22.11.2024
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Dokument-Nr. 31474

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Beschluss25.02.2022Verwaltungsgericht Gießen10 L 271/22.GI
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Verwaltungsgericht Gießen Beschluss25.02.2022

Anspruch auf Genese­nen­nachweis mit sechsmonatiger GültigkeitDie zum 15. Januar 2022 in Kraft getretene Neufassung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnah­men­ver­ordnung ist verfas­sungs­widrig

Das Verwal­tungs­gericht Giesen hat den Lahn-Dill-Kreis verpflichtet, einer im Kreisgebiet wohnhaften Antragstellerin nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 eine Bescheinigung über ihren Genesenenstatus mit einer Gültig­keitsdauer von sechs Monaten auszustellen.

Am 24. Dezember 2021 wurde bei der Antragstellerin eine PCR-Testung vorgenommen, die den Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ergab. Das Gesundheitsamt des Antragsgegners (Lahn-Dill-Kreis) erlangte hiervon Kenntnis und übersandte der Antragstellerin eine Bescheinigung, die mit "Genese­nen­nachweis / Recovery Certification SARS-CoV-2 gemäß § 2 Nr. 5 COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnah­men­ver­ordnung (SchAusnahmV)" überschrieben ist und einen Gültig­keits­zeitraum vom 21. Januar bis 24. März 2022 ausweist. Der Versand der Bescheinigung beruhte auf einer Verwal­tung­s­praxis des Antragsgegners, nach welcher an sämtliche Personen mit Wohnsitz im Gebiet des Antragsgegners, von deren mittels PCR-Test bestätigter SARS-CoV-2-Infektion das Gesundheitsamt Kenntnis erlangte, ohne Antrag automatisch ein solcher Genesenennachweis übersandt wurde. Diese Praxis beendete der Antragsgegner Mitte Januar 2022.

Antragstellerin begehrt Genese­nen­nachweis mit sechsmonatiger Gültigkeit

Die Antragstellerin wandte sich am 9. Februar 2022 mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz an das Verwal­tungs­gericht und begehrte vom Lahn-Dill-Kreis die Neuaus-stellung eines Genese­nen­nach­weises mit einer Gültig­keitsdauer von sechs Monaten. Sie vertrat die Auffassung, die zum 15. Januar 2022 in Kraft getretene Änderung von § 2 Nr. 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnah­men­ver­ordnung, durch die wegen des neu eingefügten dynamischen Verweises auf die unter der Internetadresse "www.rki.de/covid-19-genese­nen­nachweis" veröf­fent­lichten Vorgaben des Robert Koch-Instituts die Gültig­keitsdauer des Genese­nen­nach­weises derzeit nicht mehr sechs Monate, sondern bereits 90 Tage nach Abnahme des positiven PCR-Tests endet, sei verfas­sungs­widrig.

Der Lahn-Dill-Kreis wandte ein, für eine eigene Entscheidung durch ihn über die Dauer des Genesenenstatus bestehe kein Spielraum. Nicht er, sondern die Bundesrepublik Deutschland sei der richtige Antragsgegner. Denn die Voraussetzungen für den Genese­nen­nachweis ergäben sich aus der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnah­men­ver­ordnung in Verbindung mit den Vorgaben, die das Robert Koch-Institut als Bundesbehörde treffe.

Nach der Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts hat die Antragstellerin im vorliegenden Fall einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner ihr einen Genese­nen­nachweis mit einer Gültigkeit bis zum 24. Juni 2022 ausstellt. Dieser Anspruch folge aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Der Antragsgegner habe, nachdem die COVID-19-Schutzmaßnamen-Ausnah­men­ver­ordnung im Mai 2021 in Kraft getreten sei, ohne hierzu verpflichtet zu sein, in ständiger Verwal­tung­s­praxis jeder im Gebiet des Landkreises wohnhaften Person, von deren positiver PCR-Testung auf das Virus SARS-CoV-2 er Kenntnis erhalten habe, einen Genese­nen­nachweis ausgestellt, der den aus § 2 Nr. 5 SchAusnahmV folgenden Gültig­keits­zeitraum enthielt. Diese Praxis habe er erst Mitte Januar 2022 aufgegeben, wobei noch an diejenigen Personen die Genese­nen­nachweise verschickt worden seien, die vor dem 21. Januar 2022 getestet worden waren. Sofern eine Behörde im Rahmen einer ständigen Verwal­tung­s­praxis bei gleich­ge­la­gerten Sachverhalten stets in derselben Weise entscheide, verbiete der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine willkürliche Abweichung im Einzelfall.

Gericht: Die zum 15. Januar 2022 in Kraft getretene Neufassung ist verfas­sungs­widrig

Hinsichtlich des Gültig­keits­zeitraums sei jedoch die ursprüngliche Fassung von § 2 Nr. 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnah­men­ver­ordnung und nicht die aktuelle Fassung dieser Vorschrift anzuwenden. Die ursprüngliche Fassung gelte fort, da die zum 15. Januar 2022 in Kraft getretene Neufassung verfas­sungs­widrig und daher nichtig sei. Durch den darin nunmehr enthaltenen Verweis auf die vom Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse "www.rki.de/covid-19-genese­nen­nachweis" veröf­fent­lichten Vorgaben, denen der Genese­nen­nachweis entsprechen muss, werde eine Subdelegation an eine nachgeordnete Bundesbehörde vorgenommen, die unzulässig sei, weil sie der an die Bundesregierung gerichteten Ermächtigung zum Erlass von Rechts­ver­ord­nungen im Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz nicht mehr entspreche. Zudem liege darin, dass der Genesenenstatus von Vorgaben abhängig sei, die lediglich auf einer Internetseite veröffentlicht würden, deren Inhalt sich ständig ändern könne, ein Verstoß gegen die verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben für die Verkündung von Rechtsnormen.

Quelle: Verwaltungsgericht Giesen, ra-online (pm/pt)

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