21.11.2024
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Sozialgericht Osnabrück Gerichtsbescheid27.11.2019

Kein Anspruch auf das Merkzeichen "aG" aus präventiven Gründen bei mangelndem mobili­täts­be­zogenem GdB von 80An die Vergabe des Merkzeichens "aG" sind hohe Anforderungen zu stellen

Ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG" (außer­ge­wöhnliche Gehbehinderung) besteht nicht, wenn kein mobili­täts­be­zogener Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 besteht. Dies gilt auch, wenn das Merkzeichen begehrt wird, um eine Gangun­si­cherheit oder Stürze zu vermeiden. Dies entschied das Sozialgericht Osnabrück.

Die 1939 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Falls leidet unter Verschleiß­ver­än­de­rungen im Bereich der Wirbelsäule, der Hüft-, Knie- und Fußgelenke. Das beklagte Land Niedersachsen hatte auf Antrag der Klägerin hierfür zunächst einen GdB von 50 und später - da zusätzlich eine Schwerhörigkeit geltend gemacht wurde - insgesamt einen GdB von 80 anerkannt. Zudem erkannte das Land die Merkzeichen "G" (erhebliche Beein­träch­tigung der Bewegungs­fä­higkeit im Straßenverkehr), "RF" (Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht) sowie "B" (Notwendigkeit einer Begleitperson) an; das Merkzeichen "aG" lehnte der Beklagte jedoch ab. Mit ihrer wegen dieses Merkzeichens erhobenen Klage machte die Klägerin weiter geltend, dass ihr die Fortbewegung im öffentlichen Raum ohne Hilfe nicht möglich sei. Sie sei auf fremde Hilfe durch eine Begleitperson und einen Rollstuhl angewiesen.

GdB von 80 bei der Klägerin nicht nur mobili­täts­bezogen

Das Sozialgericht Osnabrück schloss sich jedoch der Einschätzung des beklagten Landes an und wies die Klage ab. Nach § 229 Abs. 3 S. 1 Neuntes Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB IX) müsse für das Merkzeichen "aG" eine erhebliche mobili­täts­be­zogene Teilha­be­be­ein­träch­tigung mit einem GdB von mindestens 80 bestehen. Dabei setze das Merkzeichen nicht voraus, dass der schwer­be­hinderte Mensch nahezu unfähig sein muss, sich auf seinen Beinen fortzubewegen. Vielmehr sei weiterhin erforderlich, aber auch ausreichend, dass der schwer­be­hinderte Mensch - selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel - praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges an nur mit fremder Hilfe oder nur mit äußerster Anstrengung gehen kann oder sein Restgehvermögen so unbedeutend ist, dass er schon nach kürzester Strecke schmerz-und/oder erschöp­fungs­bedingt eine Pause einlegen muss, bevor er weitergehen kann. Das Sozialgericht hat Bezug genommen auf die ständige Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2016, Aktenzeichen B 9 SB 1/15 R), wonach aufgrund der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parker­leich­te­rungen zu schaffen, an die Vergabe des Merkzeichens "aG" hohe Anforderungen zu stellen seien, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten. Bei der Klägerin bestehe zwar ein GdB von 80, dieser sei jedoch nicht nur mobili­täts­bezogen. Die Funkti­o­ns­ein­schrän­kungen, die sich auf ihre Mobilität auswirken, würden insgesamt nur einen GdB von 50 bedingen.

Keine Zuerkennung des Merkzeichens "aG" aus präventiven Gründen

Das Gericht wies ferner darauf hin, dass auch aus präventiven Gründen (beispielsweise zur Vermeidung eines Sturzes) das Merkzeichen "aG" nicht festgestellt werden könne. Der Klägerin sei wegen der Gangun­si­cherheit das Merkzeichen "B" zuerkannt worden. Sinn und Zweck des Merkzeichens "aG" sei es nicht, der Begleitperson, deren Erfor­der­lichkeit bereits durch die Feststellung der gesund­heit­lichen Voraussetzungen des Merkzeichens "B" Rechnung getragen worden ist, eine weitere Erleichterung zu verschaffen.

Hinweis zur Rechtslage

Neuntes Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB IX)

§ 229 Abs. 3

1 Schwer­be­hinderte Menschen mit außer­ge­wöhn­licher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobili­täts­be­zogenen Teilha­be­be­ein­träch­tigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. 2 Eine erhebliche mobili­täts­be­zogene Teilha­be­be­ein­träch­tigung liegt vor, wenn sich die schwer­be­hin­derten Menschen wegen der Schwere ihrer Beein­träch­tigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. 3 Hierzu zählen insbesondere schwer­be­hinderte Menschen, die auf Grund der Beein­träch­tigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. 4 Verschiedenste Gesund­heits­s­tö­rungen (insbesondere Störungen bewegungs­be­zogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardio­vas­kulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. 5 Diese sind als außer­ge­wöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versor­gung­s­ärzt­licher Feststellung die Auswirkung der Gesund­heits­s­tö­rungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beein­träch­tigung gleich kommt.

Quelle: Sozialgericht Osnabrück/ra-online (pm/kg)

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