21.11.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss04.07.2019

Flucht vor Polizei kann unter Straftatbestand "Verbotene Kraft­fahr­zeu­grennen" fallenAuch Erreichen höchstmöglicher Geschwin­dig­keiten zur Flucht vor der Polizei von spezifischem Renncharakter geprägt

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat entschieden, dass auch Fälle der sogenannten "Polizeiflucht" dem seit 13. Oktober 2017 geltenden, neuen Straftatbestand "Verbotene Kraft­fahr­zeu­grennen" unterfallen können.

Der Angeklagte des zugrunde liegenden Streitfalls war vom Amtsgericht Münsingen am 2. Oktober 2018 wegen verbotenen Kraft­fahr­zeu­grennens zu der Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt worden. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein wurde eingezogen. Zudem wurde eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt. Hiergegen hat der Angeklagte eine sogenannte "Sprungrevision" zum Oberlan­des­gericht eingelegt, die jedoch ohne Erfolg blieb.

Angeklagter flüchtet vor Polizei

Nach den rechts­feh­ler­freien Feststellungen des Amtsgerichts hatte das Oberlan­des­gericht Stuttgart von folgendem Sachverhalt auszugehen: Der Angeklagte flüchtete am 1. Mai 2018 gegen vier Uhr in Lichtenstein-Honau mit seinem Pkw vor einer Strei­fen­wa­gen­be­satzung der Polizei, welche ihn einer Verkehr­s­kon­trolle unterziehen wollte und ihm deshalb Haltesignal anzeigte. Nach Erkennen des Streifenwagens und des Haltesignals beschleunigte er sein Fahrzeug, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die ihn nun mit Blaulicht, Martinshorn und dem Haltesignal "Stopp Polizei" verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen. Die zulässige Höchst­ge­schwin­digkeit erheblich überschreitend und unter Missachtung der Sicher­heits­in­teressen anderer Verkehrs­teil­nehmer fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch den Ort Engstingen. Die Gegenfahrbahn nutzend fuhr er über eine "Rot" anzeigende Ampel und setzte seine Fahrt durch Engstingen bei erlaubten 50 km/h mit mindestens 145 km/h fort, wobei er von einer Geschwin­dig­keits­mes­s­anlage "geblitzt" wurde. Nach dem Ortsausgang fuhr er auf der teils kurvenreichen und unüber­sicht­lichen Bundesstraße 313 - bei partieller Geschwin­dig­keits­be­schränkung auf 70 km/h - mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 180 km/h. Hierbei schnitt er an unüber­sicht­lichen Stellen die Kurven; ihm waren allein um des schnelleren Fortkommens willen die Belange anderer Verkehrs­teil­nehmer gleichgültig. Die ihn verfolgenden Polizeibeamten konnten die Distanz zum Fahrzeug des Angeklagten nicht verringern, weil dies ohne erhebliches Risiko für sie und andere Verkehrs­teil­nehmer nicht möglich war, und mussten daher die Verfolgung abbrechen.

Ziel des Wettbewerbs durch Erreichen höchtmöglicher Geschwin­dig­keiten liegt auch bei Flucht vor Polizei vor

Die erhobene Sachrüge deckte keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen verbotenen Kraft­fahr­zeu­grennens gemäß § 315 d Abs. 1 Nr. 3 des Straf­ge­setzbuchs (StGB). Insbesondere hat das Amtsgericht fehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies verlange - so das Oberlan­des­gericht - nicht die Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen bzw. physikalischen Grenzen auszufahren. Ausreichend sei vielmehr das Abzielen auf eine relative, eine nach den Sicht-, Straßen- und Verkehrs­ver­hält­nissen oder den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche Höchst­ge­schwin­digkeit. Auf diese Absicht habe das Amtsgericht aus der Gesamtschau der Umstände rechts­feh­lerfrei geschlossen. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, müsse auch nicht Haupt- oder Allein­be­weggrund für die Fahrt sein. Vielmehr könne auch in Fällen der "Polizeiflucht" eine Strafbarkeit nach § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, wenn die weiteren tatbe­stand­lichen Voraussetzungen im Einzelfall - wie hier - festgestellt werden können. Sowohl der Geset­zes­wortlaut als auch die Begründung sprächen dafür, auch die "Polizeiflucht" als tatbe­standsmäßig anzusehen. Schließlich sei sie von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Geset­zes­be­gründung genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liege. Die risikobezogene Vergleich­barkeit mit den sportlichen Wettbewerben läge lau Gericht auf der Hand. Es wäre vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Vorschrift und der intendierten Abgrenzung zwischen Fahrten mit Renncharakter - und damit abstrakt höherem Gefähr­dungs­po­tential - und bloßen Geschwin­dig­keits­über­schrei­tungen auch sinnwidrig, für eine Strafbarkeit - bei identischer Fahrweise und gleicher abstrakter Gefährdungslage - allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst haben oder begleiten.

Relevante Normen (Auszug):

Strafgesetzbuch (StGB)

§ 315 d Verbotene Kraft­fahr­zeu­grennen (Auszug)

Erläuterungen

(1) Wer im Straßenverkehr

1. ein nicht erlaubtes Kraft­fahr­zeu­grennen ausrichtet oder durchführt,

2. als Kraft­fahr­zeug­führer an einem nicht erlaubten Kraft­fahr­zeu­grennen teilnimmt oder

3. sich als Kraft­fahr­zeug­führer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

[...]

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online (pm/kg)

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