18.10.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.
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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss12.07.2018

Abschiebung eines als Gefährder eingestuften Tunesiers weiterhin nicht möglichVG geht weiterhin von Foltergefahr und unmenschliche Behandlungen aus

Ein tunesischer Staats­an­ge­höriger, der im Verdacht steht, Leibwächter von Osama Bin Laden gewesen zu sein und von den deutschen Behörden als islamistischer Gefährder eingestuft wird, kann vorläufig nicht nach Tunesien abgeschoben werden. Damit bleibt das für ihn festgestellte Abschie­bungs­verbot für Tunesien bis zu einer abschließenden Entscheidung im Klageverfahren wirksam. Dies geht aus einem unanfechtbaren Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts Gelsenkirchen hervor.

Im vorliegenden Fall stellte bereits mit Bescheid vom 21. Juni 2010 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgrund eines Urteils des Verwal­tungs­ge­richts Düsseldorf und mit Bestätigung der wesentlichen Aussagen dieses Urteils durch das Oberver­wal­tungs­gericht für das Land NRW (OVG) fest, dass der Kläger nicht nach Tunesien zurückgeführt werden dürfe, da ihm dort Folter und unmenschliche Behandlung drohe (Abschie­bungs­verbot nach § 60 Abs. 2 des Aufent­halts­ge­setzes in der damals geltenden Fassung).

VG hebt Widerruf des Bescheides auf

Mit Bescheid vom 17. Juli 2014 widerrief das BAMF diese Feststellung, weil sich nach dem Umsturz in Tunesien seit Anfang des Jahres 2011 (sog. Arabischer Frühling) die Verhältnisse so geändert hätten, dass dem Kläger die früher festgestellten Gefahren nun nicht mehr drohten. Diesen Widerruf hob das Verwal­tungs­gericht Gelsenkirchen mit Urteil vom 15. Juni 2016 auf (7a K 3661/14.A).

BAMF widerruft erneut Feststellung des Abschie­bungs­verbots

Mit Bescheid vom 20. Juni 2018 widerrief das BAMF die Feststellung dieses Abschie­bungs­verbotes erneut und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides an. Hiergegen richtet sich der mit Beschluss vom am 12. Juli 2018 beschiedene Antrag des Tunesiers.

VG: Sicherheit des Antragstellers nach wie vor nicht gewährleistet

Der Einschätzung des BAMF vermochte sich das Gericht nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht anzuschließen und verblieb damit im Ergebnis bei seiner Einschätzung im Urteil vom 15. Juni 2016. Das Gericht konnte - anders als das BAMF in dem Bescheid vom 20. Juni 2018 - nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in Tunesien so weit geändert hätten, dass für den Antragsteller im Fall der Rückkehr nach Tunesien keine beachtliche Gefahr mehr bestehe. Eine diplomatische verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung, dass dem Antragsteller im Falle der Rückkehr keine Folter drohe, liegt nach den Feststellungen des Gerichts nicht vor. Die Erklärung des tunesischen Ministers für Menschenrechte vom 1. Mai 2018 sei nicht gegenüber staatlichen Stellen, sondern allein gegenüber einem deutschen Presseorgan abgegeben worden und reicht deshalb nach Auffassung der Kammer nicht aus, um die Sicherheit des Antragstellers vor menschen­rechts­widriger Behandlung in Tunesien zu gewährleisten.

Abschie­be­an­drohung trotz Abschie­bungs­verbot rechtmäßig

Aufgrund der aktuellen Wider­ruf­s­ent­scheidung des BAMF drohte die Auslän­der­behörde der Stadt Bochum dem Antragsteller die Abschiebung nach Tunesien an. Diese Maßnahme ist aufgrund der bisher bestehenden tatsächlichen Duldung des Aufenthalts des Klägers in Deutschland erforderlich, um eine Abschiebung zu ermöglichen. Mit Beschluss vom 11. Juli 2018 (8 L 1240/18) hat das für die aufent­halts­recht­lichen Maßnahmen zuständige Verwal­tungs­gericht Gelsenkirchen die Abschiebungsandrohung für rechtmäßig erachtet, da der Antragsteller ausrei­se­pflichtig ist. Die Abschie­bung­s­an­drohung kann unabhängig vom Bestehen der durch das BAMF zu prüfenden Abschie­bungs­verbote ausgesprochen werden und dient lediglich der rechtlichen Vorbereitung der tatsächlichen Abschiebung.

Hinter­grun­d­in­for­ma­tionen:

Der 1976 geborene Kläger ist tunesischer Staats­an­ge­höriger, der 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland eingereist ist. Ihm wurde vorgeworfen, im Jahr 2000 eine militärische und ideologische Ausbildung in einem Ausbil­dungslager der Al Kaida in Afghanistan absolviert und zeitweise zur Leibgarde von Osama Bin Laden gehört zu haben. Anschließend soll er sich in Deutschland als salafistischer Prediger betätigt haben. Der Kläger hat diese Vorwürfe stets bestritten. Die Bundes­an­walt­schaft hatte gegen ihn ein straf­recht­liches Ermitt­lungs­ver­fahren eingeleitet, aber schließlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Gleichwohl nahm die Auslän­der­behörde der Stadt Bochum die genannten Vorwürfe zum Anlass, den Kläger auszuweisen.

Bereits 2006 Asylantrag gestellt

Bereits im Jahr 2006 hatte der Kläger einen Asylantrag gestellt, mit dem er geltend gemacht hatte, dass er wegen ihm in Tunesien drohender menschen­rechts­widriger Behandlung nicht nach Tunesien zurückgeführt werden könne.

VG: Islamistische oder salafistische Vergangenheit spielt bei Foltergefahr keine Rolle

Das Gericht stellte in seiner Entscheidung vom 15. Juni 2016 insbesondere klar, dass die Frage islamistischer oder salafistischer Vergangenheit oder Betätigung des Klägers für die Entscheidung keine Rolle gespielt habe. Dem Verbot, Menschen der Folter auszusetzen, komme im internationalen und nationalen Recht ein so hoher Stellenwert zu, dass niemand einem entsprechenden Risiko ausgesetzt werden dürfe.

Quelle: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen/ ra-online

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