Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss25.08.2025
Oberverwaltungsgericht bestätigt Ausschluss von AfD-Kandidat Paul bei Oberbürgermeisterwahl in LudwigshafenEilantrag von Joachim Paul gegen Nichtzulassung zur Oberbürgermeisterwahl bleibt ohne Erfolg
Der Eilrechtsschutzantrag des von der Alternative für Deutschland – AfD – nominierten Kandidaten Joachim Paul gegen die Entscheidung des Wahlausschusses, ihn nicht zur Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen am 21. September 2025 zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.
Der Antragsteller ist Mitglied der AfD und des Stadtrats von Koblenz sowie des Landtags Rheinland-Pfalz, wo er bis 2021 stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion war. Mit Schreiben vom 14. Juli 2025 „an die betroffenen Kommunen“ erinnerte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz (ADD) an die Anforderungen bei der Prüfung und Zulassung der eingereichten Wahlvorschläge. Die Bewerber für ein kommunales Wahlamt seien nach den gesetzlichen Voraussetzungen unter anderem nur dann wählbar, wenn sie die Gewähr dafür böten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Daraufhin wandte sich die Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen am Rhein als Wahlleiterin mit Schreiben vom 17. Juli 2025 und 18. Juli 2025 an das Ministerium des Innern und für Sport und bat unter Verweis auf Angaben zum Antragsteller bei Wikipedia und im Verfassungsschutzbericht 2024 des Landes Rheinland-Pfalz um Mitteilung etwaiger objektiver Anhaltspunkte, nach denen die Verfassungstreue des Antragstellers für ein kommunales Wahlamt nicht gegeben sein könnte. Sofern sie keine konkreten Hinweise erhalte, werde sie dem Wahlausschuss den entsprechenden Wahlvorschlag mit der Empfehlung der Zulassung vorlegen.
Mit Schreiben vom 29. Juli 2025 übersandte die Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Sport der Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen am Rhein die aus dortiger Sicht relevanten offenen und gerichtsverwertbaren Erkenntnisse zum Antragsteller. Daraufhin beschloss der Wahlausschuss in seiner Sitzung vom 5. August 2025 mit 6:1 Stimmen, den Wahlvorschlag der AfD – den Antragsteller – zurückzuweisen. Zur Begründung führte er an, es sei zu bezweifeln, dass der Antragsteller die Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten.
Gegen diese Entscheidung suchte der Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nach und beantragte, ihn als Kandidaten zur Wahl des Oberbürgermeisters der Stadt Ludwigshafen am Rhein am 21. September 2025 zuzulassen. Mit Beschluss vom 18. August 2025 lehnte das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße den Antrag ab.
Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde des Antragstellers wies das Oberverwaltungsgericht zurück. Zur Begründung führte es aus:
Das Verwaltungsgericht habe den Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers gegen seine Nichtzulassung zur Wahl des Oberbürgermeisters der Stadt Ludwigshafen zu Recht als unzulässig abgelehnt. Es entspreche gefestigter verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass gerade auch im Bereich von Kommunalwahlen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezögen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden könnten. Dies beruhe darauf, dass die Verfolgung der subjektiven Rechte Einzelner gegenüber der Notwendigkeit zurücktreten müsse, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern in einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen, und dass die Wahl sich nur dann gleichzeitig und termingerecht durchführen lasse, wenn die Rechtskontrolle der auf das Wahlverfahren bezogenen Entscheidungen während des Wahlablaufs begrenzt werde und im Übrigen einem nach der Wahl durchzuführenden Prüfungsverfahren vorbehalten bleibe. Bei der Zurückweisung eines Wahlvorschlags handele es sich in diesem Sinne um eine Entscheidung, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehe und daher nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden könne, das als ein spezielles, dem Wahlvorgang nachgelagertes Verfahren Vorrang genieße. Durch den Verweis auf den nachträglichen Rechtsschutz könne zwar eine empfindliche zeitliche Lücke im Hinblick auf die Sicherung des passiven Wahlrechts entstehen. Aber zum einen sei der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des passiven Wahlrechts und dem öffentlichen Interesse an einer raschen und verbindlichen Klärung der Gültigkeit der Wahl durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung Rechnung zu tragen, infolge derer die Prüfung der Aufsichtsbehörde über einen Einspruch nach dem Kommunalwahlgesetz gegen die Gültigkeit der Wahl binnen angemessener Frist zu erfolgen habe. Zum anderen drohe dem Antragsteller entgegen seiner Auffassung keine unzumutbare und irreparable Rechtsbeeinträchtigung.
Eine Ausnahme von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Grundsatz nachgelagerten Rechtsschutzes sei jedoch dann zu machen, wenn bei summarischer Prüfung bereits vor der Wahl festgestellt werden könne, dass das Wahlverfahren an einem offensichtlichen Fehler leide, der in einem Wahlprüfungsverfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der Wahl führen werde. Die Entscheidung des Wahlausschusses der Stadt Ludwigshafen, den Wahlvorschlag der AfD – den Antragsteller – zurückzuweisen, sei aber nicht offensichtlich fehlerhaft.
Rechtsgrundlage für die Zurückweisung des Wahlvorschlags sei die Regelung in § 58, § 23 Abs. 3 Kommunalwahlgesetz i.V.m. § 53 Abs. 3 Satz 1 Gemeindeordnung, wonach wählbar zum Bürgermeister nur sei, wer die Gewähr dafür biete, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintrete. Die damit einhergehende Beschränkung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Eingriff in das passive Wahlrecht sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Beamte seien schon durch die Verfassung selbst zur Verfassungstreue verpflichtet. Aufgrund dieser Treuepflicht gehöre es jedenfalls zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz, dass sich der Beamte zu der Verfassungsordnung, auf die er vereidigt sei, bekenne und für sie eintrete. Dies gelte auch für den Bürgermeister als kommunalen Wahlbeamten, der nach den Vorgaben der Gemeindeordnung die Gemeindeverwaltung leite und die Gemeinde nach außen vertrete, dem die Erfüllung der der Gemeinde übertragenen staatlichen Aufgaben obliege und der Dienstvorgesetzter der Gemeindebediensteten sei. Die Ernennung des Bürgermeisters erfolge zwar nach den Regelungen der Gemeindeordnung auf Grund einer demokratischen Wahl, aber – anders als etwa Gemeindevertreter oder Abgeordnete einer Volksvertretung – unterscheide er sich in seiner wesentlichen Funktion als Teil der vollziehenden Gewalt nicht von den Berufsbeamten. Die Nichtzulassung des Antragstellers für die Oberbürgermeisterwahl durch den Wahlausschuss sei nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung nicht offensichtlich rechtswidrig. Denn es bestünden hinreichende Anhaltspunkte, dass der Antragsteller nicht die Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Gerade die von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfasste Menschenwürde sei als der oberste Wert des Grundgesetzes anerkannt und unverfügbar. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte seien damit nicht vereinbar. Für die Annahme, der Bewerber biete keine hinreichende Gewähr für ein jederzeitiges Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung, genügten insoweit bereits berechtigte Zweifel hieran. Die Zweifel an der Verfassungstreue des Bewerbers müssten aber auf Umständen beruhen, die – einzeln oder in ihrer Gesamtheit – von hinreichendem Gewicht und bei objektiver Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung des passiven Wahlrechts geeignet seien, ernste Besorgnis an das künftige jederzeitige Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung auszulösen. Solche hinreichenden Zweifel könnten hier bereits daraus abgeleitet werden, dass der Antragsteller wiederholt die Verbreitung von sogenannten Remigrationsplänen zumindest unterstützt habe, ohne sich insoweit von einem mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht in Einklang stehenden Verständnis derartiger Pläne zu distanzieren. In dem sogenannten Quartier Kirschstein, in dem sich das Wahlkreisbüro des Antragstellers in Koblenz befinde, sei der Rechtsextremist Martin Sellner im Rahmen seiner „Remigrationstour“ aufgetreten und habe seine sogenannten Remigrationspläne einem breiten Publikum präsentiert. Aus dem Schreiben der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Sport vom 29. Juli 2025 ergebe sich weiter, dass der Antragsteller am 18. November 2023 selbst einen Vortrag zum Thema „Schicksalsfrage Einwanderung – Warum Remigration nötig und machbar ist“ gehalten habe, wobei er sich auf die von der Identitären Bewegung geforderte erzwungene Rückführung von Migranten in ihre jeweiligen Herkunftsländer bezogen habe. Bereits im März 2023 sei zudem ein Artikel des Antragstellers im Freilich-Magazin unter dem Titel „Aktivisten benennen die Ellerstraße in Düsseldorf nach Karl Martell“ erschienen, in dem er das Motto „Remigration statt Unterwerfung!“ als „robuste Kritik an der etablierten Einwanderungspolitik“ bezeichnet habe, die den „Nerv der Zeit“ treffe. Der Antragsteller habe zwar im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf die Definition des Remigrationsbegriffs im Wahlprogramm der AfD für die Bundestagswahl 2025 verwiesen, die – so der Antragsteller – mit verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang stehe. Das genannte Wahlprogramm sei jedoch erst auf dem 16. Bundesparteitag der AfD vom 11. bis zum 12. Januar 2025 – also deutlich nach der Verwendung des Begriffs durch den Antragsteller – und erst nach öffentlicher Kritik an dem zuvor verlautbarten Konzept der Remigration beschlossen worden. Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass die Konzepte der Remigration, wie sie insbesondere von Martin Sellner und der Identitären Bewegung vertreten würden, nicht mit der Menschenwürde und damit letztlich auch nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Einklang stünden. Dem schließe sich das Oberverwaltungsgericht an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehe es bei diesem Konzept der Remigration nicht nur um beschleunigte Abschiebungen auf der Grundlage asyl- und ausländerrechtlicher Entscheidungen. Vielmehr sei eine Rechtsverweigerung für einen Teil der deutschen Staatsangehörigen vorgesehen, dem grundlegende Rechte wie Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit versagt sein sollten; deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund werde kein uneingeschränktes Bleiberecht zugestanden. Sie hätten gleichsam den Status von Staatsbürgern zweiter Klasse.
Ob sich die derart aufgrund der Angaben im Schreiben der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Sport vom 29. Juli 2025 begründeten Zweifel an der Gewähr des Antragstellers für ein jederzeitiges Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes auch in tatsächlicher Hinsicht als hinreichend tragfähig erweisen, müsse einer Prüfung in einem etwaigen – insoweit vorrangigen – Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleiben. Gleiches gelte für die Frage, ob die Äußerungen und Veröffentlichungen des Antragstellers in dem Sinne mehrdeutig seien, dass sie unter Berücksichtigung der Wertungen aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit keine eindeutigen Rückschlüsse auf sein jederzeitiges Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung zuließen. Soweit sich die dargelegten Gesichtspunkte im Wahlprüfungsverfahren in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht als nicht hinreichend tragfähig erwiesen, werde dort weiter zu erwägen sein, ob sich auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des passiven Wahlrechts – wofür bei summarischer Prüfung einiges spreche – hinreichend begründete Zweifel an einer Gewähr des Antragstellers für ein jederzeitiges Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus einer Gesamtschau mit den weiteren im Verfahren aufgeworfenen Umständen ergäben.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 26.08.2025
Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/pt)