24.11.2024
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Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil28.06.2017

Kinder­geldan­spruch bis zum Abschluss des angestrebten BerufszielsAnspruch auf Kindergeld bei mehraktigen Berufs­aus­bil­dungen

Der Anspruch auf Kinder endet nicht schon dann, wenn das Kind (vor Erreichen des 25. Lebensjahres) einen ersten berufs­quali­fi­zie­renden Abschluss erreicht hat, sondern erst dann, wenn das von Beginn an angestrebte Berufsziel einer mehraktigen Ausbildung erreicht ist. Dies hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschieden.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Klägerin Mutter einer im Dezember 1991 geborenen Tochter, die am 7. Juli 2015 die Abschluss­prüfung im Ausbil­dungsberuf "Immobi­li­en­kauffrau" bestand und ab Oktober 2015 an dem Lehrgang "geprüfter Immobi­li­en­fachwirt/geprüfte Immobi­li­en­fach­wirtin" der Industrie- und Handelskammer Koblenz (IHK) teilnahm. Voraussetzung für die Teilnahme an der Prüfung zur "geprüften Immobi­li­en­fach­wirtin" ist das Bestehen der Abschluss­prüfung im Ausbil­dungsberuf "Immobi­li­en­kauffrau" sowie eine mindestens einjährige Berufspraxis nach abgeschlossener Lehre. Deshalb war die Tochter der Klägerin ab Juli 2015 parallel zu ihrer Ausbildung bei der IHK in einem entsprechenden Ausbil­dungs­betrieb in Koblenz angestellt.

Familienkasse lehnt Kinder­geldantrag ab August 2015 ab

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2015 lehnte die für die Kinder­geld­fest­setzung zuständige Familienkasse den Antrag der Klägerin auf Kindergeld für die Zeit ab August 2015 ab mit der Begründung, dass die Tochter bereits im Juli 2015 ihre erste Berufsausbildung abgeschlossen und sodann eine Erwer­b­s­tä­tigkeit aufgenommen habe. Deshalb könne die Ausbildung bei der IHK nicht berücksichtigt werden.

FG: Klägerin hat Anspruch auf Kindergeld

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, ihre Tochter habe das von Beginn an angestrebte Berufsziel "Immobi­li­en­fach­wirtin" noch nicht erreicht, das (u.a.) eine mindestens einjährige Berufspraxis in Vollzeit voraussetze. Nach erfolglosem Einspruchs­ver­fahren erhob die Klägerin beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz Klage, der stattgegeben wurde. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Erstausbildung der Tochter der Klägerin erst mit dem Abschluss der Prüfung zur "geprüften Immobi­li­en­fach­wirtin" ende, so dass bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (= Dezember 2016) Kindergeld zu gewähren sei.

FG: Erstmalige Berufs­aus­bildung nicht mit bereits ersten berufs­qua­li­fi­zie­renden Abschluss beendet

Das Finanzgericht verwies zur Begründung auf die maßgebliche Rechtsgrundlage (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a Einkom­men­steu­er­gesetz - EStG), wonach für ein über 18 Jahre altes Kind, das noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird. Eine solche erstmalige Berufs­aus­bildung sei nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufs­qua­li­fi­zie­renden Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang beendet. Denn es gebe Ausbil­dungsgänge, bei denen der erste Berufsabschluss lediglich integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbil­dungsgangs sei. Solche mehraktigen Ausbil­dungs­maß­nahmen seien allerdings nur dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt seien, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden solle und das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden könne. Liege noch keine abgeschlossene erstmalige Berufs­aus­bildung vor, komme es auf eine Erwer­b­s­tä­tigkeit des Kindes nicht an.

"geprüfte Immobi­li­en­fach­wirtin" von Beginn an eigentliches Berufsziel

Die Erstausbildung der Tochter sei somit nicht schon mit dem erfolgreichen Abschluss im Ausbil­dungsberuf "Immobi­li­en­kauffrau" beendet worden, sondern erst mit dem weiter quali­fi­zie­renden Abschluss "geprüfte Immobi­li­en­fach­wirtin". Denn dieses Berufsziel habe sie von Beginn an angestrebt, erst über den weiterführenden Abschluss "Immobi­li­en­kauffrau" erreichen können und unmittelbar nach dem Ende des ersten Ausbil­dungs­ab­schnittes im Juli 2015 ohne Unterbrechung ab August 2015 fortgesetzt. Da ihre Erstausbildung nicht im Juli 2015 geendet habe, sei ihre Erwer­b­s­tä­tigkeit ab August 2015 unschädlich.

Erläuterungen

Kontext der Entscheidung

Heute gibt es zahlreiche Ausbildungswege ("mehraktige Ausbil­dungs­maß­nahmen"), die stets die Frage aufwerfen, ob mit dem Erreichen des ersten berufs­qua­li­fi­zie­renden Abschlusses das Ausbildungsziel bereits erreicht ist. Denn sollte dies der Fall sein, kann es für den Weiterbezug von Kindergeld bei einer nachfolgenden Fortsetzung der Ausbildung entscheidend sein, ob und wenn ja in welchem Umfang das Kind (neben der Fortsetzung der Ausbildung) zugleich noch erwerbstätig ist. Nach Abschluss einer Erstausbildung sind nämlich nur bestimmte Formen der Erwer­b­s­tä­tigkeit unschädlich (maximal 20 Stunden wöchentlich oder Ausbil­dungs­dienst­ver­hältnis oder nur geringfügige Beschäftigung).

Zu der Thematik liegen bereits einige Entscheidungen des BFH vor, z.B. zum sog. dualen Studium, zum Masterstudium nach vorangegangenem Bache­lor­stu­diengang, zum Besuch der Fachoberschule für Technik nach Ausbildung zum Elektroniker, zum Betriebswirt (VWA) als fachliche Ergänzung oder Vertiefung einer kaufmännischen Ausbildung im Gesund­heitswesen. Der zuletzt genannte Fall (BFH-Urteil vom 04. Februar 2016 III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl II 2016, 615) ähnelt dem vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschiedenen Streit, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: In dem der BFH-Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt konnte das Kind nach der kaufmännischen Ausbildung nicht - wie im vorliegenden Fall - sogleich mit dem zweiten Ausbil­dungs­ab­schnitt beginnen, sondern erst nach einer mindestens einjährigen Berufstätigkeit. Diese Berufstätigkeit führe zu einem Einschnitt (Zäsur), der den notwendigen engen Zusammenhang zwischen den einzelnen Ausbil­dungs­ab­schnitten entfallen lasse. Es liege daher nur ein die berufliche Erfahrung berück­sich­ti­gender Weiter­bil­dungs­stu­diengang (Zweitausbildung) vor.

Quelle: Finanzgericht Rheinland-Pfalz/ ra-online

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