18.10.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil09.08.2018

Ärzte aufgrund fehlerhafter Schwan­ger­schafts­betreuung zu Zwischen­finanzierungs­kosten für behinderten­gerechten Neubau verpflichtetEntscheidung zum Hausbau liegt einzig in Lebensumständen aufgrund des ärztlichen Behand­lungs­fehlers begründet

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Ärzte aufgrund einer fehlerhaften Schwan­ger­schafts­betreuung auch Zwischen­finanzierungs­kosten für einen behinderten­gerechten Neubau übernehmen müssen.

Die Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens sind die Eltern einer Tochter, die aufgrund einer Trisomie 18 mit schweren körperlichen Fehlbildungen zur Welt kam und im Alter von drei Jahren an ihrer Grunderkrankung verstarb. Sie konnte ihren Oberkörper und Kopf nicht eigenständig halten, nicht essen, krabbeln und laufen. Neben erheblichen Missbildungen litt sie unter massiven, insbesondere nachts auftretenden Unruhezuständen. Die beklagten Ärzte sind aufgrund ihrer fehlerhaften Schwan­ger­schafts­be­treuung grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet (Grundurteil des Landgerichts Wiesbaden vom 25. Juli 2014).

Kläger verlangen Übernahme entstandener Zwischen­fi­nan­zie­rungs­kosten

Die Kläger wohnten zum Zeitpunkt der Geburt in einer Eigen­tums­wohnung, die nicht behindertengerecht umgebaut werden konnte. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, entschlossen sie sich zum Bau eines Hauses mit einem im Erdgeschoss gelegenen behin­der­ten­ge­rechten Zimmer nebst kleinem Badezimmer. Zu diesem Zeitpunkt erwarteten die Kläger ihr zweites Kind. Der Bau wurde bis zum Verkauf der Wohnung über ein Darlehen finanziert. Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Übernahme der ihnen entstandenen Zwischen­fi­nan­zie­rungs­kosten in mittlerer fünfstelliger Größenordnung.

Erwartetes zweites Kind nicht Grund für Hausbau

Das Landgericht Wiesbaden gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten hatte auch vor dem Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main keinen Erfolg. Die Zwischen­fi­nan­zie­rungs­kosten seien als Folge der fehlerhaften Schwan­ger­schafts­be­treuung von den Beklagten zu übernehmen, bestätigt das Oberlan­des­gericht. Es sei überzeugend dargelegt, dass sich die Kläger aufgrund der schwersten Behinderung ihrer Tochter - und nicht wegen einer weitere Kinder umfassenden Familienplanung - entschlossen haben, die Eigen­tums­wohnung aufzugeben und ein Einfamilienhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zu bauen.

Gesamtumstände sprachen für Erfor­der­lichkeit eines behin­der­ten­ge­rechtes Hauses

Die Tochter habe unter schwersten geistigen und psycho­mo­to­rischen Entwick­lungs­rück­ständen gelitten. Sie habe nur mittels eines speziellen Behin­der­ten­kin­der­wagens transportiert werden können. Dabei seien in der alten Wohnung der Kläger mehrfache Treppenpodeste zu überwinden gewesen; den Klägern habe auch kein Parkplatz in unmittelbarer Wohnungsnähe zur Verfügung gestanden. Bereits die zu überbrückenden Stockwerke und das Gewicht des Kinderwagens sprächen hier für die Erfor­der­lichkeit, ein behin­der­ten­ge­rechtes Haus zu bauen. Ohne Erfolg verwiesen die Beklagten darauf, dass es keinesfalls ungewöhnlich und auch bei einem gesunden Kind der Fall gewesen wäre, ein Kind im Kinderwagen die Treppe herun­ter­zu­tragen. Die Beklagten würden hier verkennen, dass die Tochter der Kläger nicht die Entwicklung eines gesunden Kleinkindes nehmen konnte. Sie sei vielmehr weder in der Lage gewesen, ihren Körper zu halten noch laufen zu lernen. Ein gesundes Kind hätte dies dagegen im Alter von zwei Jahren bereits gekonnt. Aus diesem Gründen sei es den Eltern auch nicht zuzumuten gewesen, ihre Tochter zum etwas entfernter stehenden Auto zu tragen.

Anmietung einer behin­der­ten­ge­rechten Wohnung keine Alternative

Der Hausbau sei auch im Hinblick auf die krank­heits­be­dingten nächtlichen Unruhezustände erforderlich gewesen. Die Unruhezustände seien mit einer erheblichen Geräu­sch­ent­wicklung einhergegangen sei. Deshalb seien die Kläger erheblichem psychischen Druck ausgesetzt gewesen. Dabei komme es nicht darauf an, ob den Nachbarn ein gerichtlich durchsetzbarer Unter­las­sungs­an­spruch zugestanden hätte. Die Kläger hätten jedenfalls verständ­li­cherweise Störungen und Beein­träch­ti­gungen der Nachbarn vermeiden wollen. Die Unruhezustände seien entgegen den Einwänden der Beklagten auch nicht mit dem nächtlichem Weinen und Schreien gesunder Kleinkinder vergleichbar gewesen. Aus diesen Gründen wäre auch die Anmietung einer behin­der­ten­ge­rechten Wohnung keine Alternative gewesen.

Eigen­tums­wohnung wäre für bis zu zwei gesunde Kinder völlig hinreichend gewesen

Die Beklagten könnten sich schließlich auch nicht darauf berufen, dass es keinesfalls ungewöhnlich sei, dass sich eine Familie, beim Entschluss zwei oder mehr Kinder zu bekommen, entscheide, ein Haus zu bauen. Vielmehr sei festgestellt worden, dass die Kläger die erste Schwangerschaft bei fehlerfreier Behandlung abgebrochen hätten. In diesem Fall hätten die Kläger nach der zweiten Schwangerschaft ihr erstes Kind bekommen. Die Eigen­tums­wohnung der Kläger wäre für bis zu zwei gesunde Kinder jedoch völlig hinreichend gewesen.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online

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