14.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Hamm Urteil30.01.2015

Gerichte müssen in Arzt­haftungs­prozessen in besonderem Maße für ein faires Verfahren sorgenMedizinisch nicht sachkundiger Partei muss bei Vorliegen eines gerichtlichen Gutachtens Gelegenheit zur Stellungnahme zu schwierigen medizinischen Fragen gegeben werden

In einem Arzthaf­tungs­prozess hat das zuständige Gericht in besonderem Maße für ein faires Verfahren zu sorgen, weil es typischerweise ein Infor­ma­ti­o­ns­gefälle zwischen der ärztlichen Seite und dem Patienten gibt, das auszugleichen ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Hamm hervor, das damit die erstin­sta­nzliche Entscheidung des Landgerichts Bielefeld aufgehoben und einen Arzthaf­tungs­prozess zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld zurückverwiesen hat.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im Jahre 2005 geborene, im Prozess durch seine Eltern aus Gütersloh vertretene Kläger verlangt vom Träger des beklagten Krankenhauses in Gütersloh und von den ihn während der Schwangerschaft seiner Mutter und während der Geburt behandelnden Ärzten Schadensersatz wegen einer behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung anlässlich seiner Geburt.

Kläger verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen unzureichender ärztliche Betreuung seiner Mutter bei seiner Geburt

Auf Veranlassung des die Kindesmutter während der Schwangerschaft betreuenden, beklagten Arztes begab sich die Kindesmutter im August 2005 in das beklagte Krankenhaus in Gütersloh. In diesem wurde der Kläger ca. drei Stunden nach dem Eintreffen seiner Mutter und zwischen­zeit­lichen Untersuchungen durch die ebenfalls beklagten Kranken­hau­s­ärz­tinnen mittels Kaiserschnitt geboren. Der Kläger behauptet, eine unzureichende ärztliche Betreuung seiner Mutter habe zu seiner mehrstündigen Sauer­stof­fun­ter­ver­sorgung geführt und bei ihm schwerwiegende geistige und körperliche Störungen u.a. in Form einer fokalen Epilepsie, einer schweren psycho­mo­to­rischen Retardierung und einer zentralen Sehminderung verursacht. Hierfür verlangt der Kläger Schadensersatz, insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000 Euro und eine monatliche Schmer­zens­geldrente von 300 Euro.

Landgericht holt gynäkologisches und neona­to­lo­gisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten ein

Das Landgericht hat ein gynäkologisches Sachverständigengutachten und ein neona­to­lo­gisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten eingeholt und sich die Gutachten durch die beauftragten Sachver­ständigen mündlich erläutern lassen. Über die beim Kläger eingetretenen Folgen hat es zudem durch ein nur mündlich erstattetes Gutachten des neona­to­lo­gischen Sachver­ständigen Beweis erhoben. Ein drei Tage vor der letzten mündlichen Verhandlung durch den Kläger vorgelegtes priva­t­ärzt­liches Gutachten, das die Ergebnisse des gynäkologischen Gutachtens angreift, hat das Landgericht als verspätet zurückgewiesen.

Klage gegen Krankenhaus mangels feststellbaren Behand­lungs­fehlers erfolglos

In seinem Urteil hat das Landgericht die Klage gegen das Krankenhaus und die beklagten Kranken­hau­s­ärz­tinnen mangels feststellbaren Behand­lungs­fehlers abgewiesen. Den die Kindesmutter während der Schwangerschaft betreuenden Arzt hat es verurteilt, weil der Beklagte die Kindesmutter zu spät und ohne ausreichenden Hinweis auf Auffälligkeiten ins Krankenhaus eingewiesen habe.

Entscheidung des Landgerichts verletzt Verfah­rens­rechte des Klägers

Auf die Berufungen des Klägers und des verurteilten Arztes hat das Oberlan­des­gericht Hamm das erstin­sta­nzliche Urteil aufgehoben. Das Verfahren ist nunmehr erneut vom Landgericht Bielefeld zu verhandeln und zu entscheiden. Zur Begründung führte das Oberlan­des­gericht aus, dass die Entscheidung des Landgerichts Verfah­rens­rechte des Klägers verletze. Das vorgelegte Privatgutachten habe das Landgericht zu Unrecht zurückgewiesen. In einem Arzthaf­tungs­prozess, in dem es typischerweise ein Infor­ma­ti­o­ns­gefälle zwischen der ärztlichen Seite und den Patienten gebe, habe das Gericht in besonderem Maße für ein faires Verfahren Sorge zu tragen. Dazu gehöre es, einer medizinisch nicht sachkundigen Partei Gelegenheit zu geben, auch nach dem Vorliegen eines gerichtlichen Gutachtens unter Zuhilfenahme eines weiteren Mediziners zu schwierigen medizinischen Fragen noch einmal Stellung zu nehmen. Andernfalls wäre die Partei in den meisten Fällen nicht in der Lage, dem gerichtlichen Sachver­ständigen etwaige abweichende medizinische Lehrmeinungen vorzuhalten, auf mögliche Lücken der Begutachtung hinzuweisen und etwaige Widersprüche im Gutachten aufzuzeigen.

Landgericht hätte Beweisaufnahme fortsetzen müssen

Vor diesem Hintergrund sei es nicht gerechtfertigt gewesen, dem Kläger die Chance zu nehmen, den gerichtlichen Sachver­ständigen mit den Einwänden des Privat­gut­achters zu konfrontieren. Dem Landgericht habe sich aufdrängen müssen, dass der gynäkologische Gutachter einerseits davon ausgegangen sei, dass dem verurteilten Arzt die Dringlichkeit einer Klini­k­ein­weisung vorzuhalten sei, während er der Klinik selbst über mehrere Stunden noch die vage Möglichkeit einer vaginalen Entbindung zugestanden habe. Aus diesem Grunde habe das Landgericht die Beweisaufnahme fortsetzen müssen.

OLG rügt Einholung eines nur mündlichen Sachver­stän­di­gen­gut­achten als fehlerhaft

Verfah­rens­feh­lerhaft sei es auch gewesen, zu den schwierigen medizinischen Fragen der beim Kläger eingetretenen Behand­lungs­folgen nur ein mündliches Sachver­stän­di­gen­gut­achten einzuholen und kein schriftliches Gutachten anzufordern. Dies deswegen, weil Kranken­un­terlagen gefehlt hätten und der Sachverständige bestimmte Fragen ad hoc nicht habe beantworten können. In einem solchen Fall könne ein in einer Verhandlung nur mündlich erstattetes Gutachten allenfalls von einem medizinischen Sachver­ständigen sofort nachvollzogen werden, aber kaum von den weiteren Verfah­rens­be­tei­ligten einschließlich der Anwälte und des Gerichts.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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