit greife ein, wenn es um einen privat­recht­lichen Zusammenschluss natürlicher oder juristischer Personen gehe, der auf der Basis der Freiwilligkeit erfolge. An dieser Freiwilligkeit fehle es bei Berufskammern, so dass die Mitgliedschaft in ihnen von vornherein nicht dem Vereinsbegriff des Art. 9 Abs. 1 GG unterfielen.

Keine Verletzung der allgemeinen Handlungs­freiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG

Die Zwangs­mit­glied­schaft verletze den Kläger auch nicht in seiner allgemeinen Handlungs­freiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts sei die Gründung von Zwangsverbänden und die Inanspruchnahme als Mitglied derartiger Zwangs­kor­po­ra­tionen zulässig, wenn diese öffentlichen Aufgaben dienten und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig sei. Dies sei im Hinblick auf die Beklagte der Fall, die nach § 9 Abs. 1 HKG Aufgaben habe, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft bestünde und die weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden könnten noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählten, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss. Wenn der Staat solche Aufgaben (wie z.B. die Quali­täts­si­cherung im Gesund­heitswesen, Einrichtung von Schlich­tungs­stellen zur Prüfung von Behand­lungs­fehlern, Hinwirken auf eine ausreichende ärztliche Versorgung und Erstattung von Gutachten für Behörden und Gerichte) einer eigens für diesen Zweck gebildeten Körperschaft des öffentlichen Rechts übertrage, handele er grundsätzlich im Rahmen des ihm hier zustehenden weiten Ermessens.

Kein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention

Entgegen der Auffassung des Klägers verstoße seine Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten auch nicht gegen Art. 11 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht der Versammlungs- und Verei­ni­gungs­freiheit gewährleistet und nach dem alle Menschen das Recht haben, sich frei mit anderen zusam­men­zu­schließen. Auch der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 EMRK betreffe nicht Abwehransprüche gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangs­ver­ei­ni­gungen. Etwas anderes gelte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) lediglich dann, wenn die Berufstätigen durch den Zusammenschluss in der Kammer an der Gründung oder am Beitritt zu anderen berufs­s­tän­dischen Vereinigungen gehindert werden würden. Dies sei in Deutschland, wo zahlreiche weitere berufs­s­tän­dische Vereinigungen von Ärzten existierten, nicht der Fall. Aus dem vom Kläger angeführten Urteil des EGMR ergebe sich nichts Abweichendes. Das Urteil habe die Frage der Pflicht­mit­glied­schaft in einer Gewerkschaft und damit in einer privat­recht­lichen Vereinigung von Arbeitnehmern, deren satzungsgemäße Aufgabe im Wesentlichen in der Wahrnehmung und Förderung der Interessen ihrer Mitglieder liegt betroffen. Es stelle im Schwerpunkt darauf ab, dass unter Umständen die Pflicht des Staates bestehe, zum Schutz der Verei­ni­gungs­freiheit in die Beziehungen zwischen Privatpersonen einzugreifen. Es betreffe daher eine mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Rechtsfrage. Anhaltspunkte dafür, dass der EGMR mit der vom Kläger zitierten Entscheidung von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen und den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 EMRK auf Abwehransprüche gegen öffentlich-rechtliche Zwangs­ver­ei­ni­gungen habe ausweiten wollen, bestünden nicht.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Göttingen vom 10.07.2008

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