13.12.2024
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Dokument-Nr. 33761

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Urteil20.02.2024Oberlandesgericht Karlsruhe2 ORs 35 Ss 120/23
Vorinstanz:
  • Amtsgericht Freiburg, Urteil21.11.2022, 24 Cs 450 Js 18098/22
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil20.02.2024

Nötigung - OLG Karlsruhe hebt Freispruch gegen Klimaaktivisten wegen Beteiligung an Straßen­blo­ckaden aufFeststellungen des Amtsgerichts waren lückenhaft

Das Oberlan­des­gericht Karlsruhe hat ein freisprechendes Urteil des Amtsgericht Freiburg gegen einen Klimaaktivisten wegen seiner Beteiligung an drei Straßen­blo­ckaden aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen.

Der heute 32 Jahre alte Aktivist des Aktio­ns­bünd­nisses "Aufstand Letzte Generation aus Freiburg " blockierte in drei Fällen Straßen, indem er sich auf der Fahrbahn festklebte. Hierbei kam es zu langen Staus. Das Handeln gründete auf seiner Kritik an der Klimapolitik sowie dem Umgang mit der "Lebens­mit­tel­ver­schwendung". Erstinstanzlich wurde er vom AG Freiburg vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Das Gericht befand, dass zwar objektiv von Nötigungs­hand­lungen auszugehen sei. Es fehle jedoch an der für die Strafbarkeit erforderlichen Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB.

Verwerflich heißt nicht unmoralisch

Die gegen dieses Urteil erhobene Sprungrevision der Staats­an­walt­schaft hat das OLG Karlsruhe als begründet angesehen. In dem auf die bloße Kontrolle von Rechtsfehlern beschränkten Revisi­ons­ver­fahren hat der Senat zunächst die Bewertung des Amtsgerichts bestätigt, nach der gemäß der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundes­ge­richtshofs in allen Fällen der Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) verwirklicht wurde. Das Handeln der jeweils weiteren Beteiligten an der Straßenblockade war dem Angeklagten dabei nach den Regeln der Mittäterschaft zuzurechnen. Die Bewertung des Amtsgerichts, dass alle drei Taten nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB – und daher nicht rechtswidrig gewesen – seien, hielt dagegen der rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht stand. Der Begriff der Verwerflichkeit sei nicht im Sinne eines moralischen Werturteils zu verstehen, sondern meine sozialwidriges Verhalten. Bei der Beurteilung, ob ein Verhalten verwerflich sei, müssten deshalb alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen erfasst und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation vorgenommen werden. In diesem Rahmen seien auch die Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungs­elemente seien deshalb unter anderen die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, etwaige Ausweich­mög­lich­keiten sowie der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbe­we­gungs­freiheit beein­träch­tigten Personen und dem Protest­ge­genstand. Eine Abwägung nach diesen Maßstäben könne nach den Vorgaben der Straf­pro­zess­ordnung nur auf der Grundlage der dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen insbesondere zum Ausmaß der durch eine Straßenblockade herbeigeführten Beein­träch­ti­gungen vorgenommen werden. Dies betreffe auch die durch die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse bestimmte Verkehrs­si­tuation im Einzelfall.

Verneinung der Verwerflichkeit liegt eher fern

Das Urteil des AG sei insoweit lückenhaft, weil es nicht zu allen für die Abwägung maßgeblichen Umständen hinreichende Feststellungen getroffen habe. So habe das Amtsgericht die Dauer der Blockade und das Ausmaß der durch sie ausgelösten Verkehrs­be­ein­träch­tigung nicht in jedem Fall konkret genug festgestellt. In allen Fällen fehle es zudem an hinreichenden Feststellungen zu Ausweich­mög­lich­keiten für die von den Straßen­blo­ckaden betroffenen Verkehrs­teil­nehmern. Auch darüber hinaus sei das Amtsgericht dem verfas­sungs­rechtlich vorgegebenen Prüfungsmaßstab nicht vollständig gerecht geworden. Insbesondere habe das Amtsgericht nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt, in welcher Beziehung die von den Blockaden betroffenen Personen zu dem Kommu­ni­ka­ti­o­ns­an­liegen des Angeklagten standen. Die blockierten Autofahrer hätten nur zu einem Teil des verfolgten Anliegens – nämlich als CO2-Emittenten und zur Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen – einen direkten Bezug aufgewiesen. Zu dem Thema der Lebens­mit­tel­ver­schwendung habe dagegen allenfalls eine mittelbare Verbindung bestanden. Das AG muss jetzt neu verhandeln. Abschließend hat der Senat darauf hingewiesen, dass ungeachtet der noch im Einzelnen zu treffenden Feststellungen jedenfalls bei einer unangekündigten Blockade einer Haupt­ver­kehr­s­straße über einen nicht unerheblichen Zeitraum, die mangels hinreichender Ausweich­mög­lich­keiten zu einem erheblichen Rückstau mit erheblicher Zeitverzögerung für die davon betroffenen Personen führe, angesichts des nur teilweisen Bezugs der von der Blockade betroffenen Personen mit den von dem Angeklagten und seinen Mitstreitern verfolgten Zielen die Verneinung der Verwerflichkeit eher fernliegen dürfte.

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, ra-online (pm/ab)

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