18.10.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss17.08.2017

Testier­fä­higkeit beim Verdacht chronischer Wahnvor­stel­lungen muss strenger Prüfung unterzogen werdenKrankhafte und wahnhafte Störungen können freie Willensbildung ausschließen

Setzt eine Erblasserin Detektive als ihre Erben ein, die sie zu Lebzeiten engagierte, da sie unter Besteh­lung­s­ängsten litt, ist konkret zu prüfen, ob die Erblasserin infolge krankhafter Wahnvor­stel­lungen testierunfähig war. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main hervor.

Die Beteiligten des zugrunde liegenden Falls stritten über die Testierfähigkeit einer kinderlos und verwitwet verstorbenen Erblasserin. Die Beschwer­de­führer sind entfernte Verwandte der Erblasserin und mögliche gesetzliche Erben. Die Erblasserin setzte die mit ihr nicht verwandten Beschwer­de­gegner als ihre Erben ein. Ihr Testament begann mit den Worten: "Mein Testament! Ich bin im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Mein letzter Wille" und endete mit dem nicht unter­schriebenen Zusatz: "Mein letzter Wille! Die Verwandtschaft soll nichts mehr erhalten."

Verwandte wehren sich gegen Erteilung eines Erbscheins an Detektive

Zu Lebzeiten hatte die Erblasserin die Beschwer­de­gegner als Detektive beschäftigt, da sie sich fortlaufend von Dieben bestohlen glaubte. Die Beschwer­de­gegner sollen ihr Haus u.a. mit Kameras ausgestattet und einen mittleren fünfstelligen Betrag für detektivische Dienst­leis­tungen erhalten haben. Die Beschwer­de­führer wandten sich gegen die Erteilung eines Erbscheins an die Detektive. Sie waren der Ansicht, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments an einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten habe und deshalb nicht mehr testierfähig gewesen sei.

Nachlassgericht verneint feststellbare Testie­r­un­fä­higkeit

Das Nachlassgericht stellte nach Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens zur Testier­fä­higkeit und mündlicher Anhörung des Sachver­ständigen fest, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins an die Beschwer­de­gegner vorliegen würden. Testie­r­un­fä­higkeit könne nicht festgestellt werden, da die Möglichkeit bestehe, dass die Erblasserin bei der Testa­ment­s­er­richtung in einem "lichten Augenblick" gehandelt habe.

Testier­fä­higkeit lässt sich nicht nach Schwie­rig­keitsgrad des Testaments abstufen

Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Verwandten. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main hat den Beschluss aufgehoben und die Sache an das Nachlassgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Es war der Ansicht, dass ohne weitere Aufklärung derzeit nicht verlässlich festgestellt werden könne, dass die Erblasserin bei der Testa­ment­s­er­richtung in einem "lichten Augenblick" gehandelt habe. Testie­r­un­fä­higkeit liege nicht nur vor, wenn der Erblasser sich keine Vorstellung davon mache, überhaupt ein Testament zu errichten oder dessen Inhalt und Tragweite nicht einordnen könne. Sie sei vielmehr auch dann gegeben, wenn allein die Motive für die Errichtung des Testaments auf einer krank­heits­be­dingten Unfreiheit beruhten. Auch derjenige, der nicht in der Lage sei, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und entsprechend zu handeln, sei testierunfähig, so das Oberlan­des­gericht. Es gehe nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit hin beurteilen zu können. Maßgeblich sei laut Gericht vielmehr, ob die Freiheit des Willen­s­ent­schlusses durch krankhafte Störungen der Motiv- und Willensbildung aufgehoben sei. Grundsätzlich gebe es auch keine nach Schwie­rig­keitsgrad des Testaments abgestufte Testier­fä­higkeit; die Fähigkeit zur Testa­ment­s­er­richtung sei entweder gegeben oder fehle ganz.

Wahnhafte Störungen könnten in Abgrenzung zu alterstypischen "verbohrten" Meinungen dann die freie Willensbildung ausschließen, wenn sie krankhaft seien. Dies sei der Fall, wenn eine Abkoppelung von Erfahrung, Logik und kulturellen Konsens sowie der Verlust der Kritik und Urteils­fä­higkeit vorliege. Zur Testie­r­un­fä­higkeit führten derartige Wahnvor­stel­lungen, wenn sie sich auch inhaltlich auf die Frage der Rechtsnachfolge von Todes wegen bezögen.

Nachlassgericht muss Möglichkeit des Vorliegens chronischer Wahnvor­stel­lungen prüfen

Aufzuklären sei hier, ob die Erblasserin unter chronischem Wahn gelitten habe. Sofern sich eine chronische Störung bei der Beurteilung der Testier­fä­higkeit feststellen lasse, seien jedenfalls nach der dem Gericht verfügbaren wissen­schaft­lichen Literatur kurzfristige "luzide Intervalle" praktisch ausgeschlossen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Erblasserin die Detektive im Zusammenhang mit ihren gegebenenfalls wahnhaften Besteh­lung­s­ängsten kennengelernt habe.

§ 2229 Abs. 4 BGB (Testie­r­un­fä­higkeit):

Erläuterungen
Wer wegen krankhafter Störung der Geiste­s­tä­tigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusst­seins­s­törung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willen­s­er­klärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online

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