18.10.2024
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Dokument-Nr. 8021

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Beschluss19.05.2009Oberlandesgericht Celle1 Ws 248/09 (StrVollz)
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Oberlandesgericht Celle Beschluss19.05.2009

Straf­ge­fan­ge­nenpost in "Sütterlin" ist zulässig - Keine GeheimschriftHöherer Kontrollaufwand ist kein ausreichender Grund für das Stoppen eines Schriftverkehrs zwischen Gefangenem und dessen Verlobten

Die Justiz­voll­zugs­anstalt Celle (JVA) darf Briefe eines Gefangenen nicht anhalten, nur weil diese in Sütte­r­lin­schrift – auch Deutsche Schreibschrift genannt – geschrieben sind. Dies hat das Oberlan­des­gericht Celle entschieden.

Der 37 Jahre alte Gefangene verbüßt in der JVA eine Freiheitsstrafe. Er schreibt seit mehreren Jahren die Briefe an seine Verlobte in Sütterlinschrift. Im November 2008 ordnete die JVA an, dass künftig alle ein- und ausgehenden Schreiben in "Sütterlin" angehalten und zurückgesandt werden, solange sich der Gefangene nicht schriftlich bereit erkläre, die Kosten der "Übersetzung" dieser Schreiben zu übernehmen und die daraus resultierenden Verzögerungen zu akzeptieren. Der Kontrollaufwand sei zu hoch und die Verlobten könnten problemlos in lateinischer Schrift schreiben.

Hiergegen erhob der Gefangene Rechts­be­schwerde beim OLG. Der Strafsenat gab ihm Recht und hob die Verfügung der JVA mangels Rechtsgrundlage auf.

Sütte­r­lin­schrift ist keine Geheimschrift

Schreiben von Gefangenen oder an diese können nach dem Nieder­säch­sischen Justiz­voll­zugs­gesetz zum einen angehalten werden, wenn ihr Inhalt gefährlich ist oder der Schriftverkehr wegen des großen Umfangs eine Begrenzung rechtfertigt. Im Übrigen dürfen sie nicht in einer Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sein. Nach Ansicht des Strafsenats ist keine dieser Voraussetzungen durch das Verwenden von Sütte­r­lin­schrift erfüllt. Auch wenn die Schrift heute nicht mehr in den Schulen als Normalschrift gelehrt wird, handele es sich nicht um eine Geheimschrift. Das Merkmal der Unver­ständ­lichkeit beziehe sich auf den Inhalt des Geschriebenen. In Betracht komme damit allein die Unlesbarkeit. Eine Schrift könne unlesbar sein, weil die persönliche Handschrift nicht "formklar" sei. Hier gehe es aber ausschließlich um die Schriftart. Der Strafsenat stellt fest, dass in Deutschland keine verbindlichen Vorschriften existieren, welche Schriftart im Schriftverkehr zu verwenden sei. Die Sütte­r­lin­schrift könne, auch wenn sie nicht mehr in den Schulen gelehrt wird, nach wie vor von weiten Teilen der Bevölkerung zumindest gelesen werden. Auch seien unstreitig Bedienstete der Antragsgegnerin in der Lage dazu. Daher dürfe der in Sütterlin geführte Schriftverkehr von Gefangenen nicht wegen Unlesbarkeit gestoppt werden, auch wenn der Kontrollaufwand höher sei.

Erläuterungen

Hinweis zur Sütte­r­lin­schrift

Die von dem Berliner Grafiker Ludwig Sütterlin um 1911 im Auftrag des preußischen Kultur­mi­nis­teriums entwickelte Schreibschrift – auch Deutsche Schreibschrift genannt – wurde ab 1915 in Preußen eingeführt und war die Grundlage der 1935 an den deutschen Schulen als "Normalschrift" eingeführten "Deutschen Schreibschrift". 1941 wurde die "Deutsche Schreibschrift" durch die "Deutsche Normalschrift", eine lateinische Schreibschrift, ersetzt. In den Schulen einiger Bundesländer wurde die Sütte­r­lin­schrift allerdings zum Teil bis in die 1990er Jahre zumindest im Leseunterricht gelehrt (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl.).

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Celle vom 18.06.2009

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