18.10.2024
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Dokument-Nr. 31934

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil30.06.2022

Keine Entschädigung eines Reise­ver­an­stalters bei pande­mie­be­dingter Reise­stor­nierung im März 2020Reisepreis ist vollständig zu erstatten

Ein Reise­ver­an­stalter kann im Fall der Reise­stor­nierung keine Entschädigung verlangen, wenn unvermeidbare, außer­ge­wöhnliche Umstände die Reise­durch­führung erheblich beeinträchtigen. Ob eine solche Beein­träch­tigung zu erwarten ist, ist prognostisch zu beurteilen. Ausreichend ist eine erhebliche Eintritts­wahr­schein­lichkeit (20-25 %). Das im März 2020 unbekannte und berechenbare Pande­mie­ge­schehen ermöglichte keine belastbaren Prognosen, so dass eine Wahrschein­lichkeit von 50:50 bestand. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) hat deshalb den Entschädigungs­anspruch des Reise­ver­an­stalters nach Stornierung abgelehnt.

Der Kläger buchte für sich und seine Frau im August 2018 bei der Beklagten eine mehrtägige Flugreise nach Kanada, die - nach Umbuchung - im Juli/August 2020 stattfinden sollte. Er zahlte den Preis von gut 6.000 € an die Beklagte. Nach den Reise­be­din­gungen entfällt im Fall des Rücktritts der Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen, die bis zum 31. Tag vor Reisebeginn 25 % des Reisepreises beträgt. Keine Entschädigung kann verlangt werden, „wenn am Bestimmungsort oder in unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außer­ge­wöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen“. Mitte März 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er unter Symptomen des Corona-Virus leide und die Reise im Hinblick auf die Umstände u.a. in Kanada storniere. Eine angebotene Verschiebung der Reise auf das Folgejahr lehnte er ab und begehrte vor dem Landgericht Rückzahlung des vollen Reisepreises. Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung 90 % zurück. Das Landgericht verurteilte die Beklagte auch zur Zahlung der zwischen den Parteien streitigen restlichen 10 %.

OLG bestätigt Anspruch auf vollständige Rückerstattung des Reisepreises

Die Berufung hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne Rückerstattung auch des restlichen Reisepreises verlangen, bestätigte das OLG. Die Beklagte habe durch das eindeutig als Rücktritt auszulegende Schreiben des Klägers vom März 2020 ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren. Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Entschädigung für die Stornierung in Höhe von den hier geltend gemachten 10 % des Reisepreises. Der Entschä­di­gungs­an­spruch sei vielmehr gemäß den Reise­be­din­gungen im Hinblick auf vorliegende unvermeidbare außer­ge­wöhnliche Umstände, die die Reise­durch­führung beein­träch­tigten, ausgeschlossen.

Vorliegen einer Beein­träch­tigung ist prognostisch ex ante zu beurteilen

Ob eine derartige Beein­träch­tigung vorliege, sei prognostisch – ex ante - zum Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung zu beurteilen. Auf spätere – zwischen Rücktritts­er­klärung und ursprünglich geplanten Reisebeginn - eintretende geänderte Umstände zu Gunsten oder zulasten einer Partei komme es nicht mehr an. Dabei bestehe ein Rücktrittsrecht wegen nicht voraussehbarer höherer Umstände schon dann, „wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit erheblicher, und nicht erst dann, wenn mit ihm mit überwiegender Wahrschein­lichkeit zu rechnen ist“. Eine Eintritts­wahr­schein­lichkeit ab einer Größenordnung von 20 bis 25 % genüge in der Regel. Dies markiere zugleich „die Grenze zwischen lediglich subjektiv empfundenen Gefahren und einer sachlich begründeten Befürchtung für erhebliche Beein­träch­ti­gungen“.

Erhebliche Wahrschein­lichkeit des schädigenden Ereignisses gegeben

Diese erhebliche Wahrschein­lichkeit habe hier bestanden. Die Parteien seien sich einig, dass bei Kündigung bereits Reise­be­schrän­kungen bestanden und es sich bei dem bis dahin völlig unbekannten SARS-Cov-2-Virus und der möglichen Pandemie um ein unberechenbares Geschehen handele, für dessen weitere Entwicklung im März 2020 keine sicheren oder auch nur belastbaren Prognosen aufgestellt werden konnten. Könne bei zwei Alternativen keine Aussage über die Wahrschein­lichkeit des Eintritts der einen oder anderen gemacht werden, bestehe eine Wahrschein­lichkeit von jeweils 50 % zu 50 %. Soweit zwischen Rücktritt und Reisebeginn ein Zeitraum von vier Monaten gelegen habe, habe der Kläger auch nicht noch abwarten müssen, wie sich die Verbreitung und die Gefahren der Pandemie weiter­ent­wi­ckelten. Eine derartige Wartefrist sei gesetzlich nicht vorgesehen. Ein Zuwarten sei dem Reisenden auch nicht zumutbar.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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