14.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 29925

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil22.12.2020

OLG Frankfurt am Main: 50.000 € Schmerzensgeld für eine 70-jährige Patientin nach Befund­erhebungs­fehlerBefund­erhebungs­fehler begründet Anspruch auf Schmerzensgeld

Verstirbt eine 70-jährige Patientin an einer zu spät erkannten Krebserkrankung, sind für die Bemessung des Schmer­zens­geldes in besonderem Maße einerseits ihr Leidensweg, insbesondere die Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, maßgeblich und andererseits ihr Alter und ihre familiäre Situation, die Rückschlüsse auf die erlittenen Lebens­beein­träch­ti­gungen zulassen, zu berücksichtigen. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) sprach auf dieser Grundlage ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 zu.

Der Kläger macht für seine verstorbene Ehefrau Schmerzensgeld gegen den behandelnden Arzt geltend. Die Patientin war im Herbst 2010 wegen undefinierbarer Schmerzen in einem bereits geschwollenen rechten Oberschenkel in die orthopädische Fachpraxis des Beklagten überwiesen worden. Dort wurden im Oktober lediglich ein Hämatom diagnostiziert und Schmerzmittel verordnet. Erst Ende November veranlasste der Beklagte eine MRT-Untersuchung. Jetzt wurde ein Tumor diagnostiziert, der im Dezember reseziert wurde. Nachdem bereits im Februar 2011 eine Metastase gefunden worden war, konnte der Krebs nicht mehr eingedämmt werden. Die Patientin verstarb im August 2012.

OLG bejahrt Fehlverhalten des Arztes

Das Landgericht hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € zugesprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung verurteilte das OLG den Beklagten zur Zahlung eines Schmer­zens­geldes von 50.000 €. Der Beklagte hafte für die durch sein Fehlverhalten entstandenen Schäden, da er die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen habe. Der Tumor hätte gemäß den Angaben des Sachver­ständigen bereits Ende Oktober erkannt werden können. Bei einer um einen Monat früheren Diagnose wäre die statistische Prognose der Patientin um 10-20 % besser gewesen.

Zeitraum ab Bekanntwerden der ersten Metastase ausschlaggebend für Schmer­zens­gel­der­mittlung

Bei der Bemessung des Schmer­zens­geldes seien "einerseits der Leidensweg der Patientin bis zu ihrem Tod, aus dem sich insbesondere die Heftigkeit und Dauer ihrer Schmerzen ablesen lasse, und andererseits ihr Alter und ihre familiäre Situation, die Rückschlüsse auf die erlittene Lebens­be­ein­träch­tigung zulassen," zu berücksichtigen. Schwerpunkt der Schmer­zens­geld­be­wertung sowohl hinsichtlich der körperlichen als auch psychischen Lebens­be­ein­träch­ti­gungen sei der Zeitraum ab Bekanntwerden der ersten Metastase. Ab diesem Zeitpunkt sei das dem Beklagten nicht zurechenbare Grundleiden mit den damit verbundenen Beschwerden und Einschränkungen immer weiter in den Hintergrund getreten.

Kampf ums Überleben leidensgeprägt und mit entsetzlichen Schmerzen verbunden

Die Patientin habe ihre Chancen auf eine Genesung zunehmend schwinden sehen und sich auf den immer konkreter bevorstehenden Tod einstellen müssen. Die klägerische Darstellung ihres letzten Lebens­ab­schnittes mit schrecklichen Schmerzen, Verzweiflung und Todesangst sei unmittelbar nachvollziehbar und entspreche den "allgemein bekannten furchtbaren Erlebnissen von Menschen mit einer Krebserkrankung im Endstadium." Grundlage der Bemessung sei damit hier, dass sich eine 70 Jahre alte verheiratete Frau mit zwei Kindern und zwei Enkelkindern wegen Metastasen zunehmend Sorgen um ihr Leben machen und diversen körperlich und psychisch belastenden medizinischen Eingriffen unterziehen musste. Ab Anfang 2012 sei ihr Kampf ums Überleben immer verzweifelter geworden, die letzten ihr verbleibenden acht Monate seien leidensgeprägt und mit entsetzlichen Schmerzen verbunden gewesen.

Schmerzensgeld von 50.000 Euro angemessen

Für einen solchen Leidensweg sei hier ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 € angemessen. Dabei seien folgende Aspekte zu berücksichtigen: Die Leidensdauer von ca. anderthalb Jahren sei im Vergleich zu anderen Fällen eher gering. Auch die erlittene Lebens­be­ein­träch­tigung sei bei einer 70 Jahre alten Person typischerweise unter­durch­schnittlich, da man in diesem Alter "die zentralen erfüllenden Momente des Lebens" noch erleben konnte. Die Patientin hätte voraussichtlich ohne den Fehler zwar noch eine ganze Reihe von Jahren leben können. Ihr Leben sei aber erst zu einem Zeitpunkt beeinträchtigt worden, zu dem sie persönlich allein schon wegen ihrer Grunderkrankung "erhebliche Einschränkungen im Sport- und Freizeitbereich hätte hinnehmen müssen und zu dem sich statistisch alsbald weitere altersbedingte gesundheitliche Probleme hinzugesellt hätten." Sie habe schließlich keine schutz­be­dürftigen Angehörigen zurücklassen müssen.

Verschlech­terung der Grunderkrankung dem Arzt nur sehr eingeschränkt zurechenbar

Hinsichtlich der Grunderkrankung selbst habe der Beklagte allenfalls eine nicht näherungsweise bestimmbare Verschlech­terung zu vertreten, so dass die damit verbundenen Schmerzen ihm nur sehr eingeschränkt zugerechnet werden könnten. Die Genug­tu­ungs­funktion des Schmer­zens­geldes spiele vorliegend keine Rolle, auch der Grad des Verschuldens des Beklagten sowie die wirtschaft­lichen Verhältnisse der Parteien seien von untergeordneter Bedeutung.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/aw)

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