18.10.2024
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Dokument-Nr. 31189

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Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss16.12.2021

Vorläufige Außer­voll­zug­setzung der 2G-Regelung im EinzelhandelSchwerwiegende öffentliche Interessen steht vorläufigen Außer­voll­zug­setzung nicht entgegen

Das Nieder­säch­sischen Obe­rverwaltungs­gericht hat § 9 a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Nieder­säch­sischen Verordnung über infektions­präventive Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten vom 23. November 2021, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Nieder­säch­sischen Corona-Verordnung vom 13. Dezember 2021(im Folgenden: Corona-VO), vorläufig außer Vollzug gesetzt. Diese Rechts­vor­schrift ordnet in bestimmten Betrieben und Einrichtungen des Einzelhandels ein Verbot des Zutritts für Kunden an, die weder über einen Impfnachweis noch über einen Genese­nen­nachweis verfügen (sog. 2G-Regelung im Einzelhandel).

Gegen diese Regelung hatte sich eine Antragstellerin, die auch in Niedersachsen Einzelhandel im Filialbetrieb mit einem Mischsortiment betreibt, mit einem Normen­kon­trol­leil­antrag gewandt und geltend gemacht, die Infek­ti­o­ns­schutz­maßnahme sei nicht notwendig und auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar.

2G-Regelung im Einzelhandel derzeit keine notwendige Schutzmaßnahme

Dem ist das OVG im Wesentlichen gefolgt. Die 2G-Regelung im Einzelhandel in der konkreten Ausgestaltung nach § 9 a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Corona-VO sei derzeit keine notwendige Schutzmaßnahme. Die Eignung zur Erreichung der infek­tio­lo­gischen Ziele sei durch die - fraglos erforderlichen - zahlreichen Ausnahmen in § 9 a Abs. 1 Satz 2 Corona-VO bereits reduziert. Allein im von der 2G-Regelung nicht umfassten Lebens­mit­te­l­ein­zel­handel finde der weit überwiegende Teil täglicher Kundenkontakte statt. Auch die Erfor­der­lichkeit sei zweifelhaft. Der Senat habe bereits mehrfach beanstandet, dass verlässliche und nachvoll­ziehbare Feststellungen zur tatsächlichen Infek­ti­o­ns­re­levanz des Geschehens im Einzelhandel fehlten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Erforschung von Infek­ti­o­ns­um­feldern auch durch das Land Niedersachsen intensiviert worden wäre, um die Zielgenauigkeit der Schutzmaßnahmen zu erhöhen. Eine schlichte Übertragung von Erkenntnissen zum Geschehen in geschlossenen Räumen von Sport- und Freizei­t­ein­rich­tungen dränge sich angesichts erheblicher Unterschiede zu dem Geschehen im Einzelhandel nicht auf. Letzteres erscheine jedenfalls regelmäßig durch eine kürzere Verweildauer der Kunden, eine geringere Kundendichte, eine geringere Anzahl unmittelbarer Perso­nen­kontakte (Face-to- Face), geringere körperliche Aktivitäten und eine bessere Durchsetzung von Hygie­ne­kon­zepten gekennzeichnet.

Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske als alternative Möglichkeit

Zudem könnten die Kunden, wie in vielen anderen Alltags­si­tua­tionen, auch im Einzelhandel verpflichtet werden, eine FFP2-Maske zu tragen. Nach neueren Erkenntnissen dürften Atemschutz­masken dieses Schutzniveaus - eine in Betrieben und Einrichtungen des Einzelhandels durchaus durchzusetzende richtige Verwendung der Maske vorausgesetzt - das Infek­ti­o­ns­risiko derart absenken, dass es nahezu vernachlässigt werden könne. Auch das Robert Koch-Institut sehe in seiner ControlCOVID-Strategie zur Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22 selbst für die höchste Warnstufe nicht den Ausschluss ungeimpfter Kunden vom Einzelhandel vor. Die Corona-VO hingegen ordne die 2G-Regelung bereits ab der Warnstufe 1 an, die durch ein mildes Infek­ti­o­ns­ge­schehen gekennzeichnet sei. Selbst bei der derzeit geltenden Warnstufe 2 erachte der Verord­nungsgeber das Infek­ti­o­ns­ge­schehen als beherrschbar. Zur Reduzierung eines solchen Infek­ti­o­ns­ge­schehens leiste die 2G-Regelung in ihrer konkreten Ausgestaltung durch § 9 a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 Corona-VO nur einen sehr geringen Beitrag. Dieser könne durch eine FFP2-Maskenpflicht auf ein für das Infek­ti­o­ns­ge­schehen irrelevantes Niveau reduziert werden. Demgegenüber stünden durchaus erhebliche Eingriffe in die Grundrechte der ungeimpften Kunden und der Betriebsinhaber. In dieser Relation - beherrschbares Infek­ti­o­ns­ge­schehen, geringe Wirkung der Infek­ti­o­ns­schutz­maßnahme und erhebliche Grund­recht­s­ein­griffe - erweise sich die 2G-Regelung im Einzelhandel derzeit als unangemessen. Eine andere Bewertung gebiete - bei objektiver Betrachtung des dem Senat bekannten oder vom Land Niedersachsen präsentierten aktuellen Erkennt­nisstands - auch die neue Omikron-Variante nicht.

2G-Regelung nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar

Die 2G-Regelung im Einzelhandel in der konkreten Ausgestaltung nach § 9 a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 Corona-VO dürfte auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren sein. Nachvoll­ziehbare sachliche Gründe dafür, dass beispielsweise zwar Garten­ma­rktgüter, Güter des Blumenhandels einschließlich der Güter des gärtnerischen Fachein­zel­handels und Güter zur Reparatur und Instandhaltung von Elektro­nik­geräten zu den von der 2G-Regelung ausgenommenen "Gütern des täglichen Bedarfs oder zur Grundversorgung der Bevölkerung" gezählt würden, aber Baumärkte uneingeschränkt der 2G-Regelung unterworfen blieben, seien nicht erkennbar. Schwerwiegende öffentliche Interessen, die einer vorläufigen Außervollzugsetzung der danach voraussichtlich rechtswidrigen Regelung entgegenstünden, seien nicht gegeben.

2G-Regelung im Einzelhandel kein wesentlicher Baustein in der Strategie der Pande­mie­be­kämpfung

Unter Berück­sich­tigung der in den zurückliegenden Corona-Verordnungen getroffenen Infek­ti­o­ns­schutz­maß­nahmen und des aktuellen Infek­ti­o­ns­ge­schehens auch im Land Niedersachsen sei die 2G-Regelung im Einzelhandel kein wesentlicher Baustein in der Strategie der Pande­mie­be­kämpfung des Landes Niedersachsen. Dies folge auch nicht aus der maßgeblich politischen Festlegung in der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regie­rung­s­che­finnen und Regierungschefs der Länder am 2. Dezember 2021.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Lüneburg, ra-online (pm/ab)

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