15.11.2024
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Dokument-Nr. 6790

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Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Beschluss26.09.2008

Getrennte Verträge über Vermietung von Wohnraum und Gewährung von Betreuung stehen der Anwendbarkeit des Heimgesetzes nicht entgegenZur Anwendung des Heimgesetzes auf eine Wohnge­mein­schaft mit älteren, pflege­be­dürftigen bzw. behinderten Menschen

Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob auf eine Wohnge­mein­schaft mit älteren Menschen, die pflegebedürftig sind und allesamt Wohnungen in einem Haus gemietet haben, wo sie auch betreut werden, das Heimgesetz anwendbar ist. Die Heimaufsicht verfügte die Schließung der "Alten­pfle­ge­ein­richtung", weil sie den Anforderungen an die bauliche Beschaffenheit von Heimen nicht gerecht wurde.

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine von der Heimaufsicht verfügte Schließung einer Alten­pfle­ge­ein­richtung in Frankfurt am Main. Sie ist (Mit-)Initiatorin der Gründung sogenannter Wohnge­mein­schaften für Demenzkranke in Frankfurt am Main. Im November 2002 wurde eine derartige Wohnge­mein­schaft in einer Maisonette-Wohnung im 12. und 13. Obergeschoß eines Hauses in Eckenheim eröffnet. Das Haus ist in Eigen­tums­woh­nungen aufgeteilt. Im Juni 2003 kam eine weitere Wohnung auf denselben Etagen hinzu. Später wurden noch zwei Wohnungen im 9. und 10. OG des Hauses von verschiedenen Eigentümern durch Einzelverträge der Bewohnerinnen und Bewohner angemietet. Die Betreuung, Pflege und hauswirt­schaftliche Versorgung der Bewohner erfolgte von Anfang an durch die Antragstellerin und ihre Mitar­bei­te­rinnen, zunächst jahrelang in Kooperation mit einem ambulanten Pflegedienst der ebenfalls Mitinitiatorin des Projekts war. Nach einem Zerwürfnis zwischen der Antragstellerin und dem ambulanten Pflegedienst ging sie eine neue Kooperation mit anderen Pflegediensten ein.

Bereits im Jahre 2003 wurde die Heimaufsicht aufgrund verschiedener Anzeigen von Miteigentümern des Hauses bzw. Nachbarn der Wohngruppen ebenso wie verschiedene Dienste der Stadt Frankfurt (Sozialamt, Gesundheitsamt, Ordnungsamt, Bauamt, Wohnungsamt) tätig. Ein im Januar 2004 eingeleitetes Anhörungs­ver­fahren mit dem Ziel der Feststellung eines Heimbetriebs wurde nicht weiterbetrieben. Im Juli 2008 erfolgte eine erneute Überprüfung aller vier Wohnungen durch die Heimaufsicht, nachdem Unregel­mä­ßig­keiten angezeigt worden waren und Angehörige einer Bewohnerin sich im Zuge der eskalierenden Ausein­an­der­set­zungen an verschiedene Medien gewandt hatten.

Heimaufsicht verfügt Schließung der Einrichtung

Mit Bescheid vom 9. September 2008 untersagte die Heimaufsicht die von der Antragstellerin betriebenen Einrichtungen und ordnete die sofortige Vollziehung der Untersagung an. Sie ist der Ansicht, dass die Antragstellerin in den vier Wohnungen ein Heim betreibe, das nicht den Anforderungen des Heimgesetzes entspreche.

Am 16.09.2008 hat die Antragstellerin Eilrechtsschutz gegen die Schlie­ßungs­ver­fügung beantragt. Sie vertritt die Auffassung, das Heimgesetz sei nicht anwendbar, weil hier die Vermietung der Wohnungen und die Betreuung sowie die Pflege nicht in einer Hand lägen. Sie unterhalte keine wie auch immer gearteten Beziehungen zu den vier Vermietern. Die Mieter hätten unter­schiedliche ambulante Pflegedienste beauftragt, die sich teilweise des Personals der Antragstellerin zur Erbringung von Pflege­leis­tungen bedienen würden. Für die Mieter bestehe insoweit Wahlfreiheit, von der sie auch Gerbrauch machten. Der Pflege­dienst­wechsel sei nicht von der Antragstellerin verlasst worden. Zwischen den Mietern und ihr bestünden keine schriftlichen Vereinbarungen über die von ihr erbrachten Betreu­ungs­leis­tungen. Weshalb ausgerechnet sie als angebliche Heimträgerin herausgegriffen werde, sei unerfindlich.

Richter: Frist für die Schließung ist zu knapp bemessen

Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der Antragsgegnerin teilweise befristet bis zum 31. Januar 2009 wieder­her­ge­stellt und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zur Begründung hat die für das Heimrecht zuständige 3. Kammer des Verwal­tungs­ge­richts Frankfurt am Main ausgeführt, das Wohnprojekt der Antragstellerin erfülle sämtliche gesetzlichen Merkmale eines Heims und darüber hinaus typische sonstige Charakteristika von Alten­pfle­ge­heimen. So werde die Einrichtung entgeltlich betrieben und diene dem Zweck, den in § 1 Abs. 1 des Heimgesetzes genannten Personenkreis, nämlich ältere oder pflege­be­dürftige bzw. behinderte Menschen aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten. Die Einrichtung sei zudem in ihrem Bestand vom Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig. Die Pflege im engeren Sinne werde auch weitgehend von der Antragstellerin und ihren Mitar­bei­te­rinnen geleistet. Trotz der postulierten Wahlfreiheit der Bewohner in Bezug auf den ambulanten Pflegedienst kämen in der Einrichtung nur solche Pflegedienste zum Zuge, die bereit seien, den Pflegedienst der Antragstellerin als Subunternehmer zu beschäftigen, um ihr so die Abrechnung mit den gesetzlichen Kassen zu ermöglichen. Aufgrund der von der Antragstellerin geschaffenen Gesamtstruktur der Einrichtung könne keine Rede davon sein, dass ambulante Pflegedienste unabhängig von der Antragstellerin tätig würden. Vielmehr seien die Bewohner strukturell von ihr abhängig. Diese Abhängigkeit bezöge sich auch auf die Überlassung des Wohnraums an die Bewohner, obwohl sie selbst nicht als Vermieterin auftrete.

Einheitliches (Heim-) Vertrags­ver­hältnis für Anwendung des Heimgesetzes nicht erforderlich

Das Heimgesetz verlange aber auch kein einheitliches (Heim-) Vertrags­ver­hältnis. Es könnten anstelle eines Heimvertrages auch zwei getrennte Verträge über die Vermietung von Wohnraum und über die Gewährung von Betreuung und Pflege vorliegen, ohne dass eine solche Einrichtung die Eigenschaften eines Heims nach § 1 Abs. 1 Heimgesetz verliere. Entscheidend für die Qualifizierung einer derartigen Einrichtung als Heim sei, ob zwischen dem Vermieter und dem Pflegedienst eine gewisse rechtliche oder tatsächliche Abhängigkeit bestehe, die Wohnen und Betreuen aus dem Blickwinkel der Bewohner als einheitliche Gesamtleistung erscheinen lasse, bzw. ob die Aufspaltung der Verträge gewählt worden sei, um die Bestimmungen des Heimgesetzes zu umgehen. Insgesamt sei festzustellen, dass die Antragstellerin sich sowohl nach Innen als auch nach Außen stets als Leiterin der Einrichtung dargestellt habe und auch so wahrgenommen worden sei. Nach alledem unterfalle die von der Antragstellerin betriebene Einrichtung dem Heimgesetz.

Heim entspricht nicht den Anforderungen an den Brandschutz

Da das Heim aber wesentlichen Anforderungen nach § 11 des Heimgesetzes hinsichtlich seiner baulichen Beschaffenheit, seinen Anforderungen an den Brandschutz und an notwendige sanitäre Einrichtungen nicht genüge, sei eine Betriebsuntersagung nach § 19 des Heimgesetzes gerechtfertigt, da auch Anordnungen zur Behebung der festgestellten Mängel nicht ausreichen würden. Allerdings sei die zur Schließung des Heims gesetzte Frist zum 23. September 2008 äußerst knapp bemessen worden, so dass der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit verletzt werde. Aus diesem Grund sei nach § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO die Frist zur Schließung des Heims angemessen zu verlängern gewesen. Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hat deshalb die Vollziehung bis zum 31. Januar 2009 ausgesetzt, um den dort untergebrachten Personen Gelegenheit zu geben, entweder aktiv bei der Gestaltung von anderen Kleingruppen mit häuslicher Atmosphäre oder bei ihrer Unterbringung in geeignete andere Einrichtungen mitwirken zu können.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 21/08 des VG Frankfurt am Main vom 06.10.2008

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