21.11.2024
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Dokument-Nr. 31898

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil21.06.2022

Deutsche Bahn muss geschlechts­neutrale Nutzung ihrer Angebote ermöglichen - Ticketbuchung auch für DiverseUnterlassungs- und Entschädigungs­anspruch einer Person nicht-binärer Geschlechts­zugehörigkeit gegen Bahn

Das Oberlan­des­gericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertrie­b­s­tochter des größten deutschen Eisen­bahn­konzerns verpflichtet, es ab dem 01.01.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechts­zugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. Bezüglich der Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherter perso­nen­be­zogener Daten gilt das Unter­las­sungsgebot ohne Umstel­lungsfrist sofort. Zudem hat das Unternehmen an die klagende Person eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zu zahlen.

Die Beklagte ist Vertrie­b­s­tochter des größten deutschen Eisen­bahn­konzerns. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlecht­s­i­dentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online- Fahrkar­ten­verkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unter­las­sungs­ansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von € 5.000 gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei. Das Landgericht hatte den Unter­las­sungs­ansprüchen der klagenden Person stattgegeben und Entschä­di­gungs­ansprüche abgewiesen.

OLG bestätigt Diskriminierung

Auf die Berufungen der Parteien hin hat das OLG die Unter­las­sungs­ansprüche der klagenden Person bestätigt. Zudem hat es eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 3, 19 AGG aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivil­recht­lichen Schuld­ver­hält­nissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen, begründete das OLG seine Entscheidung. Das Merkmal der Begründung eines Schuld­ver­hält­nisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertrags­an­bah­nungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn Menschen mit nicht binärer Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

OLG gewährt Übergangsfrist allerdings nur bei Online-Buchungen

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstel­lungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich insbesondere auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online- Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die gewährte Umstel­lungsfrist nach dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung erforderlichen erheblichen Aufwand bemessen. Keine Umstel­lungsfrist hat das OLG der Beklagten dagegen gewährt, soweit sich der Unter­las­sungs­an­spruch der klagenden Person auf die Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte perso­nen­be­zogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den finanziellen und personellen Aufwand zumutbar, dem Unter­las­sungs­an­spruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen.

OLG bejahrt Anspruch auf Entschädigung wegen der Verletzung des Benach­tei­li­gungs­verbots

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benach­tei­li­gungs­verbots eine Geldent­schä­digung in Höhe von 1.000 € zugesprochen. Die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benach­tei­li­gungs­verbots einen immateriellen Schaden erlitten, begründet das OLG. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung in Geld sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benach­tei­li­gungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten.

Keine bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung von nicht-binärer Personen erkennbar

Zu Gunsten der Beklagten sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuell gegen die Beklagte gerichteten Benach­tei­li­gungs­hand­lungen erfolgt seien. Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persön­lich­keits­rechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlecht­s­i­dentität um eine neuere gesell­schaftliche Entwicklung, welche selbst in der Gleich­be­hand­lungs­richtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online- Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechts­neutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT- Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person - so etwa hinsichtlich der BahnCard - nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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