21.11.2024
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Dokument-Nr. 34116

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Urteil30.04.2024Oberverwaltungsgericht Koblenz7 A 10988/23.OVG
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Oberverwaltungsgericht Koblenz Urteil30.04.2024

Zur Sicherstellung eines Motorrads - Annahme einer Wieder­ho­lungs­gefahr ohne tatsächliche Anhaltspunkte nicht ausreichendMotorrad zu Unrecht von Polizei sichergestellt

Die Polizei durfte ein Motorrad nach dem Anhalten des Fahrers bei einer Verkehr­s­kon­trolle aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens, das von ihr als verbotenes Kraft­fahr­zeu­grennen bewertet wurde, nicht zur Gefahrenabwehr sicherstellen. Dies entschied das Ober­verwaltungs­gericht Koblenz.

Im Februar 2022 wurden zwei Polizeibeamte eines Streifenwagens auf zwei Motorräder aufmerksam, die nach ihrer Einschätzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h auf einer vierspurigen Straße in Ludwigshafen fuhren, auf der eine Höchst­ge­schwin­digkeit von 50 km/h erlaubt ist. Die Polizeibeamten folgten den beiden Motorradfahrern bis zu einer Ampel und forderten sie auf, sich in eine Seitenstraße zur Durchführung einer Verkehrskontrolle zu begeben. Während der andere Motorradfahrer flüchtete, folgte der Kläger den Anweisungen der Polizeibeamten. Diese belehrten den Kläger als Beschuldigten eines verbotenen Kraft­fahr­zeu­grennens, einer Straftat nach § 315 d StBG, und stellten das Fahrzeug doppel­funk­tional sicher, d.h. sowohl im Rahmen der Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr. Außerdem wurde die Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde vom AG Ludwigshafen im April 2023 wegen geringer Schuld nach § 153 StPO eingestellt. Gegen die fortbestehende Sicherstellung des Motorrads zur Gefahrenabwehr erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung des Wider­spruch­ver­fahrens Klage, die das VG Neustadt an der Weinstraße abwies.

Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung nicht gegeben

Auf die Berufung des Klägers änderte das OVG die Entscheidung des VG, hob den Sicher­stel­lungs­be­scheid auf und verurteilte das beklagte Land, das sichergestellte Motorrad herauszugeben. Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrads des Klägers lägen nicht vor. Nach § 22 des Polizei- und Ordnungs­be­hör­den­ge­setzes könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Gegenwärtig sei eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen habe oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit bevorstehe. Hiervon ausgehend sei die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrads getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt gewesen. Selbst wenn die Polizeibeamten das Verhalten des Klägers als strafbares Straßenrennen hätten bewerten dürfen, was dahingestellt bleiben könne, so trage dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr. Mit dem Anhalten des Klägers im Rahmen der anlassbezogenen Verkehr­s­kon­trolle sei das - hier unterstellte - strafbare illegale Kraft­fahr­zeu­grennen des Klägers beendet gewesen. Die anschließende Sicherstellung sei demgemäß nicht zu dem Zweck erfolgt, das von den Beamten als Kraft­fahr­zeu­grennen eingestufte Verhalten zu stoppen, sondern das Begehen künftiger Verkehr­s­s­traftaten zu verhindern.

Wieder­ho­lungs­gefahr wegen Unbelehrbarkeit nicht nachgewiesen

Es hätten jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger in allernächster Zeit nach der Verkehr­s­kon­trolle mit hoher Wahrschein­lichkeit mit seinem Motorrad an einem (weiteren) illegalen Straßenrennen teilgenommen oder sonstige Straftaten im Verkehr begangen hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein von der Polizei ertappter "Verkehrssünder" sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten oder gar - wie hier - gegen ihn eingeleiteten straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahren unbeeindruckt bleibe. Vielmehr müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, dass diese Mittel und Sanktionen den durch­schnitt­lichen Verkehrs­teil­nehmer so nachhaltig beeindruckten, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrs­verstöße bzw. Straßen­ver­kehrs­delikte absehe. Etwas Anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten, beispielsweise wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt sei. Auch ungewöhnlich viele Verkehrs­verstöße in der Vergangenheit oder ein wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis könnten auf eine Unbelehrbarkeit hindeuten. Danach reiche ein strafbares Verhalten des Klägers im Februar 2022 für die Annahme, er werde in allernächster Zukunft mit hoher Wahrschein­lichkeit weitere Straßen­ver­kehrs­delikte begehen, nicht aus. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den sonstigen Umständen, insbesondere nicht aus der Motorisierung des Motorrads oder der Tatsache, dass gegen den Kläger zwar bereits im Jahr 2020 ein Ermitt­lungs­ver­fahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens geführt worden sei, dieses aber nicht zu einer entsprechenden straf­ge­richt­lichen Verurteilung geführt habe.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Koblenz, ra-online (pm/ab)

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