21.11.2024
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Staatsgerichtshof des Landes Hessen Urteil10.12.2007

Hessisches Kopftuchverbot ist verfas­sungsgemäßStaatliche Funktionsträger müssen Neutralität widerspiegeln

Der Hessische Staats­ge­richtshof hat auf den Normen­kon­trol­lantrag der Hessischen Landes­an­walt­schaft hin entschieden, dass die Vorschriften des Hessischen Beamtengesetzes zum Tragen eines Kopftuches im Dienst mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar sind. Diese verstoßen insbesondere nicht gegen die Glaubens­freiheit, das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern oder das Gebot der Gleich­be­handlung von Frau und Mann, sondern schützen vielmehr das Grundrecht auf negative Glaubens­freiheit sowie den Grundsatz der politischen, religiösen und weltan­schau­lichen Neutralität des Staates.

Die Hessische Verfassung gebietet Beamten und anderen staatlichen Bediensteten, sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Es ist mit dem verfas­sungs­recht­lichen Neutra­li­tätsgebot unvereinbar, wenn Lehrer und Beamte im Dienst Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen oder den Schul- oder Dienstfrieden zu gefährden. Dem Verfahren lag ein Normen­kon­trol­lantrag der Landes­an­walt­schaft zu Grunde. Sie hielt die Vorschriften für verfas­sungs­widrig und hatte beantragt, sie für nichtig zu erklären.

Der Antrag hatte keinen Erfolg.

Mit seinem Urteil hat der Staats­ge­richtshof entschieden, dass die angefochtenen Vorschriften mit der Hessischen Verfassung vereinbar sind. Sie verstoßen insbesondere nicht gegen die Glaubensfreiheit (Art. 9 Hessische Verfassung - HV -), die freie Religionsausübung (Art. 48 Abs. 1 HV), das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 134 HV) oder das Gebot der Gleich­be­handlung von Frau und Mann.

In seiner Entscheidung hat der Staats­ge­richtshof klar gestellt, dass sich die angefochtenen Bestimmungen nicht speziell gegen das islamische Kopftuch richten. Vielmehr erfassen sie alle religiösen Symbole, die den Eindruck vermitteln können, dass der Amtsträger, der sie im Dienst verwendet, sein Amt nicht in der gebotenen Neutralität ausübt. Beim Verbot religiöser Symbole hat der Gesetzgeber die Grundrechte der Beamten und Lehrer, ihre Religion auch im Berufsleben frei und unbeschränkt auszuüben, mit Grundrechten Dritter, etwa der Bürger, die die Behörden in Anspruch nehmen, oder der Schülerinnen und Schüler, ihrer Eltern oder auch der Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz sowie mit sonstigen Gemein­schafts­gütern von Verfassungsrang in einen angemessenen Ausgleich gebracht. Zu den abzuwägenden Grundrechten Dritter zählt in erster Linie das Grundrecht auf negative Glaubens­freiheit. Dieses Grundrecht gewährt auch Schutz davor, ohne Ausweich­mög­lichkeit dem Einfluss religiöser Symbole ausgesetzt zu sein, wenn sie von Amtsträgern im Dienst getragen werden. Weitere Verfas­sungsgüter, die bei der Abwägung zu berücksichtigen waren, sind etwa der Grundsatz der politischen, religiösen und weltan­schau­lichen Neutralität des Staates, das staatliche Toleranzgebot und Beein­flus­sungs­verbot sowie die hergebrachten Grundsätze des Berufs­be­am­tentums. Für den schulischen Bereich war es das Erziehungsrecht der Eltern, der staatliche Bildungs- und Erzie­hungs­auftrag sowie das Interesse an der Aufrecht­er­haltung eines geordneten Schul- und Dienstbetriebes. Dazu gehört auch der Schul- und Dienstfrieden.

Dem Gesetzgeber steht nach der Entscheidung des Staats­ge­richtshofs bei der Abwägung der wider­strei­tenden Grundrechte der Lehrkräfte und Beamten auf der einen Seite mit den genannten Grundrechten und Verfas­sungs­gütern auf der anderen Seite ein Beurtei­lungs­spielraum zu. Das gilt auch für die Einschätzung der möglichen Gefahren, die mit dem Verhalten verbunden sein können, das durch die angefochtenen Normen verboten wird. Dieser Beurtei­lungs­spielraum ist auch vom Staats­ge­richtshof zu beachten. Er kann nur feststellen, ob sich das Ergebnis dieser Abwägung innerhalb des verfas­sungs­rechtlich zulässigen Beurtei­lungs­spielraums bewegt. Das hat der Staats­ge­richtshof hier bejaht.

Die Hessische Verfassung gebietet Beamten und anderen staatlichen Bediensteten, sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Dieses verfas­sungs­rechtliche Gebot hat der Gesetzgeber verfas­sungs­konform ausgestaltet und konkretisiert und dabei die einschlägige bundes­ver­fas­sungs­ge­richtliche Rechtsprechung berücksichtigt. Mit dem verfas­sungs­recht­lichen Neutra­li­tätsgebot der staatlichen Bediensteten ist unvereinbar, wenn im Dienst Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale getragen oder verwendet werden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen oder den Schul- oder Dienstfrieden zu gefährden. Deshalb war der Gesetzgeber verfas­sungs­rechtlich nicht gezwungen, auf die individuellen Motive der einzelnen Bediensteten abzustellen. Der Staats­ge­richtshof hatte nicht über eine Beamtin oder Lehrkraft zu entscheiden, die im Dienst ein Kopftuch tragen wollte. Ihm war nur das Gesetz selbst zur Prüfung vorgelegt. Anlass der gesetzlichen Regelung war zwar die rechtliche Problematik des Tragens islamischer Kopftücher im Dienst. Der Gesetzgeber hat bei der Formulierung des gesetzlichen Verbotes nicht auf das Kopftuch oder ein anderes genau bezeichnetes Kleidungsstück, Symbol oder Merkmale abgestellt, sondern eine allgemeine Regelung getroffen. Es ist nicht die Aufgabe des Staats­ge­richtshofs, im abstrakten Normen­kon­troll­ver­fahren jedes erdenkliche Kleidungsstück, Merkmal oder Symbol zu überprüfen, das unter das Gesetz fallen könnte. Deshalb war es nicht Aufgabe des Staats­ge­richtshofs, ohne konkreten Anlass im Einzelnen zu bestimmen, welche Kleidungsstücke, Symbole oder Merkmale – wie z.B. das islamische Kopftuch, die Bhagwan-Kleidung, auffälliger christlicher Schmuck oder die Nonnentracht – nach den gesetzlichen Vorschriften verboten sein sollten. Nach dem in der Verfassung verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Auslegung des Gesetzes in erster Linie Aufgabe der Verwaltung, deren Entscheidung die Fachgerichte überprüfen.

Die angegriffenen Normen enthalten auch keine verfas­sungs­rechtlich unzulässige Privilegierung des Christentums. Die christlich und humanistisch geprägte Tradition des Landes Hessen spiegelt sich in der gesamten Werteordnung der Hessischen Verfassung wider. Für den Bereich der Schule und Erziehung kommt dies besonders anschaulich in Erwähnung der Nächstenliebe in Art. 56 der Hessischen Verfassung zum Ausdruck. Hierin sieht sich der Staats­ge­richtshof im Einklang mit dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht und dem Bundes­ver­wal­tungs­gericht in ähnlichen Fällen.

Fünf Mitglieder des Staats­ge­richtshofs vertreten abweichende Meinungen. Die Mitglieder des Staats­ge­richtshofs Georg D. Falk, Paul Leo Giani, Dr. Harald Klein, Prof. Dr. Klaus Lange und Rupert von Plottnitz treten übereinstimmend der von der Mehrheit des Staats­ge­richtshofs vertretenen Auffassung entgegen, es bedürfe keiner Entscheidung, ob die zur Überprüfung ihrer Verfas­sungs­mä­ßigkeit vorgelegten Normen das Tragen eines Kopftuchs islamischer Provenienz verbieten und mit diesem Inhalt mit der Hessischen Verfassung vereinbar seien. Damit ignoriere das Urteil die vom Landes­ge­setzgeber unmiss­ver­ständlich zum Ausdruck gebrachte Regelungs­absicht, mit welcher dem Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 24. September 2003 habe Rechnung getragen werden sollen. Danach ist ein Kopftuchverbot nur auf der Grundlage einer eindeutigen landes­ge­setz­lichen Grundlage mit dem Grundgesetz vereinbar. Wenn den vorgelegten Normen ein Kopftuchverbot nicht eindeutig zu entnehmen sei, könne das Tragen eines islamischen Kopftuchs in den von den vorgelegten Normen erfassten Bereichen in Hessen nicht verboten werden. Das stünde im Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers. Darüber hinaus seien die den Beamtenbereich betreffende Regelung in § 68 Abs. 2 Satz 2 HBG unvereinbar mit der Hessischen Verfassung. Hierdurch werde allgemein das religiös motivierte Tragens von Kopftüchern oder von anderen religiösen oder politischen Kennzeichen verboten. Dies gebe es in keinem anderen Bundesland und richte sich unterschiedslos an alle hessischen Landesbeamten, ohne nach hoheitlichem und sonstigem Tätigwerden zu unterscheiden. Grundrechtliche Kollisions- und Gefähr­dungslagen hinsichtlich des Grundrechts auf negative Glaubens­freiheit, die dies rechtfertigen könnten, seien für den Bereich der allgemeinen Landes­ver­waltung, also zum Beispiel für beamtete Postbotinnen, Sachbe­a­r­bei­te­rinnen im Katasteramt oder Beamtinnen im mittleren Dienst eines Gerichts, nicht ersichtlich. Selbst wenn man die Ansicht der Mehrheit teilen würde, dass hergebrachte Grundsätze des Berufs­be­am­tentums in Hessen die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit hessischer Beamtinnen und Beamten einzuschränken vermögen, wäre ein solcher Eingriff jedenfalls unver­hält­nismäßig und daher verfas­sungs­widrig. Darüber hinaus stelle es einen Verstoß gegen das Gleich­heitsgebot dar, dass der Gesetzgeber Beamte und Angestellte - auch bei gleichem Tätig­keits­bereich - verschieden behandelt. Die Richter Giani, Prof. Dr. Lange und von Plottnitz sehen auch § 68 Abs. 2 Satz 3 des Hessischen Beamtengesetzes und § 86 Abs. 3 Satz 3 des Hessischen Schulgesetzes als verfas­sungs­widrig an, da diese Normen auf eine verfas­sungs­rechtlich unzulässige Privilegierung christlich geprägter Kleidungsstücke, Symbole oder anderer Merkmale abzielten. Die von der Mehrheit vorgenommene inhaltliche Veränderung dieser Normen im Wege der verfas­sungs­kon­formen Auslegung müsse daran scheitern, dass sie deren Wortlaut, ihrem Sinnzu­sam­menhang und der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufe.

Das Mitglied des Staats­ge­richtshofs Prof. Dr. Lange hält darüber hinaus die Auslegung des § 86 Abs. 3 Satz 2 des Hessischen Schulgesetzes in dem vom Gesetzgeber gewollten Sinne eines Kopftuchverbots für unvereinbar mit der Hessischen Verfassung. Sie widerspreche nicht nur der Religi­o­ns­freiheit und dem Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern, sondern insbesondere auch dem in Art. 56 Abs. 3 und 4 der Hessischen Verfassung verankerten Toleranzgebot als einem der obersten Erzie­hungs­grundsätze der Hessischen Verfassung. Wenn eine Lehrerin auf Grund ihrer religiösen Überzeugung ein Kopftuch trage, stelle dies für sich allein keine Gefährdung der Neutralität des staatlichen Unterrichts dar, die vor dem Hintergrund des Toleranzgebots eine Einschränkung der Religi­o­ns­freiheit der Lehrerin und ihres Rechts auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern rechtfertigen könne. Um des Schulfriedens willen einer Lehrerin das Tragen eines islamischen Kopftuchs zu verbieten, sei mit dem Toleranzgebot ebenfalls unvereinbar. Der für die schulische Erziehung in Hessen geltende Verfas­sungs­grundsatz der Duldsamkeit sei nicht nur von den Lehrkräften, sondern auch von Schülern und Eltern zu respektieren.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Staatsgerichtshof Hessen vom 10.12.2007

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