23.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss06.11.2020

Corona-Pandemie: Fitnessstudios in Niedersachen bleiben geschlossenBetriebs­schließungen bei derzeitiger Infek­ti­o­ns­dynamik effektiver als Hygienekonzepte

Das OVG Lüneburg hat die Anträge auf vorläufige Außer­voll­zug­setzung der Schließung von Fitnessstudios durch § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 der Nieder­säch­sischen Corona-Verordnung.

Nach der genannten Regelung sind mit Wirkung vom 2. November 2020 auch Fitnessstudios für den Publi­kums­verkehr und Besuche geschlossen. Gegen diese grundsätzliche Schließung hatten sich mehrere Betreiberinnen und Betreiber nieder­säch­sischer Fitnessstudios mit Normen­kon­trol­leil­an­trägen gewandt und geltend gemacht, dass die Schließung infek­ti­o­ns­schutz­rechtlich nicht notwendig sei und den allgemeinen Gleichheitssatz verletze.

OVG: Eingriffe durch Schlie­ßungs­a­n­ordnung müssen derzeit akzeptiert werden

Das OVG hat diese Anträge nach einer sogenannten Folgenabwägung abgelehnt. Für den Senat sei derzeit offen, ob § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 der Nieder­säch­sischen Corona-Verordnung in einem Haupt­sa­che­ver­fahren für rechtmäßig oder für unwirksam zu erklären sei. Mit Blick auf die gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines weiteren Anstiegs der Zahl von Ansteckungen und Erkrankungen für die Rechtsgüter Leib und Leben einer Vielzahl Betroffener sowie die Gefahr einer Überlastung des Gesund­heits­wesens ergebe die Folgenabwägung, dass der durch die Schlie­ßungs­a­n­ordnung bewirkte Eingriff gegenwärtig hinzunehmen sei.

Weitreichenden Betrie­bs­schlie­ßungen und ergänzenden Betrie­bs­be­schrän­kungen aufgrund aktueller Entwicklung erforderlich

Das OVG ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Verord­nungs­re­gelung auf einer tragfähigen und dem Parla­ments­vor­behalt genügenden Rechtsgrundlage beruhe. Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit bestünden auch nicht mit Blick auf das "Ob" eines staatlichen Handelns und die Notwendigkeit der infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Maßnahme als solcher. Der Verord­nungsgeber habe die Erfor­der­lichkeit der Betrie­bs­schlie­ßungen - anders als bei den zuvor angeordneten Beher­ber­gungs­verboten und Sperrzeiten im Gastro­no­mie­bereich - nicht nur anhand der 7-Tage-Inzidenz, also der Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen, beurteilt. Er habe vielmehr, wie in dem von der Nieder­säch­sischen Landesregierung erstellten "Handlungs­konzept zur Bekämpfung des Infek­ti­o­ns­ge­schehens in der COVID 19 Pandemie" vorgesehen, auch alle anderen für das Infek­ti­o­ns­ge­schehen relevanten Umstände in seine Bewertung einbezogen. Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung (landesweit diffuses Infek­ti­o­ns­ge­schehen, mangelnde Rückver­folg­barkeit von Infek­ti­o­ns­ketten, starker Anstieg der Zahl Neuinfizierter und der Zahl insbesondere inten­siv­me­di­zinisch behand­lungs­be­dürftiger Erkrankter) durfte der Antragsgegner den vollzogenen Strate­gie­wechsel weg von bisherigen bloßen Betrie­bs­be­schrän­kungen hin zu weitreichenden Betrie­bs­schlie­ßungen und ergänzenden Betrie­bs­be­schrän­kungen für erforderlich erachten.

Infektionsorte überwiegend nicht feststellbar

Die Betreiberinnen und Betreiber der Fitnessstudios hätten sich demgegenüber nicht erfolgreich darauf berufen können, dass es in ihrem Umfeld bisher nicht nachweislich zu Infektionen gekommen sei. Denn der dieser Annahme zugrun­de­liegende Bericht des RKI zum "Infek­ti­o­ns­umfeld von COVID-19-Ausbrüchen in Deutschland" vom 17. September 2020 und die täglichen Lageberichte wiesen nur einen geringen Erkenntniswert auf, da der weit überwiegende Teil der Infektionsorte nicht festgestellt werden könne. Dahinstehen könne, ob der Verord­nungsgeber alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen habe, um bessere Erkenntnisse über die Verbrei­tungswege und Infek­ti­o­ns­um­felder zu erlangen. Denn selbst vernei­nen­denfalls führe dies nicht dazu, dass infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Schutzmaßnahmen auf der seit Pandemiebeginn nahezu unverändert dürftigen Erkenntnislage gar nicht mehr getroffen werden dürften und die Infek­ti­o­ns­schutz­be­hörden gehalten wären, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen.

Betrie­bs­schlie­ßungen bei derzeitiger Infek­ti­o­ns­dynamik effektiver als Hygienekonzepte

Gegenüber der Betriebsschließung mildere Mittel seien nicht auszumachen. Der Senat erkenne durchaus, dass die Betreiberinnen und Betreiber der Fitnessstudios in den vergangenen Monaten erhebliche Arbeitskraft und finanzielle Mittel in die Umsetzung von Hygie­ne­kon­zepten investiert hätten. Eine gewisse Wirksamkeit der Konzepte sei zwar nicht zu leugnen. Es sei angesichts der derzeitigen Infek­ti­o­ns­dynamik aber nicht festzustellen, dass diese Konzepte infek­ti­o­ns­schutz­rechtlich eine vergleichbare Effektivität aufwiesen, wie die Betrie­bs­schlie­ßungen. Zudem könne die Wirksamkeit der Konzepte mangels belastbarer tatsächlicher Erkenntnisse zum konkreten Infek­ti­o­ns­umfeld nicht konkretisiert werden.

Vereinbarkeit der Verordnung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz im Eilverfahren nicht abschließend zu klären

Das OVG vermochte im Eilverfahren nicht abschließend zu beurteilen, ob die Verord­nungs­re­gelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz zu vereinbaren sei. Die Betrie­bs­schlie­ßungen beruhten jedenfalls auf der nicht sachfremden Erwägung, dass ein ganz erheblicher Teil der für das Infek­ti­o­ns­ge­schehen relevanten sozialen Kontakte von vorneherein verhindert werden müsse. Diese Verhinderung könne neben den ganz erheblichen Beschränkungen von Kontakten im privaten Bereich am gemein­wohl­ver­träg­lichsten durch Verbote und Beschränkungen in den Bereichen Freizeit, Sport, Unterhaltung und körpernaher Dienst­leis­tungen erreicht werden.

Eingriffe in Grundrechte reichen zur Verneinung einer Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes nicht aus

Diese schlichte Beachtung des Willkürverbots sei angesichts des Umfangs der angeordneten Schließungen und der damit verbundenen erheblichen Eingriffe in Grundrechte der Betriebsinhaber aber nicht ausreichend, um eine Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes verneinen zu können. Es bedürfe vielmehr einer weitergehenden Prüfung, ob der Verord­nungsgeber mit der getroffenen Auswahl von zu schließenden oder zu beschränkenden Betrieben unter Berück­sich­tigung des infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeiten und aller sonstigen relevanten Belange eine auf hinreichenden Sachgründen beruhende und angemessene Differenzierung tatsächlich erreicht habe. Die Beantwortung dieser Frage sei schon angesichts der Vielzahl und Vielge­stal­tigkeit der Fallkon­stel­la­tionen nicht einfach und müsse daher einem Haupt­sa­che­ver­fahren vorbehalten bleiben.

Eingriff in Berufsfreiheit durch staatliche Finanzhilfen abgemildert

Die wegen der danach offenen Erfolgs­aus­sichten gebotene Folgenabwägung führe dazu, dass die von den Antragstellern geltend gemachten Gründe für die vorläufige Außer­voll­zug­setzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe nicht überwögen. Die Betrie­bs­schlie­ßungen griffen zwar tief und wiederholt in die Berufs­aus­übungs­freiheit ein. Das Gewicht dieses Eingriffs werde aber dadurch gemildert, dass ihnen staat­li­cherseits Kompensationen für die zu erwartenden Umsatzausfälle in durchaus erheblichem Umfang in Aussicht gestellt worden seien. Mit Blick auf die gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines weiteren Anstiegs der Zahl von Ansteckungen und Erkrankungen für die hochwertigen Rechtsgüter Leib und Leben einer Vielzahl Betroffener sowie einer Überlastung des Gesund­heits­wesens sei dieser Eingriff daher gegenwärtig hinzunehmen.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Lüneburg, ra-online (pm/ab)

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