Dem Angeklagten des zugrunde liegende Streitfalls wurde von der Staatsanwaltschaft Stuttgart vorgeworfen, er habe als Leiter von Versammlungen - vier Demonstrationen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 im Oktober 2010 und Frühjahr 2011 - Auflagen der Versammlungsbehörde missachtet, indem er in drei Fällen nicht die ausreichende Anzahl an Ordnern bereitstellte, in einem Fall nicht verhinderte, dass ein Tieflader mit Traktoren der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg in den mittleren Schlossgarten einfuhr und in einem Fall zugelassen habe, dass entgegen der Auflagen auf einem Fahrzeug Musik abgespielt wurde.
Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Stuttgart jeweils zu einer Gesamtgeldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt. Das Landgericht Stuttgart hat den Angeklagten mit Urteil vom 7. Dezember 2012 aus Rechtsgründen freigesprochen. Der Angeklagte habe zwar gegen die Auflagen aus den jeweiligen Versammlungsbescheiden verstoßen, es handle sich aber nicht um Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz, weshalb der Verstoß hiergegen keine Straftat nach § 25 Nr. 2 Versammlungsgesetz begründe. § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz sehe beschränkende Verfügungen nur für den Fall vor, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügungen erkennbaren Umständen vorliege, erfasse aber keine Maßnahmen, die nicht die Abwehr konkret bevorstehender unmittelbarer Gefahren bezwecken. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart macht mit der Revision geltend, es liege ein strafbarer Verstoß gegen Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetzes vor.
Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied, dass die Auffassung der Berufungsstrafkammer, dass die Anordnungen in den Bescheiden keine Auflagen gewesen seien, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalte. Es sei jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Auflage im Sinne des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz vorliege. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung sei insoweit aber nur lückenhaft und deshalb rechtsfehlerhaft erfolgt.
Insbesondere habe sich das Landgericht nur unzureichend mit dem Inhalt und der Begründung der jeweiligen Bescheide auseinandergesetzt und nicht hinreichend bedacht, dass die öffentliche Sicherheit auch die Sicherheit des Straßenverkehrs und den Schutz unbeteiligter Dritter vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen umfasse.
Soweit das Landgericht in dem Umstand, dass die Versammlungen trotz der Verstöße nicht aufgelöst und auch weitere Versammlungen genehmigt worden seien, einen Beleg dafür gesehen habe, dass es sich bei den Anordnungen nicht um strafbewehrte Auflagen habe handeln sollen, greife dies zu kurz. So habe das Landgericht nicht erörtert, dass eine Auflösung der Versammlungen auch zur Vermeidung von Eskalationen unterblieben sein könne und dass neue Versammlungen möglicherweise deshalb nicht verboten worden seien, da die Auflagen von der Versammlungsbehörde der Begründung der Bescheide zufolge jeweils im Einvernehmen mit dem Angeklagten erlassen worden seien.
Der Freispruch könne auch nicht aus dem Grund aufrecht erhalten werden, dass aufgrund der bisherigen Feststellungen insbesondere nicht davon auszugehen sei, dass die Anordnungen der Behörde rechtswidrig waren. Das Landgericht muss nunmehr erneut überprüfen, ob strafbare Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vorgelegen haben.
Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges
1. die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder
2. Auflagen nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.
(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.04.2013
Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online