21.11.2024
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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss29.12.2010

VG Freiburg: Rund-um-die-Uhr-Bewachung für Sexual­straftäter nicht zu beanstandenEinschränkungen der privaten Lebens­ge­staltung müssen angesichts der noch von den Tätern ausgehenden Gefahren hingenommen werden

Das Verwal­tungs­gericht Freiburg hat Eilanträge dreier aus der Strafhaft entlassener Sexual­straftäter abgelehnt, mit denen sie die Beendigung der polizeilichen Observation im Anschluss an die Siche­rungs­ver­wahrung erwirken wollten.

Die drei Männer waren Mitte des Jahres 2010 als Folge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden und werden seither in Freiburg rund um die Uhr von der Polizei observiert. Der Leiter der Polizei­di­rektion Freiburg hatte die längerfristige Observation nach § 22 Absatz 6 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg (PolG) angeordnet und in der Folgezeit verlängert, nachdem die Risikobewertung des Landes­kri­mi­nalamts ergeben hatte, dass von allen drei Tätern mit erhöhter Wahrschein­lichkeit nach wie vor Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit Dritter ausgingen. Gegen die Observation suchten die Betroffenen beim Verwal­tungs­gericht Freiburg um vorläufigen Rechtsschutz nach und machten geltend, von ihnen gehe keine Gefahr mehr aus. Außerdem verstoße die Art und Weise der Observation gegen ihr Recht auf individuelle Selbst­be­stimmung und ihre Menschenwürde.

Überwachung nicht zu beanstanden – Polizei­voll­zugs­dienst muss jedoch Gefah­ren­pro­gnosen den sich wandelnden Verhältnissen gegebenenfalls anpassen

Das Verwal­tungs­gericht Freiburg ist diesem Vorbringen nicht gefolgt. Das Gericht führte aus, dass die Antragsteller die plausible Risikobewertung des Landes­kri­mi­nalamts und die einschlägigen psychiatrischen Gutachten nicht hinreichend in Frage gestellt hätten. Daher sei die Einschätzung der Polizei­di­rektion, die Observation der Antragsteller sei derzeit (noch) zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person (§ 22 Absatz 3 Nummer 1 PolG) bzw. zur Vorbeugung der Bekämpfung von Verbrechen (§ 22 Absatz 3 Nummer 2, Absatz 5 Nummer 1 PolG) angezeigt, voraussichtlich nicht zu beanstanden. Allerdings sei der Polizei­voll­zugs­dienst auch gehalten, seine Gefah­ren­prognose den sich wandelnden Verhältnissen gegebenenfalls anzupassen. Namentlich biete das Polizeirecht keine Handhabe zur Dauer-Überwachung von Menschen, von denen anzunehmen sei, dass das in der Vergangenheit prognostizierte Risiko zwischen­zeitlich nicht mehr oder nur noch eingeschränkt bestehe oder bei denen andere - mildere - Mittel in gleicher Weise zur Gefahrenabwehr geeignet sein könnten. Jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sei jedoch weiter von einer konkreten Gefahrenlage für hochrangige Rechtsgüter Dritter auszugehen, nachdem die Antragsteller sich während der Siche­rungs­ver­wahrung einer therapeutischen Aufarbeitung ihrer Sexual­straftaten versagt hätten und ihnen derzeit auch kein belastbarer „sozialer Empfangsraum“ zur Verfügung stehe.

Straftätern muss trotz Observation geeigneter und ausreichender Freiraum zugestanden werden

Allerdings müsse die Observation dem in Art. 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Absatz 1 GG unverbrüchlich garantierten Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung Rechnung tragen. Die Menschen­wür­de­ga­rantie des Grundgesetzes erfordere, dass die Betroffenen nicht Gefahr liefen, zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert zu werden. Das sei der Fall, wenn die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lasse, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukomme und zwar auch dann, wenn der von der Observation Betroffene die Menschenwürde seiner Opfer bei der Begehung von Straftaten mit Vehemenz negiert habe. Der Staat habe beim Umgang mit gefährlichen Menschen dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden verfas­sungs­recht­lichen Gebot unbedingter Achtung des Kernbereichs privater Lebens­ge­staltung in jedem Falle Rechnung zu tragen. Dies setze voraus, dass der Einzelne über einen dafür geeigneten und ausreichenden Freiraum verfüge.

Obser­va­ti­o­ns­be­din­gungen werden Anforderungen hinsichtlich der Achtung des Kernbereichs privater Lebens­ge­staltung gerecht

Die Observation durch den Polizei­voll­zugs­dienst werde diesen Anforderungen voraussichtlich gerecht, zumal nach dem Einsatzkonzept der Polizei in den Wohnräumen der Antragsteller keine Observation stattfinde und außerhalb der eigenen Wohnräume eine vertrauliche Kommunikation der Antragsteller, z.B. mit Rechtsanwälten und Ärzten, möglich sei. Gleichwohl sei nicht zu verkennen, dass die Antragsteller sich außerhalb ihres Wohnraums nur in dem Bewusstsein fortbewegen könnten, dass ihnen Polizeibeamte folgen. Hierdurch würden sie in ihrer privaten Lebens­ge­staltung in erheblicher Weise beeinträchtigt und - was auch im Hinblick auf ihre Integration in die Gesellschaft schädlich sei - für die Außenwelt stigmatisiert. Diese Einschränkungen der privaten Lebens­ge­staltung müssten aber angesichts der von ihnen nach Einschätzung des Landes­kri­mi­nalamts und der Gutachter noch ausgehenden Gefahren derzeit hingenommen werden.

Quelle: Verwaltungsgericht Freiburg/ra-online

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