15.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss20.08.2015

Mitverschulden des Unfallgegners kann Strafbarkeit des Verursachers wegen fahlässiger Tötung ausschließenZur Frage des Mitverschuldens bei Begehung eines Rotlicht­ver­stoßes und Unfall mit Todesfolge

Ein Mitverschulden des Unfallgegners kann die Vorher­seh­barkeit eines Unfalls und seiner Folgen für den Unfall­ve­r­ur­sacher ausschließen, wenn das Mitverschulden in einem gänzlich vernunft­wi­drigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und hob daher die vom Landgericht Essen ausgesprochene Verurteilung eines angeklagten Unfall­ve­r­ur­sachers wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körper­ver­letzung auf.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 1972 geborene, angeklagte Unfallverursacher aus Bochum befuhr im April 2014 mit seinem Transporter Hyundai im Stadtgebiet von Essen die Halterner Straße aus Gelsenkirchen kommend in Richtung BAB 40. Er beabsichtigte die beampelte Kreuzung Halterner Straße/Ottostraße geradeaus zu überqueren. Von links kommend näherte sich der Unfallgegner aus Bochum mit seinem Pkw Mazda, um die Kreuzung aus seiner Sicht ebenfalls geradeaus zu überqueren. Im Kreuzungs­bereich ist die zulässige Höchst­ge­schwin­digkeit auf 50 km/h begrenzt. Der Angeklagte fuhr mit mindestens 65 km/h in den Kreuzungs­bereich ein, der Unfallgegner fuhr ca. 30 km/h. Beide Fahrzeugführer überquerten mit einem geringen zeitlichen Abstand die jeweils für sie geltende Haltelinie. Welcher von ihnen einen Rotlichtverstoß beging, lässt sich nicht mehr klären. Trotz eingeleiteten Bremsmanövers kollidierte der Transporter im Kreuzungs­bereich mit der rechten Fahrzeugseite des Mazdas. Neben dem Unfallgegner, der leicht verletzt wurde, erlitt dabei der Beifahrer des Mazdas so schwere Verletzungen, dass er wenige Wochen später verstarb.

LG bejaht ursächlichen Zusammenhang zwischen Geschwin­dig­keits­über­schreitung und Unfall

Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Geschwin­dig­keits­über­schreitung als dem verkehrs­wi­drigen Verhalten des Angeklagten und dem Unfall angenommen und den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Köperverletzung zu einer - in der Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von 6 Monaten und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten) ist das Landgericht dabei zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass der Unfallgegner bei Rot in die Kreuzung einfuhr und hat dessen verkehrs­wi­driges Mitverschulden strafmildernd berücksichtigt. Es schließe - so das Landgericht - die Vorher­seh­barkeit des Unfalls mit seinen Folgen für den Angeklagten nicht aus.

OLG hebt Entscheidung des Landgerichts auf

Die Revision des Angeklagten gegen die landge­richtliche Verurteilung war - vorläufig - erfolgreich. Das Oberlan­des­gericht Hamm hat das landge­richtliche Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen, die den Fall erneut zu verhandeln und zu entscheiden hat. Das Landgericht habe - so das Oberlan­des­gericht - den Unfall mit seinen erheblichen Folgen zwar rechts­feh­lerfrei dem fahrlässigen Geschwin­dig­keits­verstoß des Angeklagten zugerechnet. Wäre der Angeklagte beim Passieren der Haltlinie durch den Unfallgegner, das sei der Beginn der kritischen Verkehrs­si­tuation, nur 50 km/h gefahren, hätte der Mazda die Unfallstelle bereits passiert, bevor sie der Transporter des Angeklagten erreicht hätte.

Rotlicht­verstöße sind nicht pauschal als "nicht gänzlich vernunftwidrig" einzustufen

Allerdings sei noch nicht geklärt, ob der vom Landgericht zugunsten des Angeklagten unterstellte Rotlichtverstoß des Unfallgegners die Vorher­seh­barkeit des Unfalls für den Angeklagten ausgeschlossen habe. Ein Mitverschulden des Unfallgegners könne die Vorher­seh­barkeit des Unfalls für den Verursacher ausschließen, wenn es in einem gänzlich vernunft­wi­drigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten bestehe. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ließen sich Rotlicht­verstöße nicht pauschal als "nicht gänzlich vernunftwidrig" einstufen. Ein wesentliches Kriterium für ihre Bewertung sei gerade mit Blick auf ihre Folgen die Frage, wie lange die Ampel im Zeitpunkt des Verstoßes schon Rotlicht gezeigt habe. So werde der sogenannte qualifizierte Rotlichtverstoß (länger als 1 Sekunde Rot) bereits durch die Bußgeld­ka­ta­log­ver­ordnung als grobe Pflicht­ver­letzung bewertet. Im Übrigen wiege ein vorsätzlich begangener Rotlichtverstoß deutlich schwerer als ein fahrlässiger Verstoß. Aus Sicht des Gerichts sei zumindest eine vorsätzliche Begehung eines qualifizierten Rotlicht­ver­stoßes bei der gebotenen wertenden Betrachtung als gänzlich vernunft­wi­driges Verhalten anzusehen. Im vorliegenden Fall komme es daher darauf an, ob sich nähere Feststellungen zum Rotlichtverstoß des Unfall­be­tei­ligten treffen ließen. Dies sei vom Landgericht in der erneuten Verhandlung zu klären, wobei verbleibende Zweifel nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen seien.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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