21.11.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss24.06.2010

OLG Frankfurt am Main bestätigt Unzulässigkeit einer weiteren Siche­rungs­ver­wahrungRückwirkende Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung über zehn Jahre hinaus stellt Verstoß gegen die Europäische Menschen­rechts­kon­vention dar

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass ein Schwer­ver­brecher sofort aus der Siche­rungs­ver­wahrung entlassen werden muss. Bezug nehmend auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entschied das Oberlan­des­gericht, dass eine weitere Verwahrung über die zulässige Höchstdauer von zehn Jahren hinaus unzulässig ist.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Marburg den mehrfach vorbestraften M. am 17. August 1986 wegen eines im Jahre 1985 begangenen versuchten Raubmordes zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

Sachverhalt

Nach der damaligen Rechtslage hätte M. nach Verbüßung der Freiheitsstrafe maximal zehn Jahre in der Siche­rungs­ver­wahrung verbleiben dürfen. Danach hätte er entlassen werden müssen. Er wäre dann im September 2001 wieder frei gewesen.

Geset­ze­s­än­derung zur Siche­rungs­ver­wahrung im Jahre 1998

Im Jahre 1998 wurde das Gesetz geändert. Die Siche­rungs­ver­wahrung endet seitdem nur dann nach zehn Jahren, „wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (§ 67 d Abs. 3 StGB).

Landgericht hält Unterbringung in Siche­rungs­ver­wahrung aufrecht

M. ist der Ansicht, dass diese Geset­ze­s­än­derung auf ihn nicht anzuwenden sei, da sie eine rückwirkende und damit unzulässige Erhöhung seiner Strafe bedeute. Er wurde jedoch nach Ablauf der zehn Jahre nicht entlassen. Das Landgericht Marburg stellte fest, dass er weiterhin gefährlich sei, wandte das geänderte Gesetz auf ihn an und hielt die Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung aufrecht.

Erfolgreiche Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Nach erfolgloser Beschwerde beim Oberlan­des­gericht und erfolgloser Verfas­sungs­be­schwerde hatte M. beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Erfolg.

Rückwirkende Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung über zehn Jahre hinaus verstößt gegen Europäische Menschen­rechts­kon­vention

Mit Urteil vom 17. Dezember 2009 stellte die Kammer des EGMR fest, dass die rückwirkende Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung über zehn Jahre hinaus gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (MRK) verstößt. Nach diesem Urteil ist die Siche­rungs­ver­wahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwir­kungs­verbot gilt (Art. 7 Abs. 1 MRK).

EGMR verurteilt Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz

Der EGMR hat festgestellt, dass sich M. seit September 2001 konven­ti­o­ns­widrig in Haft befindet und die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Dieses Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Landgericht erklärt weitere Vollstreckung der Siche­rungs­ver­wahrung für unzulässig

M. hat daraufhin beantragt, die Vollstreckung der Siche­rungs­ver­wahrung zu beenden. Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts Marburg hat die weitere Vollstreckung der Siche­rungs­ver­wahrung mit Beschluss vom 17. Mai 2010 für unzulässig erklärt. Hiergegen hat die Staats­an­walt­schaft sofortige Beschwerde eingelegt.

Vertragsstaaten der MRK sind verpflichtet, endgültiges Urteil des Gerichtshofs zu befolgen

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt hat die sofortige Beschwerde aus folgenden Gründen verworfen:

Die Vertragsstaaten der MRK haben sich verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Diese Pflicht gilt unmittelbar für alle staatlichen Organe, auch die Gerichte. Diese müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ihrer Bindung an Gesetz und Recht in der entschiedenen Sache dem Urteil des EGMR Rechnung tragen, also die festgestellte Konven­ti­o­ns­ver­letzung bei Fortdauer beenden.

Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt (§ 2 Abs. 6 StGB).

Auch Menschen­rechts­kon­vention in der Auslegung durch den EGMR ist Gesetz

Hier ist gesetzlich etwas anderes bestimmt, denn „Gesetz“ ist auch die Menschen­rechts­kon­vention in der Auslegung durch den EGMR. Die Siche­rungs­ver­wahrung ist nach der MRK ebenso zu behandeln wie eine Strafe. Die MRK verbietet es, eine höhere Strafe zu verhängen als diejenige, die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedroht war. Die Dauer der Siche­rungs­ver­wahrung darf also ebenso wenig nachträglich verlängert werden wie die Dauer einer Freiheitsstrafe.

Vollstreckung der Siche­rungs­ver­wahrung zu Recht für unzulässig erklärt

Auf die Entscheidung im Verfahren gegen M. ist danach § 67 d Abs. 3 StGB in der im Jahre 1985 gültigen Fassung anzuwenden. Diese Vorschrift hatte eine Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung höchstens für die Dauer von zehn Jahren zugelassen. Am 8. September 2001 hätte er entlassen werden müssen. Da M. nicht nachträglich schlechter gestellt werden darf, hat das Landgericht Marburg die weitere Vollstreckung seiner Siche­rungs­ver­wahrung zu Recht für unzulässig erklärt.

Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Frankfurt am Main

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