21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss27.04.2018

Eltern sind nicht zur Zahlung einer Zweitausbildung verpflichtetRisiko der Nicht­be­schäf­tigung des Kindes nach Abschluss der Erstausbildung ist nicht von unterhalts­verpflichteten Eltern zu tragen

Haben Eltern ihrem Kind eine angemessene Ausbildung finanziert, welche den Begabungen und Neigungen des Kindes entspricht, und findet das Kind in diesem erlernten Beruf nach Abschluss der Ausbildung keine Arbeitsstelle, sind die Eltern grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Kind eine weitere Berufs­aus­bildung zu finanzieren. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit die erstin­sta­nzliche Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund ab.

Im zugrunde liegenden Fall verlangte das antragstellende Land Nordrhein-Westfalen von den Antragsgegnern aus Dortmund, Eltern einer im Jahr 1991 geborenen Tochter, die Zahlung von Ausbil­dungs­un­terhalt in Höhe von ca. 6.400 Euro. In Höhe dieses Betrages bewilligte das Land der Tochter für ein Studium in der Zeit von Oktober 2015 bis September 2016 Leistungen nach dem Bundes­aus­bil­dungs­för­de­rungs­gesetz (BAföG). Nach dem BAföG haben Eltern dem fördernden Land derartige Zahlungen zu erstatten, wenn sie für die geförderte Ausbildung Unterhalt schulden.

Tochter nimmt nach erfolgreicher Ausbildung Studium auf

Die Tochter der Antragsgegner hatte sich in der neunten Schulklasse, seinerzeit 15 Jahre alt, entschieden, den Beruf einer Bühnentänzerin zu erlernen. Sie hatte deswegen nach der mittleren Reife die Schule verlassen und in der Folgezeit an einer Hochschule in Mannheim den Studiengang Tanz absolviert. Das Studium konnte sie 2011 mit dem Tanzdiplom abschließen. In der Folgezeit gelang es der Tochter allerdings nicht, eine Anstellung als Tänzerin zu erhalten. Deswegen nahm sie 2012/13 die Schulbildung wieder auf, erwarb die allgemeine Hochschulreife und begann 2015/16 in Münster Psychologie zu studieren. Für dieses Studium erhielt sie die infrage stehenden BAföG-Leistungen.

Eltern schulden für Hochschul­studium der Tochter keinen Ausbil­dungs­un­terhalt

Nach der Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Hamm schulden die Eltern für das Hochschul­studium ihrer Tochter keinen Ausbil­dungs­un­terhalt und haben daher dem Land die BAföG-Leistungen nicht zu erstatten. Eltern schuldeten ihrem Kind grundsätzlich eine Berufs­aus­bildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspreche und sich in den Grenzen der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit der Eltern halte, so das Gericht. Hätten Eltern ihrem Kind eine solche erste Berufs­aus­bildung gewährt, seien sie grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Ausnahmen hiervon sei nur unter besonderen Umständen gegeben, etwa wenn der Beruf aus gesund­heit­lichen oder sonstigen, bei Ausbil­dungs­beginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden könne. Ferner komme eine fortdauernde Unterhaltspflicht in Betracht, wenn die weitere Ausbildung als eine im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Erstausbildung stehende Weiterbildung anzusehen sei und vornherein angestrebt gewesen sei oder wenn während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich werde.

Im vorliegenden Fall hätten die Eltern ihrer Tochter bereits die Erstausbildung zur Bühnentänzerin finanziert. Weiteren Ausbil­dungs­un­terhalt schuldeten sie nicht.

Studium der Psychologie stellt keine Weiterbildung dar

Ihre Tochter habe mit dem Diplom eine staatlich anerkannte Berufs­aus­bildung zur Bühnentänzerin abgeschlossen. Das spätere Studium der Psychologie stelle keine Weiterbildung dar, die im Zusammenhang mit der ersten Ausbildung stehe. Die Tochter habe bei der Aufnahme ihrer Tanzausbildung auch keinen weiteren Besuch der allge­mein­bil­denden Schule mit anschließendem Studium angestrebt.

Ausbildung zur Bühnentänzerin entsprach Neigungen, Fähigkeiten und Begabung der Tochter

Es sei zudem nicht zu erkennen, dass die Ausbildung zur Bühnentänzerin den damaligen Neigungen und Fähigkeiten und der Begabung der Tochter nicht entsprochen habe. Die Tochter habe schon seit ihrem fünften Lebensjahr das Hobby Ballett. Im Grundschulalter habe sie Ballett­un­terricht gehabt. Die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim haben sie bestanden und eine einjährige Vorbe­rei­tungszeit an der Akademie des Tanzes absolviert. Im Anschluss daran habe sie an einem erneuten Auswahl­ver­fahren an der Hochschule mit Erfolg teilgenommen und sei zum Studiengang Tanz zugelassen worden. Bei diesem Werdegang seien die Neigungen und Fähigkeiten der Tochter, bezogen auf den Zeitpunkt des Ausbil­dungs­beginns, nicht falsch eingeschätzt worden.

Ausbleibende Anstellung als Tänzerin beruht auf verschlech­terter Arbeits­ma­rkt­si­tuation

Eine solche Fehlein­schätzung lasse sich auch nicht dem Abschluss der Tanzdi­plom­prüfung entnehmen, in deren praktischen Teil die Tochter einen befriedigenden Noten­durch­schnitt erzielt habe. Dass sie später keine Anstellung als Tänzerin gefunden habe, beruhe auf einer verschlech­terten Arbeits­ma­rkt­si­tuation. In der Zeit nach Abschluss ihres Studiums hätten sich bis zu 3.000 Bewerber auf eine Stelle im Bereich des Bühnentanzes beworben. Deswegen sei für die Tochter erkennbar geworden, dass Bewerbungen mit ihren praktischen Noten im Bühnentanzberuf aussichtslos gewesen seien.

Nach Abschluss der Ausbildung arbeitslos werdender Volljähriger muss primär selbst für seinen Unterhalt sorgen

Ein derartiges Risiko der Nichtbeschäftigung ihres Kindes nach Abschluss der geschuldeten Erstausbildung, dass sich im vorliegenden Fall verwirklicht habe, hätten unter­halts­ver­pflichtete Eltern grundsätzlich nicht zu tragen. Ihnen falle das allgemeine Arbeits­platz­risiko nicht zur Last. Vielmehr müsse ein Volljähriger, der nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitslos sei, primär selbst für seinen Unterhalt sorgen und jede Arbeitsstelle annehmen, auch außerhalb des erlernten Berufs. Das gelte auch dann, wenn im erlernten Beruf tatsächlich keine Verdienst­mög­lichkeit mehr bestünde.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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