18.10.2024
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Dokument-Nr. 31391

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Urteil04.02.2022Oberlandesgericht Karlsruhe10 U 17/2
Vorinstanz:
  • Landgericht Mannheim, Urteil24.06.2020, 14 O 140/19
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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil04.02.2022

Facebook darf Nutzeraccount nur in Ausnahmefällen ohne vorherige Abmahnung kündigen

Das Oberlan­des­gericht Karlsruhe hat der Berufung eines Nutzers des sozialen Netzwerks "Facebook" gegen ein klage­ab­wei­sendes Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24. Juni 2020 weitgehend Folge gegeben.

„Facebook“ hatte im Sommer 2019 in zwei Fällen Beiträge des Klägers mit Bezug zur sogenannten „Identitären Bewegung“ gelöscht und das Nutzerkonto des Klägers jeweils vorübergehend gesperrt. Nach einem weiteren Posting des Klägers im Januar 2020 wurde sein Account dann dauerhaft deaktiviert. Dafür hatte sich das soziale Netzwerk auf Verstöße des Klägers gegen die Nutzungs­be­din­gungen in Verbindung mit den „Gemein­schafts­s­tandards“ berufen, die unter anderem die Unterstützung von „Hassor­ga­ni­sa­tionen“ verbieten.

Die Klage auf Unterlassung dieser Löschungen und vorübergehenden Konten­sper­rungen sowie auf eine Reaktivierung des Nutzerkontos hatte in zweiter Instanz überwiegend Erfolg.

Richter: Löschung von Beiträgen und Sperrung des Accounts waren unzulässig

Hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und der vorübergehenden Sperrung des Accounts hat der Senat festgestellt, dass diese Maßnahmen nach den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen von „Facebook“ in der maßgeblichen Fassung vom 19.4.2018 unzulässig waren. Zwar ist der Anbieter eines sozialen Netzwerks dazu berechtigt, seinen Nutzerinnen und Nutzern in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen die Einhaltung objektiver und überprüfbarer Kommu­ni­ka­ti­o­ns­s­tandards vorzugeben, auch wenn diese über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Er darf sich dabei auch das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­s­tandards einzelne Beiträge zu entfernen oder den Netzwerkzugang zu sperren. Der Anbieter des sozialen Netzwerks muss jedoch in seinen Geschäfts­be­din­gungen sicherstellen, dass der Nutzer über die Entfernung eines Beitrags jedenfalls unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung des Nutzerkontos vorab informiert und ihm der Grund dafür mitgeteilt wird. Der Nutzer muss dann die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, an die sich eine erneute Entscheidung des Anbieters mit der Option anschließt, einen entfernten Beitrag auch wieder zugänglich zu machen. Diesen Anforderungen werden die maßgeblichen Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen von „Facebook“ aber nicht gerecht, weil darin kein verbindliches Verfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können. Die Entfernungs- und Sperrungs­vor­behalte in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen hat der Senat daher für unwirksam erachtet und sich mit dieser Einschätzung bereits ergangenen Urteilen des Bundes­ge­richtshofs vom 29. Juli 2021 (Aktenzeichen: III ZR 179/20 und III ZR 192/20) angeschlossen.

Nur wenn der Kläger strafbare Inhalte gepostet hätte, was aber nicht der Fall war, wäre eine Löschung dieser Beiträge und eine Sperrung des Nutzerkontos dennoch möglich gewesen. Denn bei strafbaren Inhalten ist der Anbieter eines sozialen Netzwerks bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgaben im Teleme­di­en­gesetz und im Netzwerk­durch­set­zungs­gesetz zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet.

Auch die Kündigung des Nutzungs­vertrags durch „Facebook“ hielt der rechtlichen Überprüfung durch den 10. Zivilsenat nicht stand. Zwar darf ein Nutzungsvertrag bei Verstößen gegen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­s­tandards beendet werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Eine vorherige Abmahnung ist aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, etwa bei besonders gravierenden Vertrags­ver­let­zungen oder bei offen­sicht­licher Zwecklosigkeit der Abmahnung. Für einen inter­es­sen­ge­rechten Ausgleich der kollidierenden Grund­rechts­po­si­tionen der Parteien ist es in der Regel erforderlich, dass der Nutzer vorab über die beabsichtigte Kündigung des Nutzervertrags informiert, ihm den Grund hierfür mitgeteilt und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird.

Facebook hat nicht vor der Kündigung abgemahnt

In dem vom 10. Zivilsenat zu entscheidenden Fall hatte „Facebook“ vor der Kündigung des Nutzungs­vertrags nicht wirksam abgemahnt. Die vorangegangenen Beitrags­lö­schungen und Kontosperrungen waren wegen der festgestellten Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungs­vor­behalts in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen rechtswidrig gewesen. Sie waren daher keine ordnungsgemäße Abmahnung. Die Abmahnung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Eine endgültige und ernsthafte Weigerung des Klägers, sich künftig an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten, oder sonstige besondere Umstände, die eine Fortsetzung des Vertrags­ver­hält­nisses auch ohne vorherige Abmahnung unzumutbar erscheinen ließen, lagen nicht vor. Insbesondere enthielten die Beiträge des Klägers keinen strafbaren Inhalt. Eine besonders gravierende Vertrags­ver­letzung war daher nicht gegeben.

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, ra-online (pm/pt)

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