18.10.2024
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Sozialgericht Frankfurt am Main Urteil26.02.2004

Krankenkasse muss Kosten für Fettabsaugungen bei Lipödem übernehmenVersicherte muss sich nicht auf das Tragen von Kompres­si­onss­t­rümpfen verweisen lassen

Das Sozialgericht Frankfurt a. M. verurteilte die Gmünder Ersatzkasse zur Übernahme der Kosten für die voraussichtlich 5.215 Euro teuere Behandlung, obwohl es sich um eine bisher nicht zum Leistungs­katalog der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zählende Behand­lungs­methode handelt.

Die 1974 geb. Klägerin leidet an einer Aufquellung des Fettgewebes an beiden Beinen, einem sog. Lipödem. Die Behandlung durch eine Liposuktion (Fettabsaugung) lehnte die beklagte Krankenkasse ab, weil diese Leistung keine Behand­lungs­methode im Rahmen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung sei. Für die Behandlung werden Behand­lungs­kosten von ca. 5.212 Euro entstehen. Auf ihre Klage hin verurteilte das Sozialgericht die Krankenkasse, die Kosten dem Grunde nach zu übernehmen.

Die mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte 30. Kammer geht mit der Krankenkasse davon aus, dass es sich bei der Liposuktion um eine sog. neue Untersuchungs- und Behand­lungs­methode handele. Zwar habe der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen diese Methode bisher nicht anerkannt, weshalb sie nicht zum Leistungs­angebot der Krankenkassen gehöre. Dennoch habe die Klägerin aus dem Gesichtspunkt des „Systemversagens“ einen Anspruch auf diese Leistung. Die Krankheit der Klägerin komme selten vor. Nach den dem Gericht vorliegenden medizinischen Gutachten handele es sich um eine seriöse wissen­schaftliche Methode, die bisher keine wissen­schaftlich beachtliche Gegenstimme gefunden habe. Die Gefahr von Nebenwirkungen sei zu vernachlässigen. Eine Behand­lung­s­al­ter­native bestehe nicht; eine dauerhafte Kompres­si­ons­therapie sei nur als „mechanische Hilfe“, Lymphdrainagen seien lediglich als kosmetische Korrekturen zu verstehen. Auch sei eine dringende Behand­lungs­be­dürf­tigkeit gegeben.

Zum Begriff „Lipödem“

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (vgl. http://www.uniduesseldorf. de/WWW/AWMF/ll/phle-lip.htm) ist das Lipödem ein klinisches Syndrom, gekennzeichnet durch Vermehrung des Unter­haut­fett­gewebes mit orthostatischen Ödemen, einhergehend mit einer Fettver­tei­lungs­störung besonders an Ober- und Unterschenkeln. Im fortge­schrittenen Stadium bildet sich in vielen Fällen ein lympho­sta­tisches Ödem. Die Erkrankung ist eher selten, sie tritt fast ausschließlich bei Frauen auf. Das Manifes­ta­ti­o­nsalter liegt vorzugsweise am Ende der Pubertätszeit, jedoch kann die Krankheit in jeder Lebensdekade ihren Anfang nehmen. Es wird eine familiäre Disposition beschrieben (Wold). Weshalb es zu der Vermehrung des Unter­haut­fett­gewebes kommt, ist letztlich unklar. In etwa 50 % der Fälle geht die Erkrankung mit einer allgemeinen Fettsucht einher (Greer). Darüber hinaus konnte bei vielen Lipödem-Patientinnen eine Reihe pathologischer Befunde erhoben werden, die jedoch nicht auf eine Ätiopathogenese schließen lassen.

Zur Therapie heißt es darin weiter: Da die eigentliche Ursache des Lipödems unbekannt ist, gibt es keine kausale Behandlung. Bei diskretem, meist beschwer­de­freiem Lipödem ist eine Therapie nicht sinnvoll. Stark ausgeprägte Lipödeme bedürfen einer Behandlung. Eine wirksame Methode ist die komplexe physikalische Entstau­ungs­therapie nach Földi mit anschließendem Anlegen von straffen Kompres­si­ons­ver­bänden. Ist eine befriedigende Konfiguration des Beines erreicht, wird ein medizinischer Kompres­si­ons­s­trumpf der Kompres­si­ons­klasse III nach Maß verordnet, der lebenslang getragen werden muß. So berichten Deri und Weissleder, daß sie während einer vierwöchigen stationär durchgeführten Behandlung eine Minderung der Beinvolumina um 4 bis zu 12 % erzielt haben. Das behutsame Absaugen von subkutanem Fettgewebe (Liposuktion) mittels dünnen stumpfen Kanülen in Tumeszenz- Lokalanästhesie bringt offenbar auch beim Lipödem gute Ergebnisse bei weitgehender Schonung der Lymphgefäße (Sattler et al., Narins und Coleman). Langzei­t­er­gebnisse müssen abgewartet werden. In jedem Fall sind Abmage­rungskuren, spezielle Diäten oder eine Diure­ti­ka­therapie zwecklos.

Gesetzestexte

§ 13 SGB V Koste­n­er­stattung

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach - oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach - oder Dienst­leis­tungen Koste­n­er­stattung wählen. Sie sind von ihrer Krankenkasse vor ihrer Wahl zu beraten. Eine Beschränkung der Wahl auf den Bereich der ambulanten Behandlung ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungs­er­bringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungs­er­bringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungs­er­bringern nach § 95 b Abs. 3 Satz 1 im Wege der Koste­n­er­stattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Koste­n­er­stattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstat­tungs­betrag für Verwal­tungs­kosten und fehlende Wirtschaft­lich­keits­prü­fungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Koste­n­er­stattung mindestens ein Jahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst­be­schaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbst­be­schaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 15 des Neunten Buches erstattet.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungs­er­bringer in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Koste­n­er­stattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstat­tungs­ver­zichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungs­er­bringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Kranken­ver­si­cherung des Aufent­halts­s­taates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Koste­n­er­stattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstat­tungs­betrag für Verwal­tungs­kosten und fehlende Wirtschaft­lich­keits­prü­fungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum Kranken­haus­leis­tungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

§ 135 SGB V Bewertung von Untersuchungs- und Behand­lungs­me­thoden

(1) Neue Untersuchungs- und Behand­lungs­me­thoden dürfen in der vertrag­s­ärzt­lichen und vertrags­zahn­ärzt­lichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag einer Kassen­ärzt­lichen Bundes­ver­ei­nigung, einer Kassen­ärzt­lichen Vereinigung oder eines Spitzen­ver­bandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaft­lichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissen­schaft­lichen Erkenntnisse in der jeweiligen Thera­pie­richtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Quali­täts­si­cherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertrag­s­ärzt­lichen und vertrags­zahn­ärzt­lichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach Satz 1 Nr. 1 entsprechen. Falls die Überprüfung ergibt, daß diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertrag­s­ärztliche oder vertrags­zahn­ärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden.

(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen (Fachkun­de­n­achweis) sowie einer besonderen Praxis­ausstattung oder weiterer Anforderungen an die Struk­tur­qualität bedürfen, können die Partner der Bundes­man­tel­verträge einheitlich entsprechende Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen vereinbaren. Soweit für die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, welche als Qualifikation vorausgesetzt werden müssen, in landes­recht­lichen Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung, insbesondere solchen des Facharztrechts, bundesweit inhaltsgleich und hinsichtlich der Quali­täts­vor­aus­set­zungen nach Satz 1 gleichwertige Qualifikationen eingeführt sind, sind diese notwendige und ausreichende Voraussetzung. Wird die Erbringung ärztlicher Leistungen erstmalig von einer Qualifikation abhängig gemacht, so können die Vertragspartner für Ärzte, welche entsprechende Qualifikationen nicht während einer Weiterbildung erworben haben, übergangsweise Qualifikationen einführen, welche dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der facha­rzt­recht­lichen Regelungen entsprechen müssen. Abweichend von Satz 2 können die Vertragspartner nach Satz 1 zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaft­lichkeit der Leistungs­er­bringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebietes gehören.

Quelle: ra-online, SG Frankfurt am Main (pm)

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