24.11.2024
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Urteil24.09.2003Bundesverfassungsgericht2 BvR 1436/02
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 108, 282Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 108, Seite: 282
  • DVBl 2003, 1526Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2003, Seite: 1526
  • EuGRZ 2003, 621Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ), Jahrgang: 2003, Seite: 621
  • JA 2004, 358Zeitschrift: Juristische Arbeitsblätter (JA), Jahrgang: 2004, Seite: 358
  • JuS 2003, 1220 (Friedhelm Hufen)Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2003, Seite: 1220, Entscheidungsbesprechung von Friedhelm Hufen
  • JZ 2003, 1164Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2003, Seite: 1164
  • MDR 2003, 1296Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2003, Seite: 1296
  • NJW 2003, 3111Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2003, Seite: 3111
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Bundesverfassungsgericht Urteil24.09.2003

BVerfG: Lehrerin mit KopftuchZum Kopftuchverbot für Lehrkräfte

Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesell­schaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein. Dies hat der Zweite Senat des Bundes­verfassungs­gerichts entschieden.

Auf die Verfas­sungs­be­schwerde der Lehrerin, die ihre Einstellung als Beamtin auf Probe in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg anstrebt, hat der Zweite Senat festgestellt, dass die entge­gen­ste­henden Entscheidungen der Verwal­tungs­ge­richte und der zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg die Beschwer­de­führerin (Bf) in ihren Rechten aus Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 und mit Art. 33 Abs. 3 des Grundgesetzes verletzen. Das Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts vom 04.07.2002 wurde aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Die Entscheidung ist mit fünf gegen drei Stimmen ergangen.

Sachverhalt:

Die in Kabul/Afghanistan geborene Beschwer­de­führerin, die dem muslimischen Glauben angehört, lebt seit 1987 in der Bundesrepublik und hat mittlerweile die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit erworben. Sie hat nach Bestehen der Ersten Staatsprüfung und nach Ableistung des Vorbe­rei­tungs­dienstes am 29. Juli 1998 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen abgelegt. Ihren Antrag auf Einstellung in den Schuldienst an Grund- und Hauptschulen des Landes Baden-Württemberg lehnte das Oberschulamt Stuttgart im Juli 1998 ab. Sie sei für den Schuldienst nicht geeignet. Sie wolle während des Unterrichts nicht auf das Tragen eines Kopftuchs verzichten. Dem Kopftuch komme eine Signalwirkung zu, die sich mit dem staatlichen Neutra­li­tätsgebot nicht vereinbaren lasse. Die Beschwer­de­führerin, die sich demgegenüber auf ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit beruft und das Tragen des Kopftuchs als Merkmal ihrer Persönlichkeit und Ausdruck ihrer inneren religiösen Überzeugung ansieht, blieb mit Widerspruch und Klage, Berufung und Revision vor den Fachgerichten ohne Erfolg. Dagegen richtet sich ihre Verfas­sungs­be­schwerde, mit der sie die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 sowie von Art. 33 Abs. 2 und Abs. 3 GG rügt.

1. Der Senat hat im Wesentlichen ausgeführt:

Der zu Grunde liegende Sachverhalt betrifft mehrere verfas­sungs­rechtlich geschützte Rechts­po­si­tionen: Jedem Deutschen ist nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleicher Zugang zu jedem öffentlichen Amt eröffnet. Dabei ist ein Zusammenhang zwischen der Zulassung zu öffentlichen Ämtern und dem religiösen Bekenntnis ausgeschlossen. Das Tragen eines Kopftuchs durch die Beschwer­de­führerin in Schule und Unterricht fällt unter den Schutz des Grundrechts der Glaubens­freiheit. Mit diesem Grundrecht treten neben dem staatlichen Erzie­hungs­auftrag die Verfas­sungsgüter des elterlichen Erzie­hungs­rechts und die negative Glaubens­freiheit der Schulkinder in Widerstreit. Dazu heißt es in der Entscheidung unter anderem: Die dem Staat gebotene religiös-weltan­schauliche Neutralität ist nicht im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubens­freiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Pflichtschule. Christliche Bezüge sind bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere weltan­schauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltan­schauliche Neutralität.

Indem die Beschwer­de­führerin durch das Tragen des Kopftuchs in Schule und Unterricht die Freiheit in Anspruch nimmt, ihre Glaubens­über­zeugung zu zeigen, wird die negative Glaubens­freiheit der Schülerinnen und Schüler, nämlich kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben, berührt. In einer Gesellschaft mit unter­schied­lichen Glaubens­über­zeu­gungen gibt es allerdings kein Recht darauf, von Bekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen eines fremden Glaubens verschont zu bleiben.

Länder haben im Schulwesen umfassende Gestal­tungs­freiheit

Die Länder haben im Schulwesen umfassende Gestal­tungs­freiheit. Das unvermeidliche Spannungs­ver­hältnis zwischen positiver Glaubens­freiheit eines Lehrers einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubens­freiheit der Schüler andererseits unter Berück­sich­tigung des Toleranzgebots hat der demokratische Landes­ge­setzgeber zu lösen, der im öffentlichen Willens­bil­dungs­prozess eine für alle zumutbare Regelung zu suchen hat. Dabei können die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen. Bei dem zu findenden Mittelweg dürfen auch Schul­tra­di­tionen, konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden. Diese Grundsätze gelten auch, wenn Lehrern unter Beschränkung ihres individuellen Grundrechts der Glaubens­freiheit für ihr Auftreten und Verhalten in der Schule mit Rücksicht auf die Wahrung der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates Pflichten auferlegt werden sollen.

Pflicht zur Neutralität

Bringen Lehrkräfte religiöse oder weltan­schauliche Bezüge in Schule und Unterricht ein, kann dies den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erzie­hungs­auftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubens­freiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Es ist zumindest möglich, dass dadurch Schulkinder beeinflusst und Konflikte mit Eltern ausgelöst werden, die den Schulfrieden stören und die Erfüllung des Erzie­hungs­auftrags der Schule gefährden können. Auch die Bekleidung von Lehrern, die als religiös motiviert verstanden werden kann, kann so wirken. Dies sind aber lediglich abstrakte Gefahren. Sollen bereits derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts auf Grund des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst deren konkretes Verhalten als Verletzung beamten­recht­licher Pflichten oder als Eignungsmangel bewertet werden, so ist eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage erforderlich. Denn diese Bewertung geht mit einer Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einher. Der Senat führt hierzu im Einzelnen aus:

Der Aussagegehalt des von Musliminnen getragenen Kopftuchs wird höchst unterschiedlich wahrgenommen. Es kann ein Zeichen für als verpflichtend empfundene, religiös fundierte Beklei­dungs­regeln wie für Traditionen der Herkunfts­ge­sell­schaft sein. In jüngster Zeit wird in ihm verstärkt ein politisches Symbol des islamischen Funda­men­ta­lismus gesehen. Die Deutung des Kopftuchs kann jedoch nicht auf ein Zeichen gesell­schaft­licher Unterdrückung der Frau verkürzt werden. Dies zeigen neuere Forschungs­er­gebnisse. Junge muslimische Frauen wählen das Kopftuch auch frei, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbst­be­stimmtes Leben zu führen. Insoweit ist nicht belegt, dass die Beschwer­de­führerin allein dadurch, dass sie ein Kopftuch trägt, etwa muslimischen Schülerinnen die Entwicklung eines den Wertvor­stel­lungen des Grundgesetzes entsprechenden Frauenbildes oder dessen Umsetzung im eigenen Leben erschweren würde.

Für die Frage, ob das Tragen eines Kopftuchs in Schule und Unterricht einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie das Kopftuch auf einen Betrachter wirken kann. Hinsichtlich der Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist entscheidend, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund eigener Entscheidung von einer einzelnen Lehrkraft in Ausübung ihrer Glaubens­freiheit verwendet wird. Duldet der Staat in der Schule eine religiös deutbare Bekleidung von Lehrern, die diese auf Grund individueller Entscheidung tragen, so kann dies mit einer staatlichen Anordnung, religiöse Symbole in der Schule anzubringen, nicht gleichge-setzt werden. Der Staat macht mit der Hinnahme einer bestimmten Bekleidung einer einzelnen Lehrerin diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen. Ein von der Lehrerin aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch kann allerdings deshalb besonders intensiv wirken, weil die Schüler für die gesamte Dauer des Schulbesuchs mit der im Mittelpunkt des Unter­richts­ge­schehens stehenden Lehrerin ohne Ausweich­mög­lichkeit konfrontiert sind. Es fehlt jedoch eine gesicherte empirische Grundlage für die Annahme, dass vom Tragen des Kopftuchs bestimmende Einflüsse auf die religiöse Orientierung der Schulkinder ausgehen. Die in der mündlichen Verhandlung dazu angehörten Sachver­ständigen konnten von keinen gesicherten Erkenntnissen über eine solche Beeinflussung von Kindern aus entwick­lungs­psy­cho­lo­gischer Sicht berichten.

Für ein mit der Abwehr bloß abstrakter Gefährdungen begründetes vorbeugendes Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, reicht die im Land Baden-Württemberg geltende beamten- und schulrechtliche Gesetzeslage nicht aus. Dies wird in der Entscheidung im Einzelnen näher begründet.

Dem zuständigen Landes­ge­setzgeber steht es frei, die bislang fehlende gesetzliche Grundlage zu schaffen. So kann er im Rahmen der verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule neu bestimmen. Dabei hat er die grundrechtlich geschützten Rechts­po­si­tionen der Lehrer, der Schüler, der Eltern und die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität angemessen zu berücksichtigen. Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesell­schaftliche Wandel kann Anlass sein, das zulässige Ausmaß religiöser Bezüge in der Schule neu zu bestimmen. Die Schule ist der Ort, an dem unter­schiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufein­an­der­treffen und wo sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt. Es lassen sich Gründe dafür anführen, die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten. Mit der beschriebenen Entwicklung ist aber auch ein größeres Potential möglicher Konflikte in der Schule verbunden. Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutra­li­täts­pflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erschei­nungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fern zu halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden.

Wie auf die gewandelten Verhältnisse zu antworten ist, hat nicht die Exekutive zu entscheiden. Vielmehr bedarf es hierfür einer Regelung durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Nur er verfügt über eine Einschät­zungs­prä­ro­gative, die Behörden und Gerichte nicht für sich in Anspruch nehmen können. Ein Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen als Element einer gesetz­ge­be­rischen Entscheidung über das Verhältnis von Staat und Religion im Schulwesen kann die Religi­o­ns­freiheit zulässigerweise einschränken. Diese Annahme steht im Einklang mit Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Rechts­s­taats­prinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grund­rechts­ver­wirk­lichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte - wie hier - von der Verfassung ohne Geset­zes­vor­behalt gewährleistet sind und eine Regelung damit notwendiger Weise ihre verfas­sungs­im­ma­nenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Solche Regelungen sind dem Parlament vorbehalten, um sicher zu stellen, dass Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grund­recht­s­ein­griffen in öffentlicher Debatte zu klären.

2. Die Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff führen im Sondervotum aus:

a. Der von der Senatsmehrheit angenommene Geset­zes­vor­behalt für die Begründung von Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Religions- und Weltan­schau­ungs­freiheit des Beamten wurde bislang weder in Rechtsprechung und Literatur noch von der Beschwer­de­führerin selbst vertreten. Aufgrund dieser Annahme bleibt die verfas­sungs­rechtliche Grundsatzfrage nach der staatlichen Neutralität im Bildungs- und Erziehungsraum der Schule unentschieden. Außerdem kommt es zu einer im Grundgesetz nicht angelegten Fehlgewichtung im System der Gewaltenteilung sowie im Verständnis der Geltungskraft der Grundrechte beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Schließlich gibt die Senatsmehrheit dem Landes­ge­setzgeber keine Möglichkeit, sich auf die von ihr angenommene neue Verfas­sungs­rechtslage einzustellen und versäumt es, Rechtsprechung und Verwaltung zu sagen, wie sie bis zum Erlass eines Landesgesetzes verfahren sollen. Dazu heißt es in der abweichenden Meinung im Einzelnen: Der Grund­rechts­schutz für Beamte ist funktionell begrenzt. Wer Beamter wird, stellt sich in freier Willen­s­ent­schließung auf die Seite des Staates. Beamtete Lehrer genießen bereits vom Ansatz her nicht den selben Grund­rechts­schutz wie Eltern und Schüler: Sie sind vielmehr an Grundrechte gebunden, weil sie teilhaben an der Ausübung öffentlicher Gewalt. Die Dienstpflicht des Beamten ist die Kehrseite der Freiheit desjenigen Bürgers, dem die öffentliche Gewalt in der Person des Beamten gegenübertritt. Mit Dienstpflichten sichert der Staat in seiner Binnensphäre die gleichmäßige, gesetzes- und verfas­sungstreue Verwaltung. Die Rechtsstellung des Bewerbers, der keinen Einstel­lungs­an­spruch hat, darf nicht aus der Abwehr­per­spektive eines Grund­recht­s­trägers gegen den Staat gesehen werden. Mit dem freiwilligen Eintritt in das Beamten­ver­hältnis entscheidet sich der Bewerber in Freiheit für die Bindung an das Gemeinwohl und die Treue zu einem Dienstherrn.

Die Geltung des Geset­zes­vor­behalts im Schulrecht ist in der Vergangenheit nicht zum Schutze der beamteten Lehrer, sondern um der Eltern und Schüler willen ausgeweitet worden. Wer im grund­rechts­ver­pflichteten Lehrer primär den Grund­recht­s­träger sieht und seine Freiheits­ansprüche damit gegen Schüler und Eltern richtet, verkürzt deren Freiheit. Beamte sollen freiheits­be­wusste Staatsbürger sein, sie sollen zugleich aber den grundsätzlichen Vorrang der Dienstpflichten und den darin verkörperten Willen der demokratischen Organe achten. Das Beamten­ver­hältnis als besondere Nähebeziehung zwischen Bürger und Staat ist gerade keine vom Grund­rechts­an­spruch des Beamten geprägte Rechtsbeziehung. Die hier zu beurteilende Eignungs­be­ur­teilung darf nicht mit einem Eingriff in die Glaubens­freiheit verwechselt werden.

Die Neutra­li­täts­pflicht des Beamten ergibt sich aus der Verfassung selbst. Die Begründung der Senatsmehrheit ist deshalb mit grundlegenden Aussagen der Verfassung zum Verhältnis von Gesellschaft und Staat nicht vereinbar. Verkannt wird insbesondere die Stellung des öffentlichen Dienstes bei der Verwirklichung des demokratischen Willens. Im Einzelnen heißt es dazu:

Wer Beamter werden will, strebt die Nähe zur öffentlichen Gewalt an und begehrt - wie die Beschwer­de­führerin - die Begründung eines besonderen Dienst- und Treue­ver­hält­nisses zum Staat. Diese Pflichtenstel-lung überlagert den grundsätzlich auch für Beamte geltenden Schutz der Grundrechte, soweit Aufgabe und Zweck des öffentlichen Amts dies erfordern. Die dem Beamten obliegenden Verpflichtungen sind entscheidend für das Vertrauen der Bürger in die Erfüllung der Aufgaben des demokratischen Rechtsstaats. Hieraus folgt das Neutralitäts- und Mäßigungsgebot der Beamten, das der grundsätzlichen Neutra­li­täts­pflicht des Staates auch für den religiösen und weltan­schau­lichen Bereich entspricht. Es kennzeichnet das Berufs­be­am­tentum, dass der Dienstherr Dienstpflichten nach den jeweiligen Bedürfnissen einer rechts­s­taat­lichen und sachlich wirksamen Verwaltung festlegt. Diese Prinzipien gelten unmittelbar von Verfassungs wegen. Die Anforderungen an Zurückhaltung und Neutralität des Beamten bedürfen deshalb weder allgemein noch im Schulverhältnis weiterer gesetzlicher Konkretisierung.

b. Nach diesen Maßstäben ist das von der Beschwer­de­führerin begehrte kompromisslose Tragen des Kopftuchs im Schulunterricht mit dem Mäßigungs- und Neutra­li­tätsgebot eines Beamten nicht vereinbar. Um die Eignung eines Beamten­be­werbers zu verneinen, bedarf es keiner "konkreten Gefährdung des Schulfriedens". Diese Annahme verkennt den Beurtei­lungs­maßstab für die Eignungs­be­ur­teilung. Die Entfernung eines Beamten auf Lebenszeit aus dem Dienst wegen Verletzung seiner Dienstpflichten ist nur eingeschränkt möglich. Deshalb muss der Dienstherr bereits zuvor im Rahmen der Eignungsprüfung dafür sorgen, dass niemand Beamter wird, der nicht die Gewähr dafür bietet, die aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden Dienstpflichten einzuhalten. Auch auf eine abstrakte Gefahrenlage kommt es in einem solchen Konfliktfall nicht an. Es widerspricht vielmehr dem beamten­recht­lichen Funkti­o­ns­vor­behalt, wenn sich der Staat gegen seine eigenen Beamten, die ihn verkörpern und durch die er handelt, auf die polizei­rechtliche Gefah­ren­schwelle berufen müsste, um deren Verhalten im Dienst zu reglementieren. Zur Konkretisierung einer Dienstpflicht von Beamten bedarf es auch nicht des wissen­schaftlich-empirischen Nachweises einer Gefahrenlage. Durch die Verwendung signifikanter Beklei­dungs­symbole erscheint ein Konflikt in nachvoll­ziehbarer Weise oder sogar naheliegend. Davon sind die Fachgerichte zu Recht ausgegangen. Das Kopftuch, getragen als kompromisslose Erfüllung eines von der Beschwer­de­führerin angenommenen islamischen Verhül­lungs­gebotes der Frau, steht gegenwärtig für viele Menschen innerhalb und außerhalb der islamischen Religi­o­ns­ge­mein­schaft für eine religiös begründete kultur­po­li­tische Aussage, insbesondere das Verhältnis der Geschlechter zueinander betreffend. Die Senatsmehrheit hat diesem Umstand keine ausreichende Bedeutung zugemessen. Sie hat sich deshalb auch nicht damit auseinander gesetzt, ob die Auffassung, eine Verhüllung der Frauen gewährleiste ihre Unterordnung unter dem Mann, offenbar von einer nicht unbedeutenden Zahl der Anhänger islamischen Glaubens vertreten wird und deshalb geeignet ist, Konflikte mit der auch im Grundgesetz deutlich akzentuierten Gleich­be­rech­tigung von Mann und Frau hervorzurufen.

c. Der baden-württem­ber­gische Landtag hat ausdrücklich bekundet, aus Anlass des Falles der Beschwer­de­führerin kein formelles Gesetz zu erlassen. Dies übergeht die Begründung der Senatsmehrheit. Die dem Landes­ge­setzgeber anheimgestellte Aufgabe, sich unmittelbar aus Verfas­sungsrecht ergebende Beschränkungen deklaratorisch nachzuzeichnen, ist aber nicht seine Sache, zumal ein solches Gesetz möglicherweise in späteren Verfahren vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht erneut auf den Prüfstand gestellt wird. Zudem wird die Volksvertretung im Unklaren gelassen, wie eine verfas­sungs­gemäße Regelung aussehen kann. Die offenen Fragen zählt das Sondervotum auf.

Schließlich kann sich der Landes­ge­setzgeber nicht auf die angenommene neue Verfas­sungs­rechtslage einstellen. Rechtsprechung und Verwaltung erfahren nicht, wie sie bis zum Erlass eines Landesgesetzes verfahren sollen. Der Senat lässt eine verfas­sungs­rechtliche Grundsatzfrage trotz Entschei­dungsreife unbeantwortet. Mit der unerwarteten Forderung der Senatsmehrheit nach einem Geset­zes­vor­behalt für die Begründung von Dienstpflichten wird das auch dem Staat als Verfah­rens­be­tei­ligtem zustehende Prozessrecht auf rechtliches Gehör nicht hinreichend berücksichtigt. Ein solcher Geset­zes­vor­behalt war auch in der mündlichen Verhandlung nicht ernsthafter Gegenstand des Rechtsgesprächs. Das Land hätte dazu Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten müssen. Angesichts dieses prozessualen Versäumnisses hätte dem Landes­ge­setzgeber auch nach der bisherigen verfas­sungs­ge­richt­lichen Rechtsprechung zum Geset­zes­vor­behalt eine angemessene Übergangsfrist gewährt werden müssen. Dies hätte die Auswirkungen einer Überra­schungs­ent­scheidung gemindert. Der Landes­ge­setzgeber hätte dann auch für den vorliegenden Fall eine wirksame gesetzliche Grundlage schaffen können. Schließlich bleibt auch unklar, wie das Bundes­ver­wal­tungs­gericht mit dem zurück­ver­wiesenen Rechtsstreit weiter verfahren soll. Einerseits müsste es auf der Grundlage der Annahme der Senatsmehrheit der Klage zur Zeit stattgeben, was zu beamten­rechtlich vollendeten Tatsachen führen würde, andererseits käme auch eine Aussetzung des verwal­tungs­ge­richt­lichen Verfahrens in Betracht, bis der Landtag eine lehrer­dien­st­rechtliche gesetzliche Grundlage geschaffen hat.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

der Leitsatz

1. Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.

2. Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesell­schaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.

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