18.10.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil13.07.2017

Notarielles Testament nichtig: Erblasserin mit fortge­schrittener Alzheimerdemenz ist als testierunfähig anzusehenBedeutung und Tragweite einer erklärten letztwilligen Verfügung bei fortge­schrittenen Demen­z­er­krankung nicht mehr erfassbar

Das Oberlan­des­gericht Hamm hat entschieden, dass eine Erblasserin als testierunfähig anzusehen ist, wenn sie aufgrund einer fortge­schrittenen Demen­z­er­krankung vom Alzheimertyp nicht mehr in der Lage ist, die Bedeutung und die Tragweite einer erklärten letztwilligen Verfügung einzusehen und nach einer solchen Einsicht zu handeln. Ein in diesem Zustand errichtetes notarielles Testament ist nichtig.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die im Prozess durch ihre Mutter vertretene, heute 15 Jahre alte Klägerin aus Nottuln und der heute 70 Jahre alte Beklagte aus Unna stritten um die Erbfolge der im Jahre 2013 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Erblasserin aus Kamen. Diese und ihr im Jahre 1972 vorverstorbener Ehemann waren die Eltern des Beklagten und eines im Jahre 2007 im Alter von 61 Jahren verstorbenen Bruders des Beklagten. Der Bruder des Beklagten hatte die Mutter der Klägerin geheiratet und die Klägerin im Jahre 2005 adoptiert.

Sachverhalt

Im Jahre 1967 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann ein gemein­schaft­liches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten, ohne - dies hat der vorliegende Rechtsstreit geklärt - einen Schlusserben zu bestimmen. Im Jahre 2004 zog die Erblasserin in ein Altenheim in Kamen, indem sie bis zu ihrem Versterben lebte. Ebenfalls in diesem Jahre ordnete das zuständige Betreu­ungs­gericht wegen fortge­schrittener Alzheimerdemenz der Erblasserin eine Betreuung für ihre Vermö­gens­an­ge­le­gen­heiten an und bestimmte ihre beiden Söhne zu Betreuern. Nach dem Tode seines Bruders wurde der Beklagte im März 2007 zum alleinigen Betreuer für seine Mutter bestellt.

Fachärztliche Begutachtung stellt Geschäfts­un­fä­higkeit der Erblasserin fest

Kurz darauf errichtete die Erblasserin im Pflegeheim ein notarielles Testament, in dem sie den Beklagten zu ihrem Alleinerben einsetzte. Mit weiteren notariellen Verträgen, errichtet im März 2007 und August 2008, schenkte die Erblasserin ihren Sohn eine Forderung und Geldbeträge in Höhe von insgesamt 160.000 Euro. Eine fachärztliche Begutachtung der Erblasserin im Betreu­ungs­ver­fahren aus dem Jahre 2010 stellte eine so weit fortge­schrittenen Demen­z­er­krankung der Erblasserin fest, das aus ärztlicher Sicht Geschäfts­un­fä­higkeit bestand. Nach dem Tode der Erblasserin ließ der Beklagte ein zum Nachlass gehörendes Mehrfa­mi­li­enhaus in Unna auf sich als Allein­ei­gentümer umschreiben.

Klägerin hält Testament und Schen­kungs­verträge für unwirksam

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass das im Jahre 2007 errichtete Testament der Erblasserin und die von ihr in diesem Jahr und im Jahr 2008 abgeschlossenen Schen­kungs­verträge unwirksam sind. Insoweit behauptete die Klägerin, dass die Erblasserin im März 2007 bereits an einer weit fortge­schrittenen Demenz erkrankt und deshalb testier- und geschäfts­unfähig gewesen sei. Dem trat der Beklagte entgegen und trug vor, dass die Erblasserin bis in das Jahr 2009 noch in der Lage gewesen sei, ihren Willen frei und realistisch zu bestimmen. Geschäfts­un­fä­higkeit sei entsprechend dem Gutachten im Betreu­ungs­ver­fahren erst im Jahre 2010 eingetreten.

OLG: Erblasserin war bei Errichtung von Testament und Schen­kungs­vertrag testier- und geschäfts­unfähig

Das Oberlan­des­gericht Hamm hat durch die Vernehmung von Zeugen und Anhörung eines medizinischen Sachver­ständigen über die Testier- und Geschäftsfähigkeit der Erblasserin bei der Errichtung des infrage stehenden Testaments und der infrage stehenden Schen­kungs­verträge Beweis erhoben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gab das Oberlan­des­gericht der Klage statt. Das von der Erblasserin im März 2007 errichtete Testament und die von ihr abgeschlossenen Schen­kungs­verträge aus den Jahren 2007 und 2008 seien laut Gericht unwirksam, da die Erblasserin bei der Errichtung dieser Urkunden testier- und geschäfts­unfähig gewesen sei.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Erblasserin aufgrund einer fortge­schrittenen Demen­z­er­krankung vom Alzheimertyp seinerzeit nicht mehr in der Lage gewesen, die Bedeutung und die Tragweite der von ihr erklärten letztwilligen Verfügung sowie ihrer Erklärungen zum Verschenken von Vermögenswerten einzusehen und nach einer solchen Einsicht zu handeln.

Gutachten belegen testier- und geschäfts­unfähig bereits zu den maßgeblichen Zeitpunkten

Der medizinische Sachverständige sei bereits in seinem in erster Instanz erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erblasserin schon im Mai 2006 in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand der Geiste­s­tä­tigkeit befunden und zu den maßgeblichen Zeitpunkten in den Jahren 2007 und 2008 testier- und geschäfts­unfähig gewesen sei. Bei seiner erneuten Anhörung durch das Oberlan­des­gericht habe er das Ergebnis seiner erstin­sta­nz­lichen Begutachtung bestätigt. Dieses Ergebnis werde durch die Aussage des früheren Chefarztes eines Krankenhauses in Unna gestützt, in dem die Erblasserin in den Jahren 2003 und 2004 in stationärer Behandlung gewesen sei. Der Chefarzt habe anhand seinerzeit erstellter Krankenberichte eine sich bei der Erblasserin in den Jahren deutlich verschlech­ternde Demen­z­er­krankung bestätigt, nach welcher die Erblasserin bereits im August 2004 nicht mehr testier- und geschäftsfähig gewesen sei. Seine Diagnosen stünden im Einklang mit Dokumentationen des Pflegeheims, in dem die Erblasserin seinerzeit gelebt habe.

Anwälten und Notaren muss als medizinische Laien Demenz der Erblasserin nicht aufgefallen sein

Das dargestellte Beweisergebnis werde durch die weiteren, bereits vom Landgericht zum damaligen Gesund­heits­zustand der Erblasserin vernommenen Zeugen, einen als Verfah­rens­pfleger bestellten Rechtsanwalt sowie die beiden beurkundenden Notare, und auch durch den weiteren Akteninhalt nicht widerlegt. Sofern ihnen als medizinischen Laien keine Demenz der Erblasserin aufgefallen sei, sei zu berücksichtigen, dass Demenzerkrankte auch im fortge­schrittenen Stadium für einen Laien noch geistig klar und orientiert wirken und eine nach außen intakte Fassade aufweisen könnten.

Erblasserin zeigte bereits im Jahr 2004 Anzeichen einer fortge­schrittenen Demenz

Schließlich bestätige das Verhalten des Beklagten selbst eine bereits im Jahre 2004 vorliegende, fortge­schrittene Demen­z­er­krankung der Erblasserin. Seinerzeit habe der Beklagte mit seinem Bruder gegenüber dem Betreu­ungs­gericht eine Betreuung für seine Mutter beantragt, obwohl diese den Brüdern zuvor eine Vorsor­ge­vollmacht erteilt hatte. Dabei habe er die Anordnung der Betreuung für seine Mutter damit begründet, dass diese mit dem Verkauf oder einer Belastung einer ihrer Immobilien zur Deckung ihrer monatlichen Pflege- und Unter-bringungskosten nicht einverstanden sei, obwohl ihre anderweitigen monatlichen Einnahmen insoweit nicht ausreichend gewesen seien. Zudem sei die Erblasserin noch im Jahre 2006 gegen einen Verkauf ihres früheren Hauses gewesen, was sie damit begründet habe, dass sie in dieses zurückkehren und auch dort sterben wolle. Das zeige, dass ihre Willen­s­äu­ße­rungen Bedeutung und Tragweite ihrer Situation nicht mehr realistisch einschätzen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte dann im März 2007 geglaubt haben wolle, seine Mutter sei bei der Errichtung des notariellen Testaments noch testierfähig, weil der Inhalt des Testaments - seine Allei­n­er­ben­stellung - ihrem damals geäußerten Willen entsprochen habe.

Die zunächst beim Bundes­ge­richtshof eingelegte Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde wurde zurückgenommen, nachdem der Bundes­ge­richtshof die Bewilligung von Prozess­kos­tenhilfe abgelehnt hatte (Az. BGH IV ZR 14/17).

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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