21.11.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Urteil03.04.2013

Oberlan­des­gericht Stuttgart hebt Freispruch wegen Verstoßes gegen das Versamm­lungs­gesetz im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen "Stuttgart 21" aufLandgericht muss mögliche strafbare Verstöße gegen das Versamm­lungs­gesetz erneut prüfen

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat den Freispruch des Landgerichts Stuttgart für den Veranstalter mehrerer Demon­s­tra­ti­o­ns­ver­an­stal­tungen gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" aufgehoben. Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts hält die Auffassung des Landgerichts, dass es sich bei den Auflagen aus den jeweiligen Versamm­lungs­be­scheiden nicht um Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 Versamm­lungs­gesetz handelt, einer Überprüfung nicht stand.

Dem Angeklagten des zugrunde liegende Streitfalls wurde von der Staats­an­walt­schaft Stuttgart vorgeworfen, er habe als Leiter von Versammlungen - vier Demonstrationen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 im Oktober 2010 und Frühjahr 2011 - Auflagen der Versamm­lungs­behörde missachtet, indem er in drei Fällen nicht die ausreichende Anzahl an Ordnern bereitstellte, in einem Fall nicht verhinderte, dass ein Tieflader mit Traktoren der Bürge­r­i­n­i­tiative Lüchow-Dannenberg in den mittleren Schlossgarten einfuhr und in einem Fall zugelassen habe, dass entgegen der Auflagen auf einem Fahrzeug Musik abgespielt wurde.

LG Stuttgart: Auflagen aus Versamm­lungs­be­scheiden sind keine Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 Versamm­lungs­gesetz

Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Stuttgart jeweils zu einer Gesamt­geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt. Das Landgericht Stuttgart hat den Angeklagten mit Urteil vom 7. Dezember 2012 aus Rechtsgründen freigesprochen. Der Angeklagte habe zwar gegen die Auflagen aus den jeweiligen Versamm­lungs­be­scheiden verstoßen, es handle sich aber nicht um Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 Versamm­lungs­gesetz, weshalb der Verstoß hiergegen keine Straftat nach § 25 Nr. 2 Versamm­lungs­gesetz begründe. § 15 Abs. 1 Versamm­lungs­gesetz sehe beschränkende Verfügungen nur für den Fall vor, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügungen erkennbaren Umständen vorliege, erfasse aber keine Maßnahmen, die nicht die Abwehr konkret bevorstehender unmittelbarer Gefahren bezwecken. Die Staats­an­walt­schaft Stuttgart macht mit der Revision geltend, es liege ein strafbarer Verstoß gegen Auflagen im Sinne des § 15 Abs. 1 Versamm­lungs­ge­setzes vor.

OLG Stuttgart: Auslegung des LG zu Auflagen war lücken- und rechts­feh­lerhaft

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart entschied, dass die Auffassung der Berufungs­straf­kammer, dass die Anordnungen in den Bescheiden keine Auflagen gewesen seien, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalte. Es sei jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Auflage im Sinne des § 15 Abs. 1 Versamm­lungs­gesetz vorliege. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung sei insoweit aber nur lückenhaft und deshalb rechts­feh­lerhaft erfolgt.

Öffentliche Sicherheit umfasst auch Sicherheit des Straßenverkehrs und Schutz unbeteiligter Dritter

Insbesondere habe sich das Landgericht nur unzureichend mit dem Inhalt und der Begründung der jeweiligen Bescheide ausein­an­der­gesetzt und nicht hinreichend bedacht, dass die öffentliche Sicherheit auch die Sicherheit des Straßenverkehrs und den Schutz unbeteiligter Dritter vor unzumutbaren Lärmbe­ein­träch­ti­gungen umfasse.

Für und Wider der Versammlungen von LG nicht ausreichend beleuchtet

Soweit das Landgericht in dem Umstand, dass die Versammlungen trotz der Verstöße nicht aufgelöst und auch weitere Versammlungen genehmigt worden seien, einen Beleg dafür gesehen habe, dass es sich bei den Anordnungen nicht um strafbewehrte Auflagen habe handeln sollen, greife dies zu kurz. So habe das Landgericht nicht erörtert, dass eine Auflösung der Versammlungen auch zur Vermeidung von Eskalationen unterblieben sein könne und dass neue Versammlungen möglicherweise deshalb nicht verboten worden seien, da die Auflagen von der Versamm­lungs­behörde der Begründung der Bescheide zufolge jeweils im Einvernehmen mit dem Angeklagten erlassen worden seien.

Rückweisung der Sache an das Landgericht

Der Freispruch könne auch nicht aus dem Grund aufrecht erhalten werden, dass aufgrund der bisherigen Feststellungen insbesondere nicht davon auszugehen sei, dass die Anordnungen der Behörde rechtswidrig waren. Das Landgericht muss nunmehr erneut überprüfen, ob strafbare Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vorgelegen haben.

Ergänzende Hinweise:

§ 25 Versamm­lungs­gesetz

Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges

1. die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder

2. Auflagen nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhun­der­t­achtzig Tagessätzen bestraft.

§ 15 Versamm­lungs­gesetz

(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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