21.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss08.02.2018

Auffahrunfall auf der Autobahn: Überschreiten der Richt­geschwindigkeit muss keine Mithaftung des Auffahrenden begründenFahrstrei­fen­wechsel ohne ersichtlichen Grund und ohne Betätigen des Fahrt­richtungs­anzeigers begründet volle Haftung des vorausfahrenden Fahrzeugs

Verursacht ein vom rechten auf den linken Fahrstreifen einer Autobahn wechselnder Verkehrs­teil­nehmer einen Auffahrunfall, weil er den rückwärtigen Verkehr nicht beachtet, kann dem auffahrenden Verkehrs­teil­nehmer 100 prozentiger Schadensersatz zustehen, auch wenn er die Richt­geschwindigkeit von 130 km/h vor dem Zusammenstoß - maßvoll - überschritten hat. Die geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Hamm hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger aus Oberhausen nahm den Beklagten aus Dortmund und den Haftpflicht­ver­si­cherer des Beklagten aus einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch, der sich am 14. Mai 2015 auf der BAB 31 in Bottrop ereignet hatte. Der seinerzeit 30 Jahre alte Sohn des Klägers befuhr mit dessen Seat die linke Fahrspur und beabsichtigte, den auf der rechten Fahrspur mit seinem Dacia fahrenden, seinerzeit 45 Jahre alten Beklagten mit einer Geschwindigkeit von ca. 150 km/h zu überholen. Als sich das klägerische Fahrzeug dem Fahrzeug des Beklagten bereits genähert hatte, wechselte dieser ohne ersichtlichen Grund und ohne Betätigen des Fahrt­rich­tungs­an­zeigers auf die linke Fahrspur. Es kam zum Auffahrunfall, weil der Sohn des Klägers das klägerische Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig abbremsen und dem Fahrzeug des Beklagten auch nicht ausweichen konnte.

LG verneint Mithaftung des Auffahrenden

Den Ersatz des dem Kläger durch den Unfall entstandenen Schadens in Höhe von ca. 7.640 Euro hat das Landgericht dem Kläger in vollem Umfang zuerkannt. Der Beklagte habe den Unfall verschuldet, so das Landgericht, weil er den Fahrstrei­fen­wechsel nicht rechtzeitig und deutlich angekündigt und auch nicht so ausgeführt habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrs­teil­nehmer ausgeschlossen gewesen sei. Dass der Sohn des Klägers den Unfall durch das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit mitverursacht habe, rechtfertige aufgrund des groben Verschuldens des Beklagten keine Mithaftung des Klägers.

Beklagte halten 25 prozentige Mithaftung des Auffahrenden für gerechtfertigt

Mit ihrer gegen das erstin­sta­nzliche Urteil eingelegten Berufung machten die Beklagten geltend, dass das Überschreiten der Richt­ge­schwin­digkeit durch den Sohn des Klägers die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs so erhöht habe, dass eine Mithaftung des Klägers in Höhe 25 % gerechtfertigt sei.

OLG: Überschreiten der Richt­ge­schwin­digkeit begründe keine Mithaftung

Der Argumentation der Beklagten hat sich das Oberlan­des­gericht Hamm nicht angeschlossen und wies die Berufung zurück. Das Überschreiten der Richt­ge­schwin­digkeit begründe im vorliegenden Fall keine Mithaftung des Klägers, so das Gericht. Dies folge aus der gebotenen Haftungs­ab­wägung.

Schuldhafter, den Unfall mitver­ur­sa­chender Verkehrsverstoß des Auffahrenden nicht erkennbar

Den Beklagten treffe ein erhebliches Verschulden. Aus Unachtsamkeit und ohne den rückwärtigen Verkehr zu beobachten habe er sein Fahrzeug auf die linke Fahrspur herübergezogen. Ein schuldhafter, den Unfall mitver­ur­sa­chender Verkehrsverstoß des Sohnes des Klägers sei demgegenüber nicht bewiesen. Bei der vor den beiden Fahrzeugen freien Autobahn habe er nicht mit einem plötzlichen Spurwechsel des Beklagten rechnen müssen. Eine Geschwin­dig­keits­be­grenzung sei auf dem Strecke­n­ab­schnitt der BAB nicht angeordnet, die nach den Angaben des Sohnes des Klägers gefahrene Geschwindigkeit von 150 km/h sei mit den Straßen- und Sicht­ver­hält­nissen vereinbar gewesen. Eine höhere Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs sei nicht feststellbar.

Maßvollen Überschreitung der Richt­ge­schwin­digkeit nicht relevant

Die damit auf Seiten des Klägers zu berück­sich­tigende Betriebsgefahr seines Fahrzeugs falle aufgrund des erheblichen Verschuldens des Beklagten im Abwägungs­ver­hältnis nicht mehr ins Gewicht. Aus der maßvollen Überschreitung der Richt­ge­schwin­digkeit um 20 km/h habe sich keine Gefah­ren­si­tuation für den vorausfahrenden Beklagten ergeben. Im Unfall habe sich die mit der Überschreitung der Richt­ge­schwin­digkeit für einen vorausfahrenden Verkehrs­teil­nehmer häufig verbundene Gefahr, dass die Annähe­rungs­ge­schwin­digkeit des rückwärtigen Verkehrs unterschätzt werde, nicht verwirklicht. Der Beklagte habe aus Unachtsamkeit und ohne den rückwärtigen Verkehr überhaupt zu beobachten einen ungewollten Fahrstrei­fen­wechsel ausgeführt. In diesem Fall habe das Überschreiten der Richt­ge­schwin­digkeit für den Beklagten nicht gefahrerhöhend gewirkt. Davon habe auch der Sohn des Klägers ausgehen dürfen. Er habe aufgrund der freien Autobahn darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagte den rechten Fahrstreifen nicht grundlos verlasse.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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