23.11.2024
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Dokument-Nr. 30623

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Bundesgerichtshof Urteil29.07.2021

Wegen Vorwurf der "Hassrede" Beiträge gelöscht und Konten gesperrt: BGH zu Ansprüchen gegen die Anbieterin eines sozialen NetzwerksFacebook muss über geplante Betragslöschung und Kontosperrung informieren

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Geschäfts­bedingungen von Facebook vom 19. April 2018 zur Löschung von Nutzerbeiträgen und Kontensperrung bei Verstößen gegen die in den Bedingungen festgelegten Kommunikations­standards unwirksam sind. Dies gilt jedenfalls, weil sich die beklagte Anbieterin nicht gleichzeitig dazu verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen. Wurde aufgrund der unwirksamen Geschäfts­bedingungen der Beitrag eines Nutzers gelöscht und dessen Konto vorübergehend mit einer Teilsperrung belegt, hat der Nutzer einen Anspruch auf Freischaltung des gelöschten Beitrags und gegebenenfalls auch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung des Beitrags bei dessen erneuter Einstellung.

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer vorübergehenden Teilsperrung der Facebook-Benutzerkonten der Kläger und der Löschung ihrer Kommentare durch die Beklagte. Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der Mutter­ge­sell­schaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales Netzwerk, dessen Anbieterin und Vertrags­partnerin für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist. Sie nehmen die Beklagte - soweit für die Revisi­ons­ver­fahren noch von Bedeutung - auf Freischaltung der von ihnen in dem Netzwerk veröf­fent­lichten und von der Beklagten gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperre ihrer Nutzerkonten und Löschung ihrer Beiträge sowie - in einem der Revisi­ons­ver­fahren - auf Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen in Anspruch.

"Facebook verbietet Hassrede"

Nach den Nutzungs­be­din­gungen des Netzwerks in der seit dem 19. April 2018 geltenden Fassung darf nicht gegen die "Gemein­schafts­s­tandards" verstoßen werden. Diese verbieten eine - dort näher definierte - "Hassrede". In dem Verfahren III ZR 179/20 stellte die Klägerin folgenden Beitrag ein: "Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfas­sungs­schutzes wünschen." In dem Verfahren III ZR 192/20 kommentierte der Kläger den Beitrag eines Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit Migra­ti­o­ns­hin­tergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, wie folgt: "Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unserer Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN."

Klagen in Vorinstanzen erfolglos

Die Beklagte löschte diese Äußerungen im August 2018, da sie gegen das Verbot der "Hassrede" verstießen. Sie sperrte vorübergehend die Nutzerkonten, so dass die Kläger in dieser Zeit nichts posten, nichts kommentieren und auch die Messenger-Funktion nicht nutzen konnten. Mit ihren Klagen machen die Kläger geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren. In den beiden Vorinstanzen blieben die Kläger weitgehend erfolglos. Der Bundes­ge­richtshof hat die Berufungs­urteile teilweise aufgehoben und - im Verfahren III ZR 192/20 unter Zurückweisung der Revision im Übrigen - die Beklagte verurteilt, die von ihr gelöschten Beiträge der Kläger wieder freizuschalten. Darüber hinaus hat er im Verfahren III ZR 179/20 die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen ihres Beitrags erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen.

Geänderten Nutzungs­be­din­gungen wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam

Die Beklagte war nicht aufgrund ihrer Nutzungs­be­stim­mungen und Gemein­schafts­s­tandards zur Löschung der Beiträge der Kläger und Sperrung ihrer Nutzerkonten berechtigt. Zwar wurden die geänderten Nutzungs­be­din­gungen der Beklagten in der Fassung vom 19. April 2018 wirksam in das Vertrags­ver­hältnis der Parteien dadurch einbezogen, dass die Kläger auf die ihnen in Form eines Pop-up-Fensters zugegangene Mitteilung der Beklagten über die beabsichtigte Änderung die entsprechende, mit "Ich stimme zu" bezeichnete Schaltfläche anklickten. Die in den geänderten Nutzungs­be­din­gungen der Beklagten eingeräumten Vorbehalte betreffend die Entfernung von Nutzerbeiträgen und die Sperrung von Nutzerkonten sind jedoch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden.

Facebook ist grundsätzlich zur Vorgabe bestimmter Kommu­ni­ka­ti­o­ns­s­tandards berechtigt

Bei der Prüfung, ob eine Klausel unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, bedarf es einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen. Dabei sind vorliegend die kollidierenden Grundrechte der Parteien - auf Seiten der Nutzer die Meinung­s­äu­ße­rungs­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf Seiten der Beklagten vor allem die Berufs­aus­übungs­freiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG - zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Diese Abwägung ergibt, dass die Beklagte grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks die Einhaltung bestimmter Kommu­ni­ka­ti­o­ns­s­tandards vorzugeben, die über die straf­recht­lichen Vorgaben (z.B. Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung) hinausgehen. Sie darf sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­s­tandards Beiträge zu entfernen und das betreffende Nutzerkonto zu sperren.

Information über Beitrags­lö­schung und Kontosperrung erforderlich

Für einen inter­es­sen­ge­rechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechte und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäfts­be­din­gungen verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt. Diesen Anforderungen werden die Entfernungs- und Sperrungs­vor­behalte in den Geschäfts­be­din­gungen der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte war daher nicht berechtigt, die Beiträge der Kläger zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren. Sie muss die Beiträge wieder­her­stellen und hat eine Sperrung der Nutzerkonten und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu unterlassen. Der entsprechende Unter­las­sungs­antrag des Klägers scheiterte im Verfahren III ZR 192/20 indes an den Besonderheiten des dortigen Prozessverlaufs.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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