18.10.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil29.08.2012

"Toilettenfrauen" sind Reini­gungs­kräfte - keine Trinkgeld-BewacherAnwendung des Tarifvertrag des Gebäu­de­r­ei­ni­ger­handwerks: Berliner Firma muss über 100.000 Euro Versi­che­rungs­beiträge nachzahlen

Ein Betrieb, der sich für die Erlaubnis zum Sammeln von Trinkgeldern verpflichtet, z. B. in Warenhäusern und Einkaufszentren öffentlich zugängliche Kundentoiletten sauber zu halten, ist ein Reini­gungs­betrieb. Die bei ihm angestellten Toilettenfrauen sind schwer­punktmäßig Reini­gungs­kräfte und nicht lediglich Bewacherinnen von Trink­geld­tellern. Für sie gilt der Tarifvertrag des Gebäu­de­r­ei­ni­ger­handwerks. Die Höhe der geschuldeten Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge berechnet sich deshalb nach den tarif­ver­traglich vorge­schriebenen Mindestlöhnen und nicht nach den niedrigeren tatsächlich gezahlten Löhnen. Dies entschied das Sozialgericht Berlin.

In dem zugrunde liegenden Fall führte die Deutsche Renten­ver­si­cherung Bund im September 2009 eine Betriebsprüfung bei einem Berliner „Reini­gungs­service“ durch, der sich auf die Betreuung öffentlich zugänglicher Toilet­te­n­anlagen in Einkaufszentren, Warenhäusern und ähnlichen Einrichtungen spezialisiert hat. Im Ergebnis forderte die Renten­ver­si­cherung für den Prüfzeitraum 2005 bis 2008 rund 118.000 Euro an Sozia­l­ver­si­che­rungs­bei­trägen nach. Der Betrieb habe 23 bei ihm angestellten Toilettenfrauen nicht den laut Tarifvertrag des Gebäu­de­r­ei­ni­ger­handwerks geschuldeten Mindestlohn von rund 8 Euro (7,87 Euro pro Stunde ab 2005, 8,15 Euro ab 2008) gezahlt, sondern lediglich zwischen 3,60 und 4,50 Euro. Für die Lohndifferenz müssten die Versi­che­rungs­beiträge nachgezahlt werden.

Kläger: Grundreinigung der Toiletten gehörte nicht zu den Tätigkeiten der Toilettenfrauen

Gegen den Bescheid der Renten­ver­si­cherung (Beklagte) zog die Inhaberin der Reinigungsfirma (Klägerin) im August 2010 vor das Sozialgericht Berlin. Die Nachforderung sei für ihren kleinen Betrieb existenz­ver­nichtend. Sie sei auch falsch, denn für ihren Betrieb gelte der Tarifvertrag des Gebäu­de­r­ei­ni­ger­handwerks überhaupt nicht. Die Reini­gung­s­tä­tigkeit habe für den Betrieb nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Schwerpunkt der Tätigkeit der Toilettenfrauen, in der Regel Rentnerinnen, sei vielmehr die Bewachung der Teller für das Trinkgeld gewesen. Dies hätte 75 % ihrer Arbeitszeit ausgemacht. Sie hätten dabei quasi als Automaten gehandelt. Die von den Besuchern freiwillig gezahlten Trinkgelder seien die einzige Einnahmequelle des Unternehmens. Die Grundreinigung der Toiletten würde auch gar nicht durch die Toilettenfrauen, sondern durch andere Mitarbeiter oder eine speziell beauftragte Firma durchgeführt.

SG: Heranziehung tarif­ver­traglich geregelter Mindestlöhne für Gebäu­de­r­ei­ni­ger­handwerk erforderlich

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Nachforderung der Versi­che­rungs­beiträge sei rechtmäßig. Der Betrieb der Klägerin unterfalle dem Geltungsbereich der Tarifverträge für das Gebäu­de­r­ei­ni­ger­handwerk. Als Bemes­sungs­grundlage für die Versi­che­rungs­beiträge seien daher zu Recht die tarif­ver­traglich verbindlichen Mindestlöhne herangezogen worden. Es handele sich nicht um einen Betrieb der Trink­geld­aufsicht, sondern um ein Unternehmen, das überwiegend Reini­gungs­leis­tungen erbringe. Dafür spreche schon der Name der Firma („Reini­gungs­service“). Auch nach den Verträgen mit den Auftraggebern (Kaufhäusern, Einkaufszentren usw.) sei wesentliche Verpflichtung der Klägerin stets gewesen, die Toiletten in einem sauberen Zustand zu halten bzw. laufend zu reinigen. Schließlich würde der Betrieb sich über die Einnahme freiwilliger Trinkgelder finanzieren, die in der Erwartung gegeben würden, dass die Toilet­ten­mi­t­a­r­beiter Reini­gungs­leis­tungen erbringen. Einige Auftraggeber hätten sogar ausdrücklich erlaubt, durch das Aufstellen von Schildern auf die Mühen der Reini­gungs­kräfte hinzuweisen, um dadurch zur Trinkgeldabgabe zu animieren. Auf den konkreten zeitlichen Umfang der Reini­gung­s­tä­tigkeit komme es indes nicht an. So wie ein Arzt, der nachts Bereit­schafts­dienst leistet, Arzt bleibe, bleibe eine Reinigungskraft, die sich zur Beseitigung neuer Verschmutzungen bereithält, eine Reinigungskraft.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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