15.11.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 9513

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Oberlandesgericht Dresden Urteil16.04.2010

OLG Dresden: Bildnis nackter Oberbür­ger­meisterin von Meinungs- und Kunstfreiheit gedecktPersön­lich­keitsrecht der Oberbür­ger­meisterin muss hinter Kunstfreiheit zurückzutreten

Ein Gemälde, das die Dresdener Oberbür­ger­meisterin Helma Orosz nackt und lediglich mit rosafarbenen Strapsen und Strapshaltern sowie einer Bürger­meis­terkette "bekleidet" zeigt, ist eine satirische Darstellung eines aktuellen politischen Geschehens und unterliegt der Meinungs- und Kunstfreiheit. Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht der Bürgermeisterin muss hier zurücktreten. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Dresden.

Im zugrunde liegenden Fall hatte die Verfü­gungs­be­klagte im Internet ein Gemälde mit dem Titel "Frau Orosz wirbt für das Welterbe" veröffentlicht, auf dem die Oberbür­ger­meisterin nackt - lediglich mit rosafarbenen Strapsen und Strapshaltern sowie einer Bürger­meis­terkette "bekleidet" - zu sehen war. Im Zusammenhang mit dem Tag des offenen Ateliers in Dresden wurde das Gemälde - neben anderen Bildern der Künstlerin - am 15. November 2009 in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Nachdem die Malerin die Aufforderung auf Abgabe einer Unter­las­sungs­er­klärung in Bezug auf die künftige Veröf­fent­lichung und sonstige Verbreitung des Bildes abgelehnt hatte, stellte Oberbür­ger­meisterin Orosz Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung. Das Originalgemälde ist zwischen­zeitlich verkauft.

LG Dresden: Nackt­dar­stellung verletzt Recht am eigenen Bild und allgemeines Persön­lich­keitsrecht

Das erstinstanzlich mit dem Antrag befasste Landgericht Dresden hatte dem Antrag von Helma Orosz mit der Begründung stattgegeben, die Nackt­dar­stellung verletze die Verfü­gungs­klägerin in ihrem Recht am eigenen Bild sowie ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die verfas­sungs­rechtlich garantierte Kunstfreiheit habe zurückzutreten, da auch bei Personen der Zeitgeschichte die Intimsphäre insoweit geschützt sei, als ihnen die Entscheidung über die Veröf­fent­lichung ihres nackten Körpers vorbehalten sei.

OLG Dresden: Bild darf ohne Einwilligung verbreitet werden

Das Oberlan­des­gericht hat die Entscheidung des Landgerichts nun aufgehoben und den Antrag abgewiesen. Das streit­ge­gen­ständliche Gemälde sei ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, dessen Zurschau­stellung die Klägerin nicht in berechtigten Interessen verletze und daher ohne ihre Einwilligung verbreitet werden dürfe.

Im Einzelfall muss Abwägung zwischen allgemeinem Persön­lich­keitsrecht und Kunst- und Meinungs­freiheit vorgenommen werden

Zwar seien auch Bildnissen mit Bezug zur Zeitgeschichte bei Einbrüchen in die Persön­lich­keitssphäre durch den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit Grenzen gesetzt. Insoweit sei im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen einerseits und der Kunst- und der Meinungsfreiheit andererseits geboten.

Gemälde ist nicht als Schmähkritik oder Kundgabe von Missachtung anzusehen

Diese Abwägung falle hier zugunsten der beklagten Künstlerin aus. Bei dem Bild handele es sich nicht nur um Kunst im verfas­sungs­recht­lichen Sinne, sondern zugleich um eine satirische Darstellung eines aktuellen politischen Geschehens, die dem Schutz der allgemeinen Meinungs­freiheit unterliege. Satirische Darstellungen genössen einen weiten Freiraum bis zur Grenze der Schmähkritik, da ihnen Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen gerade wesenseigen seien. Das Werk der Beklagten beinhalte nach seinem Aussagekern einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf und sei nicht als Schmähkritik oder Kundgabe von Missachtung anzusehen. Die Klägerin erscheine als Werberin für den heftig umstrittenen Bau der Waldsch­löss­chen­brücke in Dresden. Dieses "Werben" werde in erkennbar satirischer Absicht durch die Platzierung der Klägerin mit geöffneten Armen und zur Brücke hindeutender Pose verdeutlicht und zugleich ins Lächerliche gezogen. Die Nacktheit der Klägerin könne in diesem Kontext ohne weiteres als allegorische Darstellung der Unmöglichkeit oder Unfähigkeit zur Abwendung des Verlustes des Unesco-Welterbetitels verstanden werden. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der weibliche und auch männliche Akt zentrales Thema des künstlerischen Schaffens der Beklagten sei. Die Künstlerin greife malerisch ein Motiv auf, wie es literarisch etwa in Andersens Märchen "Des Kaisers neue Kleider" auftauche und habe zum Ausdruck bringen wollen, dass die Klägerin "nichts in der Hand habe". Dieser Aussagekern bewege sich im Schutzbereich des Rechts auf freie Meinung­s­äu­ßerung.

Bild stellt Oberbür­ger­meisterin nicht in reißerischer Manier zur Schau

Auch die Einkleidung dieser Aussage - die malerische Darstellung des Kopfes der Klägerin mit einem nachempfundenen nackten Körper, Requisiten wie Strapse und Schärpe sowie die leuch­tend­auf­dringliche Farbgestaltung - müsse die Klägerin hinnehmen. Zwar sei nachvollziehbar, dass sie sich in ihrem Schamgefühl und ihrer Autorität beeinträchtigt sehe. Das Bildnis stelle aber ersichtlich weder einen Vorgang aus dem Sexualbereich dar noch werde die Klägerin in reißerischer Manier oder als Objekt männlicher Begierde zur Schau gestellt. Sie werde auch nicht in ihrem Privatleben, sondern - symbolisiert durch die Amtskette - bei der Ausübung ihrer politischen Tätigkeit abgebildet, in der sie weitgehenden Einschränkungen ihrer Privatsphäre unterworfen sei.

Darstellung erweckt nicht den Eindruck einer authentischen Abbildung

An der Zulässigkeit der satirischen Darstellung ändere nichts, dass es an einer weitgehenden Verfremdung der Person der Klägerin fehle. Die Erkennbarkeit der Person sei hier vielmehr Voraussetzung dafür, dass der Aussagegehalt der Meinung­s­äu­ßerung erkennbar werde. Schließlich führe auch das "Unterschieben" eines fremden Körpers nicht zur Unzulässigkeit der Bildver­öf­fent­lichung. Zwar unterliege die Manipulation von Fotografien verschärften verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Ein weiblicher Akt auf einem Gemälde unterscheide sich von einer Fotomontage aber dadurch, dass er auch bei natura­lis­tischer Darstellung immer nur eine Interpretation der abgebildeten Person durch den Künstler sei und - auch angesichts der flüchtigen, an Kulissenmalerei erinnernden Ausführung - nicht den Eindruck einer authentischen Abbildung erwecke.

Bei dieser Sachlage habe das Persön­lich­keitsrecht der Klägerin hinter die Meinungs- und Kunstfreiheit der Beklagten zurückzutreten.

Quelle: ra-online, OLG Dresden

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