21.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil12.07.2010

Auflösung eines Skinhead-Konzerts aus feuer­po­li­zei­lichen Gründen gerechtfertigtVeranstaltung ist nach Zweifelsregel wie Versammlung zu behandeln

Rechtsextreme Skinhead-Konzerte fallen in der Regel unter den Schutz der Ver­sammlungs­freiheit, so dass ihr Verbot bzw. ihre Auflösung nur unter den engen Voraussetzungen des Ver­sammlungs­gesetzes in Betracht kommt. Ein Verbot bzw. eine Auflösung aus feuer­po­li­zei­lichen Gründen kann jedoch auf der Grundlage der so genannten polizeilichen Generalklausel zum Schutz von Leben und Gesundheit der Ver­sammlungs­teilnehmer gerechtfertigt sein. Dies entschied der Ver­waltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg.

Skinhead­konzerte wie das im zugrunde liegenden Fall aufgelöste Konzert sind dadurch geprägt, dass mit der Musik zugleich eine politische Botschaft vermittelt wird. Einerseits thematisieren die Texte recht­s­ex­tre­mis­tischer Skinheadbands das Selbst­ver­ständnis und Lebensgefühl der recht­s­ex­tre­mis­tischen Skinheadszene. Andererseits ist diese Musik das wichtigste Propa­gan­da­medium, über das rechtsextremistische Inhalte in die Skinheadszene transportiert werden. Die innere Bindung der Besucher auf ideologischer Ebene, der Zweck, die eigene weltan­schauliche und politische Identität zu stärken und nicht zuletzt die Rekru­tie­rungs­funktion heben ein solches Skinheadkonzert deutlich von anderen Konzerten ab, bei denen der Musikgenuss im Vordergrund steht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Konzertbesuch auch dem Musikkonsum dient und eine Art von Freizeit­ge­staltung ist, so lässt sich kein Übergewicht der nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung feststellen, so dass die Veranstaltung jedenfalls nach der Zweifelsregel wie eine Versammlung zu behandeln ist.

Konzert kann unter Umständen bereits vor Beginn verboten werden

Ein solches Konzert kann vor Beginn nach § 5 VersammlG u.a. verboten werden, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. Wegen des hohen Rangs der Versamm­lungs­freiheit (Art. 8 GG) ist vor einem Verbot zu prüfen, ob weniger einschneidende Maßnahmen wie Auftritts­verbote für bestimmte Bands oder das Verbot des Spielens bestimmter strafrechtlich relevanter Musikstücke in Betracht kommt.

Bei Verstößen gegen Strafgesetze kann Konzert auch im Verlauf der Veranstaltung aufgelöst werden

Die Auflösung einer solchen Veranstaltung nach ihrem Beginn kommt u.a. in Betracht, wenn durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet. Ob danach die Voraussetzungen für ein Verbot oder eine Auflösung des Konzerts auf versamm­lungs­recht­licher Grundlage vorgelegen haben, kann das Gericht letztlich offen lassen.

Auflösung der Versammlung bei konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit zulässig

Die Stadt Geislingen als zuständige Ortspo­li­zei­behörde hat ihre Auflö­sungs­ver­fügung zulässigerweise selbstständig tragend auf feuer­po­li­zeiliche Gefahren gestützt. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob mit der Maßnahme auch eine Einschränkung des Versamm­lungs­rechts bezweckt wurde. War das Verbot bzw. die Auflösung der Versammlung zur Abwehr aus der Nichtbeachtung feuer­po­li­zei­licher Vorschriften resultierender konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit geboten und wurde die Verfügung auch hierauf gestützt, so ist sie nicht deshalb rechtswidrig, weil zugleich eine Einschränkung des Versamm­lungs­rechts bezweckt wurde.

Für die gerichtliche Beurteilung der hier beanstandeten Maßnahme kommt es ausschließlich auf die Erwägungen der Beklagten als Ortspo­li­zei­behörde ex ante an, nicht hingegen auf die des für den Polizeieinsatz maßgeblichen Polizeiführers, da der Polizei­voll­zugs­dienst lediglich die von der Beklagten getroffene Auflö­sungs­ver­fügung bekannt gegeben und nicht etwa nach Feststellung der konkreten Verhältnisse vor Ort selbst die Auflösung verfügt hat.

Auflösung des Konzerts in Kellerraum auf ehemaligem Fabrikgelände aufgrund bestehender Gefahr für Leben und Gesundheit rechtmäßig

Nach dem Kenntnisstand des Ordnung­s­amts­leiters sollte das Konzert in einem Kellerraum auf dem ehemaligen Fabrikgelände der Firma Süd-Tank stattfinden. Aufgrund der Tatsache, dass ein solcher Kellerraum von Mitgliedern einer Skinheadband als Probenraum genutzt wurde, war prognostisch die Annahme gerechtfertigt, dass das Konzert in diesem fensterlosen Raum, der über nur einen engen Zugang verfügte, stattfinden würde. Bei dieser Sachlage war das Verbot bzw. die Auflösung der Versammlung zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Teilnehmer geboten.

Quelle: ra-online, VGH Baden-Württemberg

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