21.11.2024
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Dokument-Nr. 26146

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Urteil28.06.2018Oberlandesgericht Frankfurt am Main16 U 105/17
Vorinstanz:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil30.05.2017, 2-03 O 278/16
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil28.06.2018

Bezeichnung eines Unternehmens als "Sekte" fällt in Schutzbereich der freien Meinung­s­äu­ßerungSozialer Geltungs­an­spruch eines Unternehmens überwiegt nicht Meinungs­freiheit

Das Oberlan­des­gericht von Main hat entschieden, dass die Bezeichnung eines Unternehmens als "Sekte" dem Schutz der freien Meinung­s­äu­ßerung unterfällt, hinter den der soziale Geltungs­an­spruch des Unternehmens zurücktritt.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist im Bereich der Medien­pro­duktion tätig. Der Beklagte ist ein früherer Mitarbeiter der Klägerin. Er hat zwischen­zeitlich mit anderen ein eigenes Unternehmen im Bereich der Medien­pro­duktion gegründet. Der Beklagte wuchs in einer Glaubensgruppe auf, die er 2012 verlassen hat. In zahlreichen Presse­ver­öf­fent­li­chungen, Medien­auf­tritten und Berichten auf seiner Facebook-Seite äußerte er u.a., dass es sich bei der Gruppe um eine Sekte handele und deren Mitglieder auch hinter der Klägerin als Unternehmen stünden. Die Staats­an­walt­schaft ermittele gegen die Gründer der Klägerin.

Klage auf Unterlassung von Äußerungen erfolglos

Die Klägerin nahm den Beklagten auf Unterlassung dieser und einer Vielzahl weiterer Äußerungen in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab. Hiergegen richtete sich die Berufung die Klägerin, die vor dem Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main nach Rücknahme des größten Teils der zunächst gestellten Anträge nur zu einem Teil Erfolg hatte. Der Beklagte dürfe allerdings, so das Oberlan­des­gericht, nicht mehr behaupten, dass die Staats­an­walt­schaft gegen die Gründer der Klägerin ermittele. Insoweit handele es sich um eine unrichtige Tatsachenbehauptung. Ein Ermitt­lungs­ver­fahren sei tatsächlich ausschließlich gegen die Witwe des ehemaligen Geschäfts­führers der persönlich haftenden Gesell­schafterin der Klägerin geführt worden. Diese sei indes zu keinem Zeitpunkt in den Gründungs­vorgang der Klägerin involviert gewesen.

Bezeichnung des Unternehmens hat "Charakter eines Boykottaufrufs"

Der Beklagte sei jedoch berechtigt, die Klägerin gegenüber deren Kunden und Mitgliedern eines beruflichen Netzwerks als Sekte zu bezeichnen. Zwar betreffe diese Bezeichnung die Klägerin in ihrem "sozialen Geltungs­an­spruch". So würden im allgemeinen Sprachgebrauch Sekten "oft als religiöse Gruppen bezeichnet, die in irgendeiner Weise als gefährlich oder problematisch angesehen werden". Die Äußerung sei damit geeignet, das Unternehmen in den Augen der Rezipienten negativ zu qualifizieren. Da der Beklagte diese Aussagen auch gezielt gegenüber den Kunden der Klägerin verbreitet habe, auf deren Aufträge die Klägerin zur Ausübung ihres Geschäfts­be­triebs angewiesen sei, habe sein Verhalten sogar den "Charakter eines Boykottaufrufs".

Beein­träch­ti­gungen des als Sekte bezeichneten Unternehmens nicht als rechtswidrig einzuordnen

Unter Abwägung der betroffenen Interessen der Klägerin einerseits und des Beklagten andererseits sei die damit verbundene Beein­träch­tigung der Klägerin jedoch nicht als rechtswidrig einzuordnen. Das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungs­an­spruchs als Wirtschafts­un­ter­nehmen überwiege nicht das Interesse des Rechts des Beklagten auf freie Meinung­s­äu­ßerung. Auch ein Boykottaufruf könne "dem geistigen Meinungskampf" dienen, wenn der "Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten". Dies sei hier der Fall. Der Beklagte habe primär die "Aufklärung und Information der Kunden der Klägerin über die dort vorherrschenden ideologischen Wertvor­stel­lungen und intern bestehenden Strukturen" bezweckt. Denkbare eigene wirtschaftliche Vorteile hätten demgegenüber nicht im Vordergrund gestanden.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online

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