21.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Münster Urteil13.05.2024

Bundesamt für Verfas­sungs­schutz darf AfD und JA als Verdachtsfall beobachtenAnhaltspunkte für demokratie­feindliche Bestrebungen gegeben

Das Bundesamt für Verfas­sungs­schutz darf die Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“ und ihre Jugend­or­ga­ni­sation „Junge Alternative für Deutschland (JA)“ als Verdachtsfall beobachten und die Öffentlichkeit hierüber unterrichten. Auch die Beobachtung des sogenannten „Flügel“ in der Vergangenheit - zunächst als Verdachtsfall, später als „erwiesen extremistische Bestrebung“ - und deren Bekanntgabe waren rechtmäßig. Dies hat das Ober­verwaltungs­gericht entschieden. Die Berufungen der AfD und der JA gegen die Urteile des VG Köln waren damit erfolglos.

Die AfD hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Regelungen des Bundes­ver­fas­sungs­schutz­ge­setzes stellen eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Beobachtung als Verdachtsfall dar. Dies gilt auch für politische Parteien, welche unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen. Die Befugnis zur nachrich­ten­dienst­lichen Beobachtung besteht, wenn ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Vereinigung Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bloße Vermutungen oder Spekulationen genügen nicht. Was für einen Verdacht verfas­sungs­feind­licher Bestrebungen ausreicht, führt aber auch nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung.

Richter sehen ausreichend Anhaltspunkte für verfas­sungs­feindliche Bestrebungen innerhalb der AfD

Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokra­tie­prinzip gerichtet sind. Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staats­an­ge­hörigen mit Migra­ti­o­ns­hin­tergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stellt eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschen­wür­de­ga­rantie nicht zu vereinbaren ist. Verfas­sungs­widrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“, aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staats­an­ge­hörigen in Frage gestellt wird. Hier bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskri­mi­nierende Zielsetzungen. Dem Senat liegt eine große Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird. Daneben bestehen hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind. In der AfD werden in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet, zum Teil in Verbindung mit konkreten, gegen die gleich­be­rechtigte Religi­o­ns­ausübung von Muslimen gerichteten Forderungen. Nach Auffassung des Senats liegen bei der AfD darüber hinaus Anhaltspunkte für demokra­tie­feindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen.

Verfas­sungs­schutz darf nachrich­ten­dienstliche Mittel einsetzen

Der Senat war nicht gehalten, weitere Aufklä­rungs­maß­nahmen betreffend die sogenannte Staats- und Quellenfreiheit der AfD zu ergreifen. Aus der Rechtsprechung des BVerfG zum Parteiverbot bzw. zum Ausschluss von der Partei­en­fi­nan­zierung folgt nicht, dass auch im verwal­tungs­ge­richt­lichen Verfahren über die Beobachtung durch den Verfas­sungs­schutz etwaige Quellen „abgeschaltet“ werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt bei der Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall aus sachwidrigen und partei­po­li­tischen Motiven gehandelt hat oder handelt, liegen nicht vor. Das Bundesamt für Verfas­sungs­schutz ist auf der Grundlage des Bundes­ver­fas­sungs­schutz­ge­setzes auch berechtigt, die Öffentlichkeit über die Einstufung als Verdachtsfall zu informieren. Die bestehenden Anhaltspunkte sind, wie es das Gesetz vorsieht, hinreichend gewichtig. Dies gilt, obwohl die AfD durch die Bekanntgabe in ihren Rechts­po­si­tionen als politische Partei beeinträchtigt wird. Die maßgebliche Vorschrift ist durch den Gesetzgeber gerade im Hinblick auf die Verlautbarung von Verdachtsfällen geändert worden und soll auch diesen Fall umfassen. Eine sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfas­sungs­feindliche Bestrebungen bei der AfD sammelt, belastet diese daher auch nicht unver­hält­nismäßig, jedenfalls solange mit der Bezeichnung als „Verdachtsfall“ in keiner Weise der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Dass das Bundesamt und sein Präsident im Übrigen bei der Art und Weise der Information der Öffentlichkeit und ihrer sonstigen Öffent­lich­keits­arbeit nicht völlig frei sind, sondern gerichtlicher Kontrolle unterliegen, ist selbst­ver­ständlich, aber nicht Gegenstand der hiesigen Verfahren.

Richter bestätigten Beobachtung von JA und «Flügel»

Auch die JA kann nicht verlangen, dass die Beobachtung als Verdachtsfall und die entsprechende Bekanntgabe unterbleiben. Es finden sich hier ebenso tatsächliche Anhaltspunkte für verfas­sungs­feindliche Bestrebungen, namentlich gegen die Menschenwürde von bestimmten Personengruppen. Es besteht der begründete Verdacht, dass die JA deutschen Staats­an­ge­hörigen mit Migra­ti­o­ns­hin­tergrund die Anerkennung als gleich­be­rechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagen will. Dies ergibt sich im Ausgangspunkt aus dem bei Einstufung als Verdachtsfall noch geltenden „Deutschlandplan“ und den dortigen Ausführungen zur Migra­ti­o­ns­politik und Einwanderung. Die Anhaltspunkte für verfas­sungs­feindliche Bestrebungen sind in der Folge nicht entfallen, obgleich es im Programm der JA Änderungen gegeben hat. Ebenso besteht der begründete Verdacht, dass ihre politischen Vorstellungen auf eine Missachtung der Menschenwürde und eine glaubens­be­zogene Diskriminierung von Muslimen zielen. Auch in Bezug auf die JA erweist sich die Bekanntgabe der Einstufung auf der Grundlage des Bundes­ver­fas­sungs­schutz­ge­setzes als gerechtfertigt. Die Berufung der AfD betreffend den „Flügel“ hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die - zwischen­zeitlich eingestellte - Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und später als „erwiesen extremistische Bestrebung“ waren rechtmäßig. Bei dem „Flügel“ handelte es sich um einen Perso­nen­zu­sam­men­schluss im Sinne des Bundes­ver­fas­sungs­schutz­ge­setzes. Auch wenn keine formelle Mitgliedschaft bestand, besaß er eine hinreichend verfestigte Organi­sa­ti­o­nss­truktur. Es bestand zunächst der Verdacht, dass sich die politischen Zielsetzungen des „Flügel“ gegen die Menschenwürde von bestimmten Personengruppen richteten. Die dokumentierten Äußerungen rechtfertigten am 12.03.2020, dem Tag der Bekanntgabe der „Hochstufung“, auch die über den Verdacht hinausgehende Schluss­fol­gerung, die Ziele des „Flügel“ richteten sich tatsächlich gegen den Schutz der Menschenwürde, namentlich von Deutschen mit Migra­ti­o­ns­hin­tergrund sowie deutschen und ausländischen Staats­an­ge­hörigen islamischen Glaubens. Die Bekanntgabe der Einstufungen war ebenfalls rechtmäßig. Der Senat hat in allen drei Verfahren die Revision nicht zugelassen; hiergegen kann Beschwerde zum Bundes­ver­wal­tungs­gericht eingelegt werden.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Münster, ra-online (pm/ab)

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