18.10.2024
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Verwaltungsgericht Gießen Urteil05.03.2013

Arzt muss ärztliche Berufspflichten auch nach Behand­lungs­ab­schluss einhaltenArzt baute Briefkontakt zu seiner jungen Patientin auf und drang somit in ihre Privatsphäre ein

Verstößt ein Facharzt für Kinderheilkunde mit der Zusatz­be­zeichnung "Psychotherapie" gegen seine Berufspflichten wegen unangemessenen Kontakts zu einer jugendlichen Patientin nach Abschluss der Behandlung, so ist ein Verweis zu erteilen und eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro aufzuerlegen. Dies hat das Verwal­tungs­gericht Gießen entschieden.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der Arzt vor einigen Jahren eine damals 15-jährige Patientin, die er zuvor bereits als Kinderarzt behandelt hatte, wegen puper­täts­be­dingter Probleme und erzieherischer Probleme auch in psycho­the­ra­peu­tischer Hinsicht behandelt. Wenige Wochen nach Abschluss von vier probatorischen Sitzungen, nach denen die Patientin nicht weiter in die Praxis kam, gestand der Arzt seiner minderjährigen Patientin in mehreren handschrift­lichen Briefen seine tiefe Zuneigung und ließ sich davon, wie auch von Telefonaten, nicht abhalten, nachdem die Jugendliche mehr Distanz verlangt hatte.

Arzt darf Vertrau­ens­stellung nicht ausnutzen

Das Gericht sah in dem Verhalten des Beschuldigten einen Verstoß gegen seine ärztlichen Berufspflichten aus § 22 Heilbe­rufs­gesetz. Zu der danach gebotenen gewissenhaften Berufsausübung gehöre es auch, eine Vertrauensstellung, die ein Arzt aus Sicht des jeweiligen Patienten bzw. der jeweiligen Patientin genieße, nicht durch ein Verhalten auszunutzen, das gegen die Würde und das Selbst­be­stim­mungsrecht des Patienten/der Patientin verstößt, seine/ihre Privatsphäre missachtet und beim Umgang mit dem Patienten/der Patientin keine Rücksicht auf die Situation des/der Betreffenden nimmt.

Beschuldigter betrieb in die Privatsphäre hinein­rei­chenden Kontakt

Der Beschuldigte habe durch den Briefkontakt mit einem Inhalt, der weit in die Privatsphäre und das Seelenleben der Jugendlichen eingedrungen sei und dadurch, dass er diesen auch weiter gepflegt habe, nachdem die Jugendliche ihm zu verstehen gegeben habe, dass sie den Kontakt beenden möchte, gegen die vorbezeichneten Regeln zur ärztlichen Berufsausübung verstoßen. Das Gericht ließ dahinstehen, aus welcher Motivation heraus der Beschuldigte diesen in die Privatsphäre hinein­rei­chenden Kontakt so intensiv betrieben habe, denn die Motive seien für den Verstoß gegen die vorbezeichneten Regelungen in Abschnitt C Nr. 1 BO unerheblich. Insbesondere sei er auch nicht angeschuldigt, sexuelle Kontakte aufgenommen oder geduldet zu haben.

Kontakt nicht als außer­be­ruf­liches Verhalten zu betrachten

Weiter führt das Gericht aus, die Kontakte seien auch nicht als außer­be­ruf­liches Verhalten einzustufen. Denn der Beschuldigte habe über die psycho­the­ra­peu­tischen probatorischen Sitzungen das Vertrauen der Patientin erlangt, das zu einer ärztlichen Garan­ten­stellung geführt habe. Darüber hinaus habe er auch als von der Patientin in früheren Zeiten konsultierter Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin eine besondere Vertrau­ens­stellung genossen, die im Arzt-Patienten-Verhältnis unerlässlich sei, um Heilerfolge herbeizuführen. Die besondere Vertrau­ens­stellung eines Arztes führe, je nach Fachrichtung und individueller Patien­ten­si­tuation, zu einem „Ungleichgewicht“ in der Beziehung zum Patienten, weil der/die körperlich oder psychisch angeschlagene Patient/Patientin in dem Arzt eine Person sehe, die Hilfe/Heilung bringen kann und somit ein Übergewicht besitze.

Behand­lungs­pflichten eines Psycho­the­ra­peuten müssen mindestens sechs Monate nach Abschluss der Sitzung fortwirken

Dies gelte in ganz besonderem Maße bei jugendlichen Patientinnen oder Patienten und darüber hinaus im Rahmen einer psycho­the­ra­peu­tischen Konsultation, wie dies vorliegend der Fall gewesen sei. Bei professionellem Verhalten habe daher ein Arzt davon auszugehen, dass eine - wie vorliegend - pupertierende Patientin, welche Schwierigkeiten mit Eltern, Schule und unter Umständen mit sich selbst, habe, sich dem Arzt gegenüber nicht auf „gleicher Augenhöhe“ begreife und Abwehr­me­cha­nismen gegen jegliche Art „übergriffigen Verhaltens“ nur langsam in Gang kämen. Wörtlich führt das Gericht aus: „Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass jedenfalls in Fällen der vorliegenden Fachrichtungen die in Abschnitt C Nr. 1 BO niedergelegten Pflichten korrekter ärztlicher Berufsausübung beim Umgang mit Patienten nicht nur während des akuten Arzt-Patienten-Verhältnisses besonders sensibel zu beachten sind, sondern diese Pflichten auch nach Abschluss der konkreten ärztlichen Behandlung für einen gewissen Zeitraum fortwirken. Dieser Zeitraum ist danach zu bemessen, welche Art ärztlicher Behandlung vorgelegen hat und wird bei einem Chirurgen kürzer zu bemessen sein, als bei einer psycho­the­ra­peu­tischen Behandlung, insbesondere sofern es sich um Jugendliche handelt. Vorliegend bedarf es keiner absoluten Grenzziehung in der Fortwirkung des Umgangsgebots aus Abschnitt C Nr. 1 BO. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die Behand­lungs­pflichten der vorbezeichneten Art bei einem Arzt-Patienten-Verhältnis, welches auf der Ausübung des ärztlichen Berufs auf der Grundlage der Zusatz­be­zeichnung „Psychotherapie“ beruht, mindestens sechs Monate nach Abschluss der letzten Sitzung fortwirkt.“

Quelle: Verwaltungsgericht Gießen/ra-online

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