23.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil30.04.2001

Haftung für Geburtsschäden: Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,- DM zugesprochenBewei­ser­leich­terung zu Gunsten des Kindes wegen unzureichender Dokumentation des Arztes

Wegen Verletzung seiner ärztlichen Sorgfalts­pflicht verurteilte das Oberlan­des­gericht Nürnberg einen zur Geburt hinzugezogenen Kinderarzt zur Zahlung eines Schmer­zens­geldes in Höhe von DM 300.000,-- und stellte weiter fest, dass er für alle zukünftigen Schäden im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes aufzukommen habe. Der Kinderarzt wurde zur Zahlung verurteilt, da er seine Behandlung nicht ordnungsgemäß dokumentiert hatte und die äußeren Umstände auf einen groben Behand­lungs­fehler hindeuteten.

Die OLG-Richter wiesen die Ansprüche gegen den ebenfalls verklagten geburts­hel­fenden Arzt ab, da ein Behand­lungs­fehler nicht nachgewiesen worden war. Nach Ansicht des Gerichts konnte dem geburts­hel­fenden Arzt kein hinreichendes Fehlverhalten vorgeworfen werden.

In dem Verfahren vor dem Arzthaf­tungssenat des Oberlan­des­ge­richts Nürnberg forderten die Eltern eines 1993 geborenen schwer behinderten Jungen Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem geburts­hel­fenden Arzt und einem wegen befürchteter Komplikationen zur Geburt von Anfang an hinzugezogenen Kinderarzt.

Die Eltern hatten die beiden Ärzte verklagt, da sie diese für die Behinderung ihres Kindes verantwortlich machten. Beide Mediziner hätten ihre ärztliche Sorgfalts­pflicht bei und nach der Geburt des Kindes schuldhaft verletzt.

Das Kind leidet an schweren und lebenslangen Beein­träch­ti­gungen, aufgrund derer es niemals zu einem normalen, altersgemäßen Leben finden wird. Auch nach Hinzuziehung von sechs medizinischen Sachver­ständigen konnte nicht geklärt werden, ob der Gesund­heits­schaden des Kindes vor, während oder nach der Geburt entstanden war. Nach den vorhandenen ärztlichen Unterlagen zeigte das Kind kurz nach der Geburt keine Auffälligkeiten und wies normale Werte auf. Zwischen der Geburt um 23.40 Uhr und gut einer Stunde später muss es jedoch zu einer dramatischen Wende gekommen sein, so dass der Kindernotarzt des Klinikums Würzburg hinzugezogen wurde. Dieser stellte bei seiner Ankunft um .55 Uhr fest, dass das Neugeborene erhebliche Atemnot zeigte und nicht mehr normal reagierte. In dem Schaden­s­er­satz­prozess konnte nicht geklärt werden, was in dem Zeitraum während bzw. nach der Geburt und der dramatisch verschlech­terten Situation um .55 Uhr geschehen war. Insoweit fehlte eine ausreichende Dokumentation, auf die Sachverständige ein Gutachten hätten stützen können.

Die Eltern warfen dem verklagten Kinderarzt vor, er habe eine ausreichende Überwachung der Sauer­stoff­ver­sorgung des Neugeborenen unterlassen, so dass es zu den schweren Folgen gekommen sei.

In dem Verfahren stellten sich im Wesentlichen zwei Fragen:

1. War der Gesund­heits­schaden des Kindes schon vor der Geburt angelegt, oder erst während oder nach der Geburt entstanden? Diese Frage konnten auch die sechs hinzugezogenen medizinischen Sachver­ständigen nicht abschließend beantworten.

2. Was war in der Zeit zwischen der Geburt und der Hinzuziehung des Kindernotarztes geschehen? Auch diese Frage konnte nicht beantwortet werden, weil der Beklagte Kinderarzt, der während und nach der Geburt anwesend war, das Geschehen nicht ausreichend dokumentiert hatte.

Hat der Arzt den Behand­lungs­ablauf nicht ausreichend dokumentiert, so hat der Patient häufig kaum mehr eine Möglichkeit, den Arzt haftbar zu machen, da er keine Tatsachen hat, an die er anknüpfen könnte, um seine Ansprüche darauf zu stützen. Daher hat die Rechtsprechung in Fällen mangelhafter Dokumentation die Position des Patienten gestärkt und die Beweisführung auf den Arzt verlagert. Wichtig ist dabei aber, dass die mangelhafte Dokumentation allein noch keinen Schaden­s­er­satz­an­spruch gegen den Arzt gibt, sondern nur die Beweisführung des Patienten erleichtert.

Der Arzthaf­tungssenat des Oberlan­des­ge­richts wendete diese Grundsätze auf die Klage des Kindes an und sprach die Klage zu: Obwohl im Prozess letztlich nicht geklärt werden konnte, ob der Gesund­heits­schaden des Kindes vor, während oder nach der Geburt entstanden war, haftete der Kinderarzt trotzdem, weil Hinweise auf grobes Verschulden vorlagen und der Arzt nicht nachweisen konnte, welche ärztlich gebotenen Maßnahmen er ergriffen hatte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Nürnberg

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