21.11.2024
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Dokument-Nr. 29943

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Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss03.03.2021

Elektronik­fachmärkte und Schuhgeschäfte bleiben in Niedersachsen geschlossenZweifel an Notwendigkeit der derzeit bestehenden Maßnahmen

Das Nieder­säch­sische Ober­verwaltungs­gericht hat mit zwei Eilbeschlüssen zwei Anträge auf vorläufige Außer­voll­zug­setzung der in § 10 Abs. 1b Satz 1 der Nieder­säch­sischen Corona-Verordnung (im Folgenden: Corona-VO) angeordneten Schließung bestimmter Verkaufsstellen des Einzelhandels abgelehnt.

In dem einem Verfahren hatten sich drei Betreiber von Elektro­nik­fach­märkten und in dem anderen Verfahren die Betreiberin eines Schuh­fach­ge­schäfts an das Gericht gewandt. Beide hatten geltend gemacht, dass die Schlie­ßungs­a­n­ordnung unver­hält­nismäßig sei und sie in ihren Rechten verletze.

Erfolgs­aus­sichten im Haupt­sa­che­ver­fahren offen

Das OVG hat die Anträge nach einer sogenannten Folgenabwägung abgelehnt. Für den Senat sei derzeit offen, ob § 10 Abs. 1b Satz 1 Corona-VO in einem Haupt­sa­che­ver­fahren für unwirksam zu erklären sei. Der Senat gehe zwar davon aus, dass unter Berück­sich­tigung des aktuellen Infek­ti­o­ns­ge­schehens die Voraussetzungen für den Erlass infek­ti­o­ns­schutz­recht­licher Schutzmaßnahmen weiterhin erfüllt seien. Es sei aber zweifelhaft, ob die streit­ge­gen­ständ­lichen Betrie­bs­schlie­ßungen in Gänze noch erforderlich und angemessen seien.

Mildere aber hinreichend effektive Mittel als Alternative nicht auszuschließen

Auch wenn dazu im Eilverfahren keine abschließenden Feststellungen getroffen werden könnten, sei nicht ausgeschlossen, dass mildere, aber hinreichend effektive andere Mittel zur Verfügung stünden. Dafür kämen etwa ein verbessertes betriebliches Hygienekonzept (z.B. mit Nachweisen der Infek­ti­o­ns­freiheit vor Zugang zum Geschäft, mit besonderen Anforderungen an die zu tragenden Mund-Nasen-Bedeckungen, mit Maßnahmen zur Kontakt­da­ten­nach­ver­folgung und mit technischen Maßnahmen zum Austausch oder zur Reinigung der Raumluft) einhergehend mit einer Verbesserung der staatlichen Überwachung und des Vollzugs angeordneter Schutzmaßnahmen, zu denen auch eine Beschränkung der Kundenzahl pro Flächen- oder Zeiteinheit gehören könne, in Betracht. Auch im Hinblick auf das gebietsbezogene Infek­ti­o­ns­ge­schehen erscheine es nicht ausgeschlossen, dass mildere, in ihrer Wirkung ähnlich effektive Mittel ergriffen werden könnten. Möglich erscheine insbesondere ein noch aktiveres Handeln staatlicher Stellen bei der Pande­mie­be­kämpfung, etwa durch die Intensivierung der Erforschung von Infek­ti­o­ns­um­feldern und die Effektivierung der Kontakt­nach­ver­folgung, sowohl durch Stärkung des öffentlichen Gesund­heits­dienstes als auch durch Verbesserung technischer Instrumente.

Angemessenheit der Betrie­bs­schließung nicht im Rahmen eines Eilverfahrens zu klären

Daher erscheine es zweifelhaft, ob der Verord­nungsgeber die nun bereits mehrere Monate andauernde Entwicklung des Infek­ti­o­ns­ge­schehens durch in erster Linie bloße Verlängerungen der Geltungsdauer begleiten dürfe. Angesichts der damit verbundenen immer gewichtiger werdenden Nachteile für die von den Betrie­bs­schlie­ßungen Betroffenen und die gesamte Volkswirtschaft sei derzeit im Rahmen eines Eilverfahrens auch nicht abschließend zu klären, ob die streit­ge­gen­ständ­lichen Betrie­bs­schlie­ßungen in Gänze noch angemessen seien.

Schließung der Schuhgeschäfte allenfalls noch für einen kurzen Überg­angs­zeitraum angemessen

In Bezug auf die Schließung der Schuhgeschäfte sei auch zu berücksichtigen, dass Schuhe insbesondere bei Kindern infolge des Wachs­tums­pro­zesses häufig ersetzt werden müssten, so dass die vollständige Schließung der Schuhgeschäfte allenfalls noch für einen kurzen Überg­angs­zeitraum als angemessen angesehen werden könne.

Keine willkürliche Ungleich­be­handlung feststellbar

Eine willkürliche Ungleichbehandlung sei allerdings nicht festzustellen. Die unter­schiedliche Behandlung der Schuhgeschäfte und Elektro­nik­märkte einerseits und der Einzel­han­dels­ge­schäfte für Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs andererseits sei mit Blick auf die Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung nachvollziehbar. Auch eine Ungleich­be­handlung von Geschäften gegenüber Schulen und dem Öffentlichen Perso­nen­nah­verkehr sei aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses am Öffentlichen Perso­nen­nah­verkehr sowie an der Öffnung von Schulen und dem öffentlichen Bildungsauftrag ohne Weiteres sachlich gerechtfertigt. Klarstellend wies der Senat darauf hin, dass sich eine recht­fer­ti­gungs­be­dürftige Ungleich­be­handlung nicht daraus ergeben könne, dass andere Länder abweichende Schutzmaßnahmen getroffen haben, da der Gleichheitssatz jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in dessen Zustän­dig­keits­bereich binde. Ein Bundesland verletze den Gleichheitssatz nicht deshalb, weil ein anderes Bundesland den gleichen Sachverhalt anders behandele.

Interesse des Gesund­heits­schutz derzeit noch überwiegend

Im Rahmen der wegen der offenen Erfolgs­aus­sichten vorzunehmenden Folgenabwägung überwiege derzeit aber noch das Interesse an der Vermeidung von Infektions-, Erkrankungs- und Todesfällen. Ohne die streit­ge­gen­ständ­lichen Betrie­bs­schlie­ßungen könnte sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung zahlreicher weiterer Personen, der Überlastung der gesund­heit­lichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimms­tenfalls des Todes von Menschen noch weiter erhöhen. Im Rahmen der Folgenabwägung werde auch berücksichtigt, dass die Corona-VO zeitlich befristet sei und damit sichergestellt sei, dass sie fortlaufend an neuere Entwicklungen der Pandemie angepasst werden müsse.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Lüneburg, ra-online (pm/ab)

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