18.10.2024
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Dokument-Nr. 34176

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Beschluss05.06.2024Verwaltungsgericht Berlin18 K 342/22
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Verwaltungsgericht Berlin Beschluss05.06.2024

BAföG für Studierende darf nicht geringer sein als BürgergeldVG Berlin legt Verfahren dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht vor

Die Regelungen im Bundes­ausbildungs­förderungs­gesetz (BAföG) über die Höhe der Ausbildungs­förderung für Studierende im Jahr 2021 verstoßen gegen das Grundgesetz. Das hat das Verwal­tungs­gericht Berlin entschieden.

Die jetzt 29 Jahre alte Klägerin studierte ab 2016 Medizin an der Charité und erhielt für das Studium antragsgemäß Ausbil­dungs­för­derung. Ihre Klage auf höhere Ausbil­dungs­för­derung für das 1. Studienjahr stellte das VG auf Antrag der Klägerin und des BAföG-Amtes zurück im Hinblick auf ein beim BVerfG anhängiges Paral­lel­ver­fahren. Dieses legte das Verfahren im Mai 2021 dem BVerfG vor, weil es die Höhe der Ausbil­dungs­för­derung für Studierende im Jahr 2014 für verfassungswidrig hielt. Das BVerfG hat über die Vorlage noch nicht entschieden. Wegen der Höhe der BAföG-Leistungen für das 5. Studienjahr (Oktober 2021 bis September 2022) hat die Klägerin erneut Klage erhoben. Sie macht weiterhin geltend, die für Studierende geltenden Bedarfssätze seien in verfas­sungs­widriger Weise zu niedrig bemessen.

Pauscha­lie­rungs­be­fugnis an verfas­sungs­recht­licher Grenze

Das VG hat die Sache dem BVerfG vorgelegt, weil die BAföG-Regelungen zum Grundbedarf für Studierende sowie zum Unter­kunfts­bedarf für nicht bei den Eltern lebende Studierende mit dem verfas­sungs­recht­lichen Teilhaberecht auf gleich­be­rech­tigten Zugang zu staatlichen Ausbil­dungs­an­geboten (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht vereinbar seien. Dieses Teilhaberecht verpflichte den Gesetzgeber, für die Wahrung gleicher Bildungschancen Sorge zu tragen und im Rahmen der staatlich geschaffenen Ausbil­dungs­ka­pa­zitäten allen entsprechend Qualifizierten eine (Hochschul-) Ausbildung zu ermöglichen. Dem hieraus folgenden Rechtsanspruch auf Ausbil­dungs­för­derung habe der Gesetzgeber mit den BAföG-Regelungen zwar dem Grunde nach Rechnung getragen. Er habe jedoch mit der konkreten Festlegung der für 2021 geltenden Bedarfssätze für Studierende - sowohl mit dem Grundbedarf als auch mit dem Unter­kunfts­bedarf - die Gewährleistung eines ausbil­dungs­be­zogenen Existenz­mi­nimums verfehlt.

Unter­kunfts­kosten dürfen nicht bundesweit gleich berechnet werden

Die Höhe des Grundbedarfes von 427 Euro sei evident zu niedrig gewesen, weil sie signifikant niedriger gewesen sei als die Regel­be­da­rfsstufe 1 bei Hartz IV (ab 2023: Bürgergeld) in Höhe von 446 Euro. Die Höhe des Unter­kunfts­bedarfs von 325 Euro sei evident zu niedrig gewesen, weil im Sommersemester 2021 bereits 53 Prozent der Studierenden monatliche Mietausgaben von 351 Euro aufwärts gehabt hätten, dabei knapp 20 Prozent zwischen 400 und 500 Euro sowie weitere rund 20 Prozent mehr als 500 Euro. Zudem könne als Vergleichs­maßstab nicht ein Gesamt­durch­schnitt der Unter­kunfts­kosten im gesamten Bundesgebiet genommen werden, sondern nur ein Durch­schnittswert der Unter­kunfts­kosten am Studienort der studierenden Person oder jedenfalls an vergleichbaren Studienorten. Die Pauscha­lie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers finde bei der Gewährleistung des existenziellen und ausbil­dungs­be­zogenen Unter­kunfts­bedarfs von Studierenden jedenfalls dann eine verfas­sungs­rechtliche Grenze, wenn - wie 2021 - die durch­schnitt­lichen Unter­kunfts­kosten Studierender im Vergleich der Bundesländer bis zu 140 Euro differieren (von 456 Euro in Hamburg bis 317 Euro in Thüringen), im Vergleich der einzelnen Hochschulorte sogar bis zu 230 Euro (von 495 Euro in München bis 266 Euro in Freiberg/Sachsen).

Bedarfssatz falsch berechnet

Außerdem beruhe die Festlegung der Bedarfssätze auf verschiedenen schwerwiegenden methodischen Fehlern. So habe der Gesetzgeber fehlerhaft als Referenzgruppe solche Studie­ren­den­haushalte miteinbezogen, die lediglich über ein Einkommen in Höhe der BAföG-Leistungen verfügten. Mögliche Nebenverdienste der Studierenden und Kindergeld dürften ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Es müsse eine Differenzierung zwischen Kosten für den Lebensunterhalt und Kosten für die Ausbildung bzw. zwischen Kosten der Unterkunft und Kosten für die Heizung erfolgen. Die Bedarfssätze müssten zeitnah an sich ändernde wirtschaftliche Verhältnisse angepasst werden. Diese Vorgaben seien hier nicht beachtet worden. Da das VG als Fachgericht nicht befugt ist, die Verfassungswidrigkeit eines Parla­ments­ge­setzes selbst festzustellen, hat das VG das Verfahren ausgesetzt und die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.

Quelle: Verwaltungsgericht Berlin, ra-online (pm/ab)

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